Ingolstadt:Tanzen tut weh

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Turnhosenvergehen: Dieses elfmeterreife Foul des Stuttgarter Torwarts Tyton am Ingolstädter Stürmer Lezcano übersah der Schiedsrichter. (Foto: Stefan Bösl/imago)

Spektakel mit drei Stürmer-Toren, 33 Punkte und daheim in diesem Jahr weiter ungeschlagen: Der FCI hätte viele Gründe für frohe Laune - doch das 3:3 gegen Stuttgart schmeckt bitter.

Von Patrick Reichardt, Ingolstadt

Es war Winterpause, als beim FC Ingolstadt der Entschluss reifte, noch einmal richtig Geld in die Hand zu nehmen. Der Aufsteiger, der in seiner ersten Bundesliga-Hinserie einen unbequemen Gegner darstellt und viele Punkte einheimst, verstärkte seine bis dato torarme Offensive und investierte 2,5 Millionen Euro für Angreifer Dario Lezcano. Der Auftrag für den Nationalspieler Paraguays war klar: die Sturmflaute zu beenden. Bis zum Samstag absolvierte Lezcano acht Spiele. Der 25-Jährige ackerte viel, eroberte Bälle und legte einen Treffer vor, er fügte sich sofort ein in das Ingolstädter Kollektiv. An seinen eigentlichen Auftrag musste ihn ein Teamkollege aber unter der Woche noch mal erinnern: "Du bist Stürmer. Du musst Tore schießen", sagte Mittelfeldspieler Roger zu Lezcano. Daraufhin übten die beiden Freistöße - bis Lezcano nun beim turbulenten 3:3 gegen Stuttgart einen Freistoß mit 104 Stundenkilometern ins rechte obere Eck schoss - Tor des Monats"!

Die Ingolstädter mussten sich in den vergangenen Wochen viel anhören. Eine "Ekel-Mannschaft" seien sie, hatte HSV-Profi Lewis Holtby geätzt, was man in Oberbayern mehr als Kompliment denn als offene Anfeindung aufgenommen hatte. Doch gegen den VfB Stuttgart unterstrich die Mannschaft von Ralph Hasenhüttl, dass sie viel mehr kann als zu kratzen, beißen und foulen: "Wir haben eine tolle Entwicklung genommen. Das war unser bestes Heimspiel der Saison", fand der Trainer, der sich nach 90 rasanten Minuten im Zwiespalt befand. Seine Mannschaft konnte er ja für dieses Spektakel nur loben, "zwischenzeitlich sensationell" fand Hasenhüttl das Gesehene sogar. Zwischenzeitlich hatte er, der Österreicher, auch in seiner blauen Jacke auf dem Feld getanzt - das war nach Lezcanos Freistoß. Dass es am Ende nur ein Punkt wurde, enttäuschte den Trainer im ersten Moment aber doch: "Das Ergebnis fühlt sich noch nicht gut an. Es tut weh."

Auch die Stuttgarter hatten geahnt, dass die Partie vor 15 107 Zeugen im Sportpark eine echte Herausforderung sein würde: "Es ist schon speziell hier", sagte VfB-Coach Jürgen Kramny, der die Aufholjagd seines Teams mit einem "Punkt der Moral" belohnt sah. "Wir sind nicht die erste Mannschaft, die es hier schwer hatte", erklärte VfB-Torschütze Lukas Rupp: "Ingolstadt bringt immer Hektik rein, wir haben uns diesmal auch davon anstecken lassen."

Doch nicht nur der VfB ließ sich vom Aufsteiger anstecken, auch andersherum ließ sich das Phänomen beobachten: Angestachelt vom Offensivdrang der Schwaben mit dem auf dem Flügel überragenden Filip Kostic spielte auch Ingolstadt mutig nach vorne und erspielte sich Chance um Chance, es entwickelte sich ein Schlagabtausch: "Für die Fans war das sehr aufregend. Aber wenn wir 3:1 führen, müssen wir auch gewinnen", meinte Mathew Leckie, der für den FCI ebenfalls traf.

Weltmeister Großkreutz droht nach Verletzung das Saison-Aus

Sowohl dem Kopfballtor Leckies zum 2:1 als auch dem Freistoßtreffer von Lezcano waren fragwürdige Entscheidungen von Schiedsrichter Manuel Gräfe vorausgegangen. Auf der anderen Seite hatte der Unparteiische dafür ein Foul von VfB-Schlussmann Przemyslaw Tyton an Lezcano übersehen - und Stuttgart am Ende einen umstrittenen Foulelfmeter zugesprochen, der Didavi den 3:3-Ausgleich ermöglichte.

33 Zähler, zu Hause 2016 ungeschlagen und zum erst zweiten Mal in dieser Spielzeit drei Tore erzielt. Eigentlich hätten die Oberbayern jede Menge Gründe gehabt, sich nach dem Sechs-Tore-Fest zu freuen. Doch die beiden späten Rückschläge durch Rupp und den Foulelfmeter (84.) saßen zunächst tief: "Wir hätten gerne 35 Punkte. Mit dem Unentschieden kann ich mich nicht so anfreunden", sagte Moritz Hartmann, der mit einem furiosen Schuss aus spitzem Winkel den Torreigen nach vier Minuten eröffnet hatte. Er stellte fest: "Wir hatten den VfB weitgehend im Griff." Was für einen Aufsteiger, dem zuletzt überzogene Härte und übertriebene Theatralik vorgeworfen wurde, schon mal gar kein so schlechtes Zeugnis ist.

Ohne den gesperrten Pascal Groß präsentierte sich der FCI "variabler als sonst", wie Hasenhüttl bemerkte. Die Verantwortung mussten diesmal eben mehrere Spieler schultern. Und dass alle seine drei Stürmer treffen, das erlebe er auch nicht alle Tage, betonte der Ingolstädter Coach.

Der VfB, der sich immer wieder überrumpeln ließ, erfreute sich nicht nur an der Aufholjagd zum 3:3, sondern auch daran, dass das Ergebnis in den letzten Minuten "mit zehneinhalb Mann" verteidigt werden konnte, wie Kapitän Christian Gentner anmerkte. Just in dem Moment, als Didavi ausglich, humpelte Kevin Großkreutz über das Feld. Kramnys Maßnahme: Der Weltmeister rückte von der Position rechts hinten nach ganz vorne. Er schleppte sich durch, jeder Schritt schmerzte. Am Sonntag bestätigte der VfB: Großkreutz erlitt einen Muskelbündelriss, ihm droht damit das Saisonaus.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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