Japan:Wilde Nummer 15

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„Das ist hier schließlich Weltniveau“: Yuya Osako, früher Köln, künftig Bremen, tanzt die Gegner aus, auch wenn er gegen Senegal das Tor verfehlt. (Foto: Hector Retamal/AFP)

Der frühere Kölner Yuya Osako versetzt Senegal in Schrecken und beweist: Es gibt Füße, die sind zu fein für den Abstiegskampf.

Von Claudio Catuogno, Jekaterinburg

Der Trainer Aliou Cissé wurde von seinen Landsleuten schwer in die Mangel genommen in den Katakomben des Zentralstadions von Jekaterinburg, er war quasi ein Opfer seines eigenen Erfolgs. Wie es sein könne, dass man erst gegen Polen einen brillanten Auftaktsieg zuwege bringe, aber nun nach einem 2:2 (1:1) gegen Japan doch um den Einzug ins Achtelfinale bangen müsse, wollten die Journalisten aus Senegal wissen. Tja, dafür hatte der 42 Jahre alte Trainer auch keine endgültige Erklärung. Außer jener, "dass wir heute leider keine brillante senegalesische Mannschaft gesehen haben". Etwas "aufgeregter" sei man gewesen, "nicht so konzentriert". Das könne passieren, "das ist hier schließlich Weltniveau".

Und dann sei da auch noch der Gegner gewesen: "Die Japaner waren das bessere Team, das muss man einfach zugeben. Ihre Nummer 14 war sehr gefährlich, ihre Nummer 15 hatte gute Aktionen. Ja, Japan hatte einfach diese Nummer 15, die eine Menge Druck auf uns ausgeübt hat."

Es spricht für eine ökonomische Vorbereitung, dass sich der Trainer Cissé nicht lange damit aufgehalten hat, sich die Namen und Gesichter der Japaner zu merken. Er hat sich auf die Rückennummern beschränkt. Achtung vor der 15! Man musste noch mal einen Blick in die Aufstellung werfen, um nachzuvollziehen, wer sich hinter dieser furchterregenden Nummer verbirgt. Und voilà: Aus der Anonymität der Zahlen trat ein alter Bekannter hervor. Zumindest in Köln dürften sie es jetzt mit ambivalenten Gefühlen aufnehmen, dass es einer von ihnen ist, der gerade in Russland - auf Weltniveau! - die Gegner erschreckt: der Stürmer Yuya Osako, 28.

Ambivalente Gefühle deshalb, weil der von allen geschätzte Osako sich zur neuen Saison Werder Bremen anschließen wird, anstatt mit Köln in die zweite Liga zu gehen. Aber auch, weil Osako in der letzten, sehr traurigen Kölner Spielzeit manchmal eher Teil des Problems war als der Lösung.

"Yuya Osako - the Bundesliga's top-scoring Asian" heißt ein Video bei Youtube, in dem seine schönsten Treffer zusammengeschnitten sind. Man sieht dort sofort, mit welch brillanter Schusstechnik Osako gesegnet ist. Man sieht zudem, wie er in Flanken hineingrätscht und wie er trotz seiner nur 1,82 Meter Körpergröße sogar Kopfbälle verwandelt. Und dann sieht man den kleinen Osako nach seinen Treffern oft einem groß gewachsenen Kollegen in die Arme fallen: Anthony Modeste. Die Tore sind fast alle aus den Jahren 2015 bis 2017. Modeste und Osako, das war das kongeniale Duo, das den FC bis in die Europa League schoss. Es sprach damals, im Sommer 2017, für das Selbstbewusstsein des Japaners, dass er, nachdem Modeste sich den chinesischen Fleischtöpfen zugewandt hatte, "aus Anthonys Schatten treten und noch torgefährlicher werden" wollte.

Doch am Ende der jüngsten Murkssaison, in der er auch wegen einer Lungenentzündung zum Teil nicht recht in Form war, hatte Yuya Osako nur vier Tore geschossen und zwei vorbereitet. In der Spielzeit davor waren es, mit Modeste als Partner, sieben Tore und acht Vorlagen gewesen.

Es gibt eben Füße, die sind zu fein für den Abstiegskampf, selbst wenn ihr Besitzer noch so viel Leidenschaft und Identifikation und Kampfgeist mitbringt. Osako braucht ein solide vor sich hin laufendes Räderwerk, in das er sich einklinken kann - das ist gerade der Unterschied zwischen Köln und Japan. Underdogs sind die Japaner in Russland zwar auch, erst zweimal hat die Auswahl bei einer WM ein Achtelfinale erreicht. Aber in der Nationalmannschaft versuchen sie trotzdem erst gar nicht, über den Kampf ins Spiel zu finden - dafür wären sie schlicht nicht groß und kräftig genug. Der Trainer Akira Nishino, der den Job erst im April vom - wegen allerlei Zerwürfnissen gefeuerten - Bosnier Vahid Halilhodzic übernommen hat, setzt stattdessen auf Passgenauigkeit, schlaue Laufwege und ein hohes technisches Niveau. "Der Rhythmus war gut, das Spiel mit flachen Bällen war gut, das Positionsspiel war gut", sagte Nishino am Sonntag in Jekaterinburg. Die japanischen Tugenden, wenn man so will. Der Kampf kommt dann nur obendrauf.

Anders als im ersten Spiel gegen Kolumbien (2:1) hat Yuya Osako, Japans wilde Nummer 15, beim 2:2 gegen Senegal kein Tor erzielt. Sadio Mané (12.) und Moussa Wagué (71.) brachten die Senegalesen zweimal in Führung, Takishi Inui (34.) und der eingewechselte Altmeister Keisuke Honda (78.) glichen jeweils aus. Aber Osako hat wahrscheinlich den lautesten kollektiven Aufschrei der jüngeren Jekaterinburger Geschichte ausgelöst: als er in der 60. Minute eine Hereingabe von der linken Seite nur noch einschieben musste, da waren im Fünfmeterraum nur noch er und der verdammte Ball, aber irgendwie tat dann auf groteske Weise der Fuß nicht das, was der Kopf ihm aufgetragen hatte.

Trotzdem reicht jetzt ein Punkt gegen die ausgeschiedenen Polen und Osako steht im Achtelfinale, wie auch die weiteren in Deutschland beschäftigten Profis Makoto Hasebe (Frankfurt), Shinji Kagawa (Dortmund), Yoshinori Muto (Mainz), Genki Haraguchi, Takashi Usami (beide Düsseldorf) und Gotoku Sakai (Hamburger SV).

All das verfolgen sie übrigens auch in Bremen mit wachsendem Interesse. Je länger Yuya Osako im Turnier bleibt, umso billiger wird er gewissermaßen - weil die Abstellgebühren der Fifa ab dem 1. Juli auf das Werder-Konto fließen würden, immerhin 7246 Euro pro Tag. Die Kölner werden bis Ende Juni in jedem Fall 217 380 Euro an Kompensationen für Osakos WM-Mission einstreichen, aber noch lieber wäre es ihnen, dieser Weltniveauspieler wäre weiterhin ihrer.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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