Handball-EM:Deutsche Handballer zaubern sich zum Mitfavoriten

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Alles im Griff: Der deutsche Kapitän Steffen Weinhold ist auch von mehreren ungarischen Gegenspielern nicht vom Ball zu trennen. (Foto: Adam Nurkiewicz/Getty Images)
  • Die deutschen Handballer gewinnen bei der EM in Polen deutlich mit 29:19 (17:9) gegen die ungarische Auswahl.
  • Die junge Mannschaft hat damit alle Chancen, das Halbfinale zu erreichen.
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Von Joachim Mölter, Wroclaw

Die deutschen Handballer fingen früh zu zaubern an in ihrem ersten Hauptrundenspiel bei der EM in Polen, nach nicht einmal 20 Minuten: Der Rückraumspieler Steffen Fäth stürmte auf eine Lücke zu, die ihm sein Wetzlarer Klubkollege Jannik Kohlbacher am Kreis freigeblockt hatte, Ungarns Verteidiger eilten herbei, um das Loch zu stopfen; doch anstatt zu werfen, wuppte Fäth den Ball hinter seinem Rücken mit einem leichten Klaps aus dem Handgelenk zu dem nun allein gelassenen Kohlbacher - es war eine Art Hackentrick des Handballs, der Kreisläufer hatte keine Mühe mehr, den Ball im Tor unterzubringen. Es war das 12:6 auf dem Weg zum ungefährdeten 29:19 (17:9)-Sieg. "Ich bin ein bisschen überrascht, dass wir so deutlich gewonnen haben", sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson.

Am Sonntag treffen die Deutschen auf Russland - das wird ein härterer Gegner

Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) hat damit nach Pluspunkten gleichgezogen mit Spanien und Dänemark, die als Gewinner ihrer jeweiligen Vorrundengruppe je 4:0 Zähler mit in die Hauptrunde nahmen und zudem mit einer längeren Ruhepause belohnt wurden; sie greifen erst am Sonntag wieder ins Geschehen ein, im direkten Duell. Das DHB-Team (4:2) trifft zuvor auf Russland (18.15 Uhr/ARD). Dann wird sich zeigen, was der Erfolg vom Freitagabend wert ist; ob die Spieler also weiter von der Halbfinal-Teilnahme träumen dürfen. "Die Ungarn haben keinen guten Tag gehabt", fand nämlich Teammanager Oliver Roggisch: "Ihre Abwehr war nicht gut, und ein guter Torwart hält auch ein paar Bälle mehr." Roggisch riet deshalb, "auf dem Boden zu bleiben"; seine wichtigste Erkenntnis aus der Partie war: "dass wir eine gute zweite Reihe haben."

Trainer Sigurdsson konnte jedenfalls schon Mitte des zweiten Durchgangs seine Stammkräfte schonen und den Ersatzspielern Gelegenheit geben, Spielpraxis und Erfahrung zu sammeln. "Am Ende der ersten Halbzeit war das Ding durch", resümierte Kreisläufer Erik Schmidt, der mit dem jungen Rückraumspieler Simon Ernst, 21, den etatmäßigen Block im Abwehrzentrum mit Hendrik Pekeler und Finn Lemke entlastete. Die Umstellungen beeinträchtigten das Spiel der deutschen Handballer keineswegs, Ernst konnte sich sogar in die Torschützenliste eintragen - er traf zum zwischenzeitlichen 28:16 (55.).

Erstaunlich, wie wenig den Ungarn einfiel

Sigurdssons Spielern gelang an diesem Abend vor 4000 Zuschauern in der Jahrhunderthalle von Wroclaw, dem ehemaligen Breslau, fast alles, nicht nur der Quasi-Hackentrick von Fäth zu Kohlbacher. Torhüter Andreas Wolff, ebenfalls ein Wetzlarer, entnervte Ungarns Angreifer mit elf Paraden bei 27 Würfen, einer Quote von 41 Prozent, ein überdurchschnittlicher Wert. Sein Kollege Carsten Lichtlein wehrte in der Schlussphase zudem zwei Siebenmeter ab. Wobei die Abwehr selbst in wechselnden Besetzungen generell wenig Würfe zugelassen hatte. "Ich denke schon, dass wir heute extrem gut waren", bilanzierte der aus Berlin kommende Linkshänder Fabian Wiede, mit sechs Treffern erfolgreichster Torschütze: "Wir waren vor allem sehr dominant in der Abwehr."

Es war allerdings erstaunlich, wie wenig den Ungarn einfiel, um die kompakt stehende Defensive der Deutschen mal auseinanderzureißen. Das hatte Sigurdsson anders erwartet, weil auf der Gegenseite Talant Duschebajew coachte, "schon als Spieler ein sehr erfahrener Stratege und Taktikfuchs", wie der Isländer sich erinnerte. Doch der zweimalige Welthandballer Duschebajew - in Kirgisien geboren, in Russland aufgewachsen, inzwischen mit einem spanischen Pass ausgestattet und hauptberuflich Trainer beim polnischen Spitzenklub KS Vive Kielce - schüttelte an der Seitenlinie immer wieder nur hilflos den Kopf. "Ich habe meine Spieler schlecht vorbereitet, in jeder Hinsicht", räumte er ein: "Die Niederlage geht ganz allein auf meine Kappe."

Sigurdsson: "Wir wachsen von Spiel zu Spiel"

Nach der verpassten WM-Qualifikation für Katar 2015 hat Duschebajew einen Umbruch eingeleitet und um sechs verbliebene Routiniers herum ein neues Team aufgebaut; damit sind die Ungarn, immerhin Olympia-Vierter von London 2012, in einer ähnlichen Lage wie die Deutschen. Doch die sind schon einige Schritte weiter in ihrer Entwicklung. "Wir wachsen von Spiel zu Spiel", lobte Sigurdsson sein mit 14 EM-Debütanten angetretenes Team, vom Altersdurchschnitt her das jüngste des Turniers.

In der Tat hat sich die DHB-Auswahl im Verlauf der EM kontinuierlich gesteigert, gegen Ungarn musste sie erstmals keinem Rückstand hinterherlaufen. Eingeleitet von dem fünffachen Torschützen Tobias Reichmann ging es mit einem 3:0 los, beendet wurde das Ganze dann von dessen Vertreter Johannes Sellin: Der Rechtsaußen erzielte das 29:19 aus der Rückraummitte. So was sieht man im Handball ähnlich selten wie Fäths Zauberpass auf Kohlbacher.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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