Handball-WM:Bitteres Ende der Sigurdsson-Ära

Lesezeit: 3 min

Geschockt: Torhüter Andreas Wolff nach dem Abpfiff (Foto: REUTERS)
  • Trotz Führung bis kurz vor Abpfiff scheitern die deutschen Handballer bei der WM mit 20:21 im Achtelfinale an Katar.
  • Im letzten Spiel des Bundestrainers Dagur Sigurdsson geht alles schief.
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Von Joachim Mölter, Paris

Ach, was hatte der Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson nicht gewarnt vor Katar: Ein "unangenehmer Gegner" sei das, mit starken Rückraumspielern, das könne gefährlich werden im Achtelfinale dieser Handball-WM in Frankreich. Und auch der deutsche Torhüter Andreas Wolff hatte zur Vorsicht gemahnt: "Vielleicht haben sie nur auf die K.o.-Runde gewartet, um ihren besten Handball zu spielen." Gut, im Palais Omnisports von Paris-Bercy trafen am Sonntagabend der Europameister und der Asienmeister aufeinander, dahinter hätte man ein Duell auf Augenhöhe vermuten können. Aber die Paarung, die sich aus den Vorrundenergebnissen ergab, lautete eben auch Gruppenerster gegen Gruppenvierter, was hätte da schiefgehen sollen für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB)?

Nun, es ging alles schief: Vor 10 000 Zuschauern unterlag die mit großen Ambitionen in das Turnier gestartete deutsche Mannschaft 20:21 (10:9) und ist damit ausgeschieden. "Das ist ein großer Schock für uns", gab Sigurdsson mit leerem Blick zu. Im Viertelfinale am Dienstag treffen nun die Katarer auf Slowenien, das sich gegen Russland durchgesetzt hat (32:26).

Mit dem WM-Aus ging die Ära von Trainer Sigurdsson zu Ende. 2014 war er aus dem Klubjob bei den Füchsen Berlin ins Bundestraineramt umgezogen, reanimierte die am Boden liegenden Handballer und lenkte sie ins erfolgreiche Jahr 2016: Im Januar gewannen sie in Krakau die EM, im August in Rio Olympia-Bronze. "Wir hatten ein großartiges Jahr", resümierte Sigurdsson, "aber manchmal geht es auch wieder in die andere Richtung." Wer ihm als Bundestrainer folgt, ist nicht offiziell bekannt: Im Gespräch sind die Bundesliga-Trainer Christian Prokop (DHfK Leipzig) und Markus Baur (TVB Stuttgart). Sigurdsson wird Nationalcoach in Japan, beim Olympia-Gastgeber 2020.

Bei Olympia 2016 in Rio hatten die Deutschen die Kataris noch bezwungen, 34:22 im Viertelfinale; auch deshalb blieben die Warnungen wohl ungehört. Denn eine unterschwellige Angst ist ja immer da bei favorisierten Teams - die Angst vor dieser einen schlechten Partie, dieser einen schwachen Halbzeit, welche die Arbeit von Monaten und Jahren zunichtemachen kann. Bei der WM war das schon am Sonntagnachmittag zu bestaunen gewesen. Eine halbe Stunde, ehe die DHB-Auswahl ihre Arbeit aufnahm, beendeten die Dänen ihr Mitwirken. Die Olympiasieger um den zweimaligen Welthandballer Mikkel Hansen unterlagen den Ungarn 25:27 - damit hatte die WM ihre erste große Überraschung. Durch die Vorrunde waren die Dänen nämlich unbesiegt spaziert - und die Ungarn nur als Gruppenvierter gestolpert. Die Konstellation war die gleiche gewesen wie zwischen Deutschland und Katar, das hätte die letzte Warnung sein müssen.

Im Vergleich zu ihrer Heim-WM in Doha, bei der sie vor zwei Jahren den zweiten Platz belegt hatten, fehlten den Katarern etliche der damals eingebürgerten Profis: der wurfgewaltige Linkshänder Zarko Markovic im Rückraum beispielsweise, der wuchtige Borja Vidal am Kreis, der Rückhalt Goran Stojanovic im Tor. Immerhin war dessen Kollege Danijel Saric noch dabei, ebenfalls ein Meister seines Fachs. Der 39-Jährige verhinderte mit etlichen Paraden, dass die Deutschen davonzogen. Er wehrte fast die Hälfte aller Würfe ab, die auf sein Tor kamen, eine überragende Quote. Sein Gegenüber Andreas Wolff war allerdings noch besser, unter dessen abgewehrten Bällen waren gar drei Siebenmeter. Kurzum: Die Torhüter waren Weltklasse.

Die DHB-Auswahl führte von Anfang an, zweimal mit vier Toren Vorsprung - beim 6:2 (11. Minute) und später noch einmal beim 17:13 (44.). "Da hatte wir alles im Griff", fand der viermalige Torschütze Patrick Groetzki, "aber danach haben wir viel zu lange kein Tor geworfen." Trainer Sigurdsson sprach davon, dass seine Spieler in dieser Phase "zu statisch, zu ängstlich" agiert hätten. "Holger Glandorf kam mit sehr viel Mut", nahm er den reaktivierten Weltmeister von 2007 und viermaligen Torschützen von der Kritik aus: "Aber es waren viel zu wenige, die gut drauf waren."

Herrliche Freiheiten: Bassel Alrayes hat viel zu viel Platz - und Torwart Andreas Wolff kann nicht alles halten. (Foto: Thomas Samson/AFP)

So konnten die Katarer noch zweimal ausgleichen, zum 17:17 (52.) und 20:20 (57.), ehe sie ihr überragender Rückraumspieler Rafael Capote mit seinem neunten Tor in Führung brachte, zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend. Das reichte für die zweite WM-Überraschung an diesem Sonntag. "Wir haben zu viele Fehler gemacht, auch ich", sagte Sigurdsson lapidar.

"Für Dagur Sigurdsson tut es mir unfassbar leid", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning nach dem Aus: "So eine Niederlage gehört zu einer großen Trainer-Karriere. Es ist nur schade, dass es sein letztes Spiel war für uns."

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Der 43 Jahre alte Isländer sah das alles so kühl und klar wie er die deutschen Handballer in den vergangenen zweieinhalb Jahren in die Weltspitze zurückgeführt hatte: "Ich bin enttäuscht, dass wir verloren haben", sagte er, "aber dass es mein letztes Spiel war, ist kein Extra-Drama." Die, die ihm nahestanden, glaubten dennoch, etwas mehr Feuchtigkeit in seinen Augen gesehen zu haben, als er ging.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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