Handball-WM in Kroatien:Wie eine Schachtel Pralinen

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Alle Facetten zwischen überragend und erbärmlich: Die Deutschen starten mit Sieg und Unentschieden in die Handball-WM.

Christian Zaschke, Varazdin

Die gute Nachricht für Freunde des Handballs im Land: Der Weltmeister muss nun doch nicht zu den Zwergen gerechnet werden, wie die Pessimisten vermutet hatten; es finden sich im größten Handballverband der Welt doch noch einige Spieler, die einigermaßen mit der Kugel umgehen können.

Michael Haaß freut sich: Die deutsche Mannschaft gewann gegen Tunesien. (Foto: Foto: rtr)

Die weniger gute Nachricht: Zwar sind die Deutschen keine Zwerge, aber was sie stattdessen sind, das ist nach dem ersten Wochenende der Handball-WM in Kroatien mit einem Unentschieden gegen Russland (26:26) und einem Sieg gegen Tunesien (26:24) schwer zu sagen.

Eine junge, schwungvolle Mannschaft, die auf dem Feld mit Begeisterung und Wucht zu Werke geht? Eine naive Auswahl, die blind in die Fallen des Gegners rennt? Eine Mannschaft mit toller Abwehr und müdem Angriff oder doch eher eine mit kraftvoller Attacke und löchriger Defensive? Die Antwort ist: Sie sind das alles, und noch viel mehr. Und deshalb ist überhaupt nicht vorherzusagen, was sie in diesem Turnier noch alles anstellen werden.

26:24 gegen Tunesien

Auch Bundestrainer Heiner Brand weiß noch nicht so genau, was er von der Mannschaft halten soll. Er selbst hat diese Auswahl zusammengestellt, er hat ein paar Etablierte nicht mehr berücksichtigt und ein paar Neulinge dazugebeten. Am Sonntag gegen Tunesien musste er erlebten, wie diese neue Mannschaft sämtliche Facetten zwischen überragend und erbärmlich auslotete, eine Nationalmannschaft mit solchen Schwankungen hat es schon lange nicht mehr gegeben.

Bereits nach sechs Minuten nahm Brand die erste Auszeit, sein Team lag 1:5 zurück und spielte miserabel. ,"Ich habe den Jungs gesagt, dass sie jetzt nicht panisch werden dürfen'", sagte er. Nach der Auszeit stand es rasch 1:6, und zu diesem Zeitpunkt sah es finster aus für die Deutschen. ,"Da haben wir zuviel gewollt'", befand Torsten Jansen, aber dass die Auswahl in dieser Phase überhaupt etwas wollte, war nicht zu erkennen.

Dann aber, als hätten die Spieler ihren eigenen Anpfiff gehört, kämpften sie sich nach knapp zehn Minuten zurück in die Partie, 12:12 stand es zur Halbzeit, eng war es bis zum Schluss, doch diesmal behielt das junge Team die Nerven- anders als am Vortag gegen Russland, als es einen Fünf-Tore-Vorsprung verspielte.

"Wir haben am Sonntag schon aus den Fehlern vom Samstag gelernt'", sagte Martin Strobel, der erst 22 Jahre alte Mittelmann. ,"Unsere Willensstärke war diesmaöl entscheidend'", sagte Holger Glandorf. Heiner Brand befand: ,"Wenn man sieht, wie die Mannschaft kämpft, dann gibt das Zuversicht für die nächsten Spiele.'" Bei den Olympischen Spielen hatte Brand den Eindruck gewonnen, dass nicht alle an ihre Grenzen gegangen waren. Diesen Eindruck erweckt die jetzige Mannschaft nicht mehr.

Am Samstagabend, nach dem 26:26 gegen Russland, hatte Brand gesagt: "Wenn mir vorher jemand das Unentschieden angeboten hätte, dann hätte ich es vielleicht angenommen." Was er aber auch sagte: "Wenn man sich den Spielverlauf ansieht, kann man mit den Ergebnis nicht zufrieden sein." Was wiederum daran liegt, dass die Deutschen auch dieses Spiel hätten gewinnen können und mit mehr Erfahrung auch gewonnen hätten.

Es gab eine Phase, in der die deutsche Auswahl die Partie dominierte; die Abwehr arbeitete hervorragend, den Russen fiel kein Mittel ein, den Verbund zu knacken, und vorne trafen Spieler wie Michael Müller, ganz neu dabei und eine große Hoffnung im rechten Rückraum. Es lief für die Deutschen wie im Traum, alles klappte, und es bestand Anlass zu der Hoffnung, dass hier überraschend etwas Großes entstehen könnte: eine neue Mannschaft, die fehlende Erfahrung mit Freude und Energie überspielt.

Dann aber verloren die Deutschen die letzten neun Minuten der Partie 1:6, so dass es ein Unentschieden wurde. ,"Ich weiß, was Sie fragen wollen'", sagte Pascal Hens, ,,war es ein Punktgewinn oder ein Punktverlust?" Er beantwortete die Frage dann auch, indem er ausführte: Es war ein bisschen was von beidem. Das Ergebnis passte also gut zu einer Mannschaft, die ein bisschen was von allem ist.

Bei allen Unwägbarkeiten gibt es auch Konstanten im Team; die wichtigste ist die Hamburger Fraktion um Hens. 17 von 26 Toren gegen die Russen gingen auf das Konto von Torsten Jansen (sieben), Stefan Schröder (eins) und eben Hens, der neun Treffer erzielte. Dazu kommt Torwart Johannes Bitter, der am Samstag sehr gut hielt, am Sonntag eher schlecht. Dennoch: An diesem Kern vom HSV Hamburg kann sich der Rest orientieren. Selbst der mit Lob sparsame Brand sagte: "Man hat gesehen, welche Bedeutung Pascal Hens für uns hat." Auch am Sonntag war Hens mit sechs Treffern wieder bester Schütze.

Dass nun auch der Hamburger Rechtsaußen Schröder ein bedeutender Spieler fürs Team ist, liegt daran, dass sich mal wieder ein Spieler schwer verletzt hat: Der Magdeburger Christian Sprenger erlitt einen Innenbandriss am Knie und reiste am Sonntag ab. Damit immerhin haben sie alle bereits Erfahrung, denn dass sich deutsche Nationalspieler bei großen Turnieren verletzen, ist mittlerweile erschreckend selbstverständlich. Am Montagabend entscheidet Brand, ob er jemanden nachnominiert.

Was von dieser Mannschaft nun zu halten ist? Im Hollywood-Film "Forrest Gump" zitiert die Titelfigur mehrmals eine Art Weisheit: "Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt." Wenn man nun in diesem Satz "Das Leben" ersetzt durch "Die deutsche Handball-Nationalmannschaft", dann hat man die unberechenbare Auswahl von 2009 trefflich beschrieben.

© SZ vom 18.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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