Julian Reister:"Liebes Tennis, ich möchte mich von dir verabschieden"

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Rücktritt mit 30: Tennisprofi Julian Reister aus Hamburg. (Foto: imago)

Profi Julian Reister beendet seine Karriere mit einem ungewöhnlichen, öffentlichen Brief. Es geht um den toten Vater, um schöne Erlebnisse und hohe Arztrechnungen.

Von Gerald Kleffmann

Man könnte nun ein Quiz veranstalten und fragen, was die Personen in dieser Reihe - Pete Sampras, Kobe Bryant, Caroline Wozniacki, Julian Reister - eint. Die Erfolge sind es logischerweise nicht, denn da kann der Tennisspieler Julian Reister nachweislich mit den anderen nicht ganz mithalten. Diese vier Sportler aber haben allesamt bemerkenswerte Zeilen im Internet verfasst, wie es Athleten auf diese Art selten tun.

Die Amerikaner und die Dänin hatten einmal Briefe an ihr früheres Ich ("Letter to My Younger Self") verfasst und damit viel Aufsehen erregt. Reister hat nun das Genre quasi erweitert mit einem sehr emotionalen Beitrag. Der Hamburger nannte seinen jetzt im Netz veröffentlichten Brief "Mein Abschied" - der Adressat ist nicht sein junges Ego, sondern sein Sport, den er 25 Jahre ausübte und den er aufgrund dieser Intensität wie einen lieb gewonnenen Menschen betrachtet.

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"Liebes Tennis, wir haben uns nicht oft gesehen in letzter Zeit. Daher hast du es bestimmt schon geahnt. Ich möchte mich von dir verabschieden", so beginnt das feinfühlige Werk Reisters, der noch als Nummer 631 der Weltrangliste geführt wird. Im besten Jahr war er 83., die dritte Runde bei den French Open kann er vorweisen, als Qualifikant durfte er im Jahr 2010 gegen Roger Federer vor 15 000 Zuschauern spielen. Reister ist erst 30, aber er geht nicht enttäuscht, eher erfüllt.

"Tennis hat mich nicht zum Millionär gemacht, aber Erlebnisse geschenkt, die unbezahlbar sind", resümiert er. Tennis war ihm eine Stütze, als sein Vater starb, als er zehn war ("Du gabst mir die Gelegenheit, ihm etwas zurückzugeben, auch wenn er nicht mehr da war"). Tennis war ein Ventil ("Natürlich warst du wichtiger als Klassenarbeiten und Hausaufgaben. Aber auch Mädchen, Alkohol und Partys interessierten mich nicht. An dir konnte ich meine Aggressionen rauslassen").

Tennis war aber auch eine Qual ("Von Arzt zu Arzt bin ich gerannt, ohne dass mir jemand helfen konnte. Ohne Einkommen dafür mit hohen Arztrechnungen, ließt du mich zurück") - und am Ende war Tennis ein Partner, der einen einfach nicht mehr versteht, trotz aller Erklärungsversuche ("Ich brauche einen gewissen Müßiggang im Leben, ich kann nicht alles dem Sport unterordnen, ich bin lieber zu Hause als auf Reisen und ich bin vielleicht auch weicher als andere. Diese Persönlichkeitsmerkmale für den Erfolg zu unterdrücken, kann jedoch nur kurzfristig gelingen"). Reisters lange Romanze war zerbrochen.

Seinen abschließenden Rat ("Jedem angehenden Profispieler würde ich mitgeben, dass es das Wichtigste ist, seinen individuellen Weg zu finden. Einen Weg, der zur eigenen Persönlichkeit passt") befolgt er nun selbst. Reister hat ja eine neue Geliebte - "ich kann mir gut vorstellen, eine kleine Akademie zu eröffnen", sagte er der SZ am Mittwoch.

Die Idee des Briefes hatte er sich mit Bruder Benjamin ausgedacht. Die Zeilen, die Sampras, Bryant und Wozniacki schrieben, kannten sie gar nicht. Die Resonanz sei schon nach wenigen Stunden riesig gewesen. "Spieler haben sich auch gemeldet und gemeint, ich hätte ihnen aus der Seele gesprochen", sagte Reister. Manchmal missglücken Abschiede. Dieser war ein Erfolg.

Linktipp: Den ganzen Brief von Julian Reister finden Sie hier

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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