Ingolstadt:Spaß mit den alten Legosteinen

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Schnappschuss mit dem Siegtorschützen: Moritz Hartmann sucht die Nähe der Ingolstädter Fans. (Foto: Stefan Bösl/imago)

1:0, 39 Punkte, wieder einen Gegner entnervt: Der FC feiert den Klassenerhalt.

Von Philipp Schneider, Ingolstadt

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie hoch die Ingolstädter diesen zehnten Bundesliga Sieg in ihrer Geschichte einsortierten, genügte ein Blick auf den entfesselten Michael Henke. Es lief fast schon die Nachspielzeit, als der ewige Assistent, der sonst eher im Verborgenen wirkt, wie ein Wackeldackel zu federn begann vor der Trainerbank von Ralph Hasenhüttl. Auf und ab hüpfte Henke, dazu riss er immer wieder die Hände in den Himmel, um die Fans auf der Südtribüne zu weiteren Gesängen zu ermuntern. Michael Henke ist 59 Jahre alt. Als er 40 war, hat er zusammen mit Ottmar Hitzfeld den Champions-League-Pokal am Dortmunder Borsigplatz gestemmt, mit 51 half er als Chefanalytiker dem Trainerpraktikanten Jürgen Klinsmann bei dessen ersten Gehversuchen beim FC Bayern, und seine stets spannenden Exkursionen führten Henke im Alter von 54 auch bis nach Iran, wo er einen Job beim FC Esteghlal Teheran fand. Aber hatte selbst Henke jemals etwas Exotischeres erlebt als diesen gefühlten, vorzeitigen Klassenverbleib des FC Ingolstadt?

39 Punkte hat der Aufsteiger fünf Spieltage vor Ende der Saison erwirtschaftet, das sind mindestens 20 mehr, als manch Experte von ihm erwartet hätte. Und so war nach diesem 1:0 gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag der Moment gekommen, an dem selbst der gerne kokette Hasenhüttl, Henkes Chef, die Realitäten nicht länger leugnen mochte: "Wir haben immer gesagt, dass wir 40 Punkte benötigen", sprach er und grinste: "Auch mit 39 werden wir nicht klar absteigen."

"Dann ist es halt zum Kotzen, ohne was nach Hause zu gehen", findet Manager Max Eberl

Für die Konkurrenten in der Bundesliga ist das nach Lage der Dinge keine allzu gute Nachricht. Denn dort gibt es wohl auch in der nächsten Saison keine undankbarere Aufgabe, als gegen diese erstaunlich lauftollwütige Mannschaft zu spielen, deren Kern der Trainer Hasenhüttl vor zweieinhalb Jahren auf dem letzten Platz der zweiten Liga übernommen hatte: Sieben jener Spieler, die nun den Champions-League-Anwärter Gladbach besiegten, waren bereits bei Hasenhüttls Debüt im Oktober 2013 auf dem Feld. Damals verlor der FCI 1:2 gegen den damaligen Bundesliga-Absteiger Fortuna Düsseldorf.

Möglicherweise ist genau dies ja das Geheimnis des Ingolstädter Erfolgs: Dass hier eine Mannschaft nach dem Aufstieg nicht auseinandergerissen und gänzlich neu zusammengesetzt wurde, als bestehe sie aus Legosteinen. Nicht einmal das System hat Hasenhüttl geändert. Und so attackieren Hinterseer, Hartmann und Leckie in ihrem munteren 4-3-3 auch die Schalker und Gladbacher so ungestüm, als wären sie verkleidete Sandhäuser.

0:3 verloren zuletzt die Schalker in Ingolstadt, 0:1 nun die Mönchengladbacher. Nachdem Moritz Hartmann, einem ehemaligen Drittliga-Stürmer, in der 88. Minute sein neunter Saisontreffer gelungen war, dem er noch ein paar folgen lassen möchte. "Zweistellig wäre jetzt super", sagte er.

Eigentlich ist das System des FCI längst dechiffriert. Und doch fiel weder dem Schalker Trainer André Breitenreiter, noch seinem Gladbacher Kollegen André Schubert ein wirkungsvolles Gegenmittel ein: "Wir halten überragend dagegen, obwohl wir wussten, dass heute wenig Fußball kommt", zürnte Gladbachs Sportmanager Max Eberl, dessen Team im Kampf um die begehrten Champions-League-Plätze in Wahrheit mit einer Passivität zu Werke ging, die die Lethargie streifte. Und die so ihre unfassbar schlechte Auswärts-Serie fortsetzte: Zwei Unentschieden und sechs Niederlagen gab es seit dem 4:1 in Berlin am 31. Oktober. Offenbar war ein Sieg nicht vorgesehen im Matchplan der Rheinländer, das klang bei Eberl zwischen den Zeilen an: "Ab der 82. Minute hast du gemerkt: Beide Teams wären mit dem Punkt zufrieden. Und dann ist es halt zum Kotzen, wenn du ohne was nach Hause gehst."

Um sich dem Ansturm der nimmermüden Angreifer zu entziehen, hatte Schubert als Taktik vorgegeben, mit weiten Pässen die erste Pressingreihe der Ingolstädter zu überspielen. Das gelang nur einmal im ganzen Spiel. Granit Xhaka schickte nach acht Minuten den Ball in die Spitze auf André Hahn, doch in letzter Sekunde grätschte Benjamin Hübner gekonnt zwischen Hahn und den geplanten Torschuss.

Auf Höhe des Elfmeterpunkts. Noch leise, aber deutlich vernehmbar, zieht nun erstmals Pathos ein beim FCI, der den sehr verdienten Klassenverbleib begleiten wird: "Sinnbildlich für die Weise, auf die wir die Liga halten" sei Hübners Grätsche gewesen, philosophierte Hasenhüttl, weil Hübner "bis zum Schluss alles versucht" habe. Es war eine Grätsche, die der 26 Jahre alte Innenverteidiger anschließend feierte wie ein Siegtor: "Weil ich schon dachte, dass es ein Tor ist", rechtfertigte sich Hübner, "für Gladbach halt!"

Es wird Hasenhüttl kaum passen, sollte die Saison in den Köpfen seiner Spieler vorzeitig für beendet erklärt werden. In der Euphorie des Sieges entlockten sie ihrem Trainer zwei trainingsfrei Tage: "Das haben die mir rausgeleiert", sagte Hasenhüttl, "die Jungs sind nicht nur auf dem Platz clever, sondern auch danach. Die wissen genau, wie sie mich zu packen haben!"

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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