Handball-WM in Schweden:Das kleine Einmaleins

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Alles wieder gut? Von wegen. Die deutschen Handballer unterliegen im zweiten WM-Hauptrundenspiel Ungarn mit 25:27. Eine Niederlage, die gravierende Folgen haben könnte.

Christian Zaschke

Pascal Hens hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Tisch, als versuchte er kraft seines Blicks ein Loch in die blaue Papiertischdecke zu brennen. Er saß in den Katakomben der Arena zu Jönköping, neben ihm saß der Bundestrainer Heiner Brand und gab ein paar Kommentare dazu ab, dass die deutschen Handballer bei der WM gerade 25:27 (12:10) gegen Ungarn verloren hatten.

Bald kein Bundestrainer mehr? Heiner Brand. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Deutschen hatten fürchterlich gespielt, Brand hatte einiges zu erklären, und besonders fürchterlich hatte Hens gespielt. Brand sprach, Hens starrte. Es war ihm anzusehen, dass er sich wegwünschte von diesem Ort, vielleicht stellte er sich die blaue Tischdecke als tiefblaues Meer vor, das irgendwo am anderen Ende der Welt lauwarm die Strände streichelt. Die Mannschaft hat mal wieder kopflos agiert, was für Hens, den Kapitän des Teams, bedeutet, dass er seiner Aufgabe erneut nicht gewachsen war.

Nun drang statt des Meeresrauschens die Stimme Brands an sein Ohr, der sagte: "Ich habe schon einiges erlebt an Enttäuschungen, aber heute war die Enttäuschung schon sehr groß." Das liegt daran, dass diese Niederlage weitreichende Folgen haben könnte. Nur die ersten Sieben dieser WM dürfen an der an der Olympia-Qualifikation teilnehmen. Siebter können die Deutschen aus eigener Kraft nicht mehr werden.

Um sich überhaupt für das Spiel um Platz sieben zu qualifizieren, müssten sie an diesem Dienstag Norwegen (16.15 Uhr, live in der ARD) besiegen, anschließend müsste Island gegen die bereits fürs Halbfinale qualifizierten Franzosen verlieren. Letzteres wäre im Normalfall höchstwahrscheinlich, doch in der Vergangenheit haben sich die Franzosen bei großen Turnieren bisweilen geschont, wenn es für sie um nichts mehr ging. Warum sollten sie gegen die hochmotivierten Isländer, die ja ebenfalls gern an der Olympia-Qualifikation teilnähmen, Kräfte lassen?

Zunehmend verzweifelt

Es gäbe dann für die Deutschen noch eine Hintertür, sie könnten sich mit etwas Glück, einer guten Leistung und bei günstigem Stand der Gestirne bei der EM im kommenden Jahr für Olympia qualifizieren. Sollte die Mannschaft die Spiele jedoch tatsächlich verpassen, muss die Spitze des Deutschen Handball-Bundes sich höchstwahrscheinlich auf die Suche nach einem neuen Bundestrainer begeben.

Brands Vertrag läuft bis 2013, aber er sagte dieser Tage, es sei für ihn schwer vorstellbar, dass er noch einmal ganz von vorne anfange. Vielleicht ist diese Niederlage gegen Ungarn bald vergessen, aber es ist ebenso gut möglich, dass sie eine Zeitenwende im deutschen Handball eingeleitet hat.

Handball-WM: Deutsches Team
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Ein Verrückter im Tor, ein Übertalentierter auf Linksaußen und ein Trainer, der seltsame Wege geht: Diese Männer sollen bei der WM in Schweden die Handballwelt überraschen. Der deutsche Kader in Kurzporträts.

Carsten Eberts

Den Spielern war früh anzumerken, dass sie mit der Bedeutung der Partie überfordert waren. Bereits in der Anfangsphase wurde deutlich, dass sie den herausragenden Auftritt gegen die Isländer nicht würden wiederholen können. Gegen die weit schwächer einzuschätzenden Ungarn agierten sie so nervös, dass Brand bereits nach sieben Minuten eine Auszeit nahm.

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Er stürmte aufs Feld, er gestikulierte wie ein Mathematiklehrer in der Grundschule, der zunehmend verzweifelt zum dreiundzwanzigsten Mal erklärt, dass zwei mal zwei immer vier ergibt, wirklich immer, bei Sonnenschein ebenso wie bei Regen. IMMER.

Anschließend konnten sich die Spieler Brands Ausführungen eine Weile merken, sie erzielten sechs Treffer hintereinander und gingen 7:4 in Führung. Doch als es danach aussah, dass die Deutschen die Partie nun locker nach Hause bringen würden, war ihnen offenbar plötzlich wieder entfallen, was Brand ihnen erklärt hatte. Sie schienen in Gedanken zu versinken, und so, wie sie spielten, dachten sie: Könnte, wenn der Mond Wasser trägt und der Kauz sein Lied anstimmt, zwei mal zwei nicht auch drei ergeben?

An Brands Gestik, an seiner Haltung, an seinem Blick ließ sich ablesen, wie sehr er litt. Sollte er es wirklich noch einmal erklären müssen? Er will, dass die Mannschaft ihre Angriffe ruhig ausspielt, dass sie aus der Bewegung kommt, dass sie den Ball nicht so oft prellt und den Abschluss erst sucht, wenn es wirklich eine Chance gibt. Das ist das kleine Einmaleins des Handballs, er predigt es der Mannschaft tagein, tagaus.

Müdigkeit oder Einstellung?

Doch selbst die Dauerpredigt erreicht die Spieler nicht. Dass sie Handball spielen können, auch so, wie Brand es will, haben sie beim Sieg gegen Island am Wochenende gezeigt. "Wenn es jetzt an der Einstellung liegt, wäre es bitter", sagte Brand, "wenn es Müdigkeit ist, muss ich das akzeptieren."

Er hatte sich nach der Leistung vom Wochenende Hoffnungen gemacht. Einige Spieler hatten gar von der Geburtsstunde einer neuen Mannschaft gesprochen. Gegen die Ungarn haben sie gezeigt, dass sie immer noch die Alten sind.

© SZ vom 25.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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