Hannover 96:Wer trägt das Klavier?

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Zeigt seinen Spielern andere Laufwege: Thomas Schaaf, seit Ende Dezember neuer Trainer des abstiegsgefährdeten Hannover 96. (Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Gefangen in alten Mustern: Im Trainingslager erkennt Hannovers neuer Trainer Thomas Schaaf schnell die Defizite seiner Mannschaft.

Von Frank Hellmann, Belek

Die Gastgeber sind nicht nur freundlich, sondern auch außerordentlich improvisationsfreudig, um ihren deutschen Gästen ein Trainingslager an der Mittelmeerküste so angenehm wie möglich zu machen. Kann doch nicht sein, dass Hannovers neuer Trainer Thomas Schaaf und seine Assistenten Wolfgang Rolff und Matthias Hönerbach auf der weitläufigen Anlage des Hotels Cornelia Diamond völlig durchweichen, nur weil in diesen Tagen das Wetter nicht mitspielt. Also haben die Bediensteten zum Testkick zwischen Hannover 96 und Hertha BSC (0:1) nicht nur die tiefen braunen Stühle, auf denen sich im Sommer die Touristen auf die Terrasse fläzen, an den hoteleigenen Fußballplatz geschleppt, sondern auch zwei beigefarbene Sonnenschirme. Als Regenschutz.

Genützt hat es irgendwie trotzdem nicht viel: Vor allem Schaaf stand in diesem Spiel mehr als er saß. Und im penetranten Nieselregen rief er seine Kommandos ins Spielfeld: "Rückt nach!", "Zeigt euch!", "Wirf ein!" Und auch: "Nicht aufhören, Leute!" Am Ende war seine schwarze Kappe patschnass. Aber gestört hatte den 54-Jährigen etwas ganz anderes.

Die Zeit drängt: Nur zweieinhalb Wochen sind es noch bis zum Heimspiel gegen Darmstadt 98

"Wir waren zu sehr in unserer Passivität gefangen", sagte Schaaf nach dem Spiel, "und wir gestehen dem Gegner zu viel zu." Wenn es nicht gelingt, in einer Vorbereitungspartie mehr als eine einzige ordentliche Torchance herauszuspielen, dann ist wohl Gefahr im Verzug. Zumal sich zuvor eine Hannoveraner Reservisten-Elf gerade mal so zu einem 2:1 gegen den Drittligisten Wehen Wiesbaden gequält hatte.

180 Minuten haben Thomas Schaaf ausgereicht, um zu erahnen, welch schwierige Mission er beim Liga-Vorletzten angetreten hat. Und indirekt räumte er erstmals ein, dass sich seine Profis noch zu sehr in den Verhaltensmustern seines Vorgängers Michael Frontzeck bewegen. Schaaf dagegen vertritt die Haltung, dass auch ein Abstiegskandidat agieren und nicht nur reagieren sollte, was der Überzeugungstäter in diese Umschreibung verpackte: "Wo ist das Klavier? Wo trage ich es hin?"

Es werden bei den Roten also robuste Klavierträger gesucht, doch diese Suche könnte schwierig werden. Kapitän Christian Schulz und Antreiber Leon Andreasen, mit Schaaf aus gemeinsamen Bremer Tagen noch gut bekannt, sind vom Trainer eigentlich als seine persönliche Hilfstruppe auf dem Spielfeld vorgesehen, doch der eine (Schulz) wirkt seit Monaten verunsichert, der andere (Andreasen) patzte vor dem Gegentor gewaltig und schied später mit lädiertem Sprunggelenk aus. Gut möglich, dass beide wegen ihres angeschlagenen Gemüts bzw. Körpers erst mal gar nicht als Anführer in Frage kommen.

Von den vier Winter-Zugängen hatte nur Sturm-Leihgabe Adam Szalai (Hoffenheim) seinen Platz in der A-Elf abbekommen, aber außer Eifer hatte der Ungar nicht viel anzubieten. Die anderen - der Norweger Iver Fossum, der Japaner Hotara Yamaguchi und der deutsche U21-Nationalspieler Marius Wolf - gelten vorerst als Ergänzungsspieler, um die Konkurrenzsituation im Kader zu erhöhen. Also geht Schaaf beim Anpacken erst mal selbst voran. Und das so wortreich, dass Manager Martin Bader ihn als "sehr kommunikativen" Trainer-Typen lobt, "der innerhalb kürzester Zeit hier angekommen ist". Dass Schaaf zuletzt bei Eintracht Frankfurt speziell die Kommunikationsdefizite zum Verhängnis geworden sind, kann Bader "aus allen geführten Gesprächen nicht bestätigen".

Schon bei den Trainingseinheiten im türkischen Pinienwald fragen sich die mitgereisten 96-Anhänger, wie lange Schaafs Stimmbänder das wohl noch aushalten. "Ich kann doch nicht ruhig sein. Wir müssen Hilfestellung geben", sagt er. Und wenn Schaaf mal nicht ruft, dann springen sofort seine aus Bremer und Frankfurter Zeiten vertrauten Assistenten Rolff und Hönerbach ein, die sich in Gestik und Mimik über die Jahre angeglichen haben. Vor allem dieses Triumvirat ist es, dass den neuen Geist bei den Niedersachsen wecken soll. Schaaf wünscht sich schnell "Selbstbewusstsein und Selbstverständnis".

Aber die Zeit drängt. Nur eineinhalb Wochen sind es bis zum ersten Heimspiel gegen Darmstadt. Der Auftakt am 23. Januar dient als wichtiger Wegweiser, denn sollte der widerspenstige, auswärtsstarke Aufsteiger aus Hannover drei Punkte mitnehmen, dann wäre er schon sieben Zähler enteilt. "Das ist noch kein Endspiel", beteuert Schaaf, wohlwissend, "dass wir nicht von heute auf morgen alle Schalter umlegen können". Aber ein Zeichen sollte Hannover 96 schon setzen. Ansonsten könnte das Dauergrau über Belek durchaus schon ein Vorbote dessen sein, was Schaaf und Co. in der Rückrunde erwartet.

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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