Handball:DHB-Kapitäne fahren als Touristen nach Rio

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Steffen Weinhold wühlt sich durch die Abwehr des Gegners. Eine Verletzung kostet ihn seinen sicheren Platz im Olympia-Kader. (Foto: dpa)

Handball-Bundestrainer Sigurdsson streicht zwei Europameister und setzt bei Olympia dafür auf ein anarchisches Element. Kann das gut gehen?

Von Ralf Tögel, Stuttgart

Die Kapitäne sind an Bord, wenn die deutsche Handball-Auswahl zu den Olympischen Spielen nach Rio reist. Das ist die gute Nachricht für Steffen Weinhold, 29, und Carsten Lichtlein, 35. Der Linkshänder und der Torhüter waren bekanntlich die beiden Anführer der jungen deutschen Mannschaft, die Ende Januar so überraschend wie mitreißend zum Europameistertitel gestürmt war. Doch die beiden Routiniers werden erst einmal nicht im Olympischen Dorf in Rio anzutreffen sein, sie werden auch nicht mit der Mannschaft trainieren: Sie sind die Nummern 16 und 17 in einem Kader, der sich auf 14 Akteure beschränken muss.

Es werde Härten geben, hatte Bundestrainer Dagur Sigurdsson vor dem Testspiel gegen Tunesien am Mittwochabend noch gesagt, das der Europameister 38:32 gewann. Der Vergleich sollte letzte Erkenntnisse bringen für die Olympia-Nominierung. Die Namen, die Sigurdsson am Donnerstag dann verkündete, hatte er aber wohl längst im Kopf. Bob Hanning, als Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Handballbundes (DHB) für die Nationalmannschaft zuständig, kritisierte die olympische Kader-Verknappung: Zu Welt- und Europameisterschaften dürfen ja jeweils 16 Spieler gemeldet werden. "Kein anderes Turnier ist so verletzungsgefährdend wie Olympia, das ist einfach nicht in Ordnung", findet Hanning. In Erik Schmidt, Jannik Kohlbacher und Rune Dahmke, der beim EM-Finale gegen Spanien mit vier Treffer noch zweitbester deutscher Schütze war, fielen drei Europameister der letzte Nominierungsrunde zum Opfer, zudem traf es Göppingens Mittelmann Tim Kneule. Weinhold und Lichtlein haben immerhin eine theoretische Chance. Beide können bei Verletzungen nachnominiert werden, müssen ansonsten aber dem Olympia-Alltag fernbleiben.

Weinhold fehlte schon im Aufgebot gegen Tunesien, eine Vorsichtsmaßnahme wegen eines zwickenden Muskels, hatte Sigurdsson nach dem Spiel erklärt. Was sich dann aber als Muskelfaserriss herausstellte und den Linkshänder nun überraschend zum Olympia-Touristen macht. Noch härter dürfte es Carsten Lichtlein treffen, der schon beim EM-Finale in Krakau hatte zusehen müssen, weil sich Andreas Wolff im Turnierverlauf zum unentbehrlichen Rückhalt steigerte. Dieses Mal gibt Sigurdsson dem anarchischen Element eine Chance, er entschied sich gegen den besonnenen Gummersbacher und für den extrovertierten Berliner Füchse-Keeper Silvio Heinevetter. Für den vorbildlichen Teamplayer Lichtlein darf man es als Belohnung verstehen, dass er mitfährt; es werden wohl seine letzten Olympischen Spiele sein.

Bei Steffen Fäth geht Sigurdsson dagegen ins Risiko, der wurfgewaltige Rückraumspieler erhält die so genannte P-Akkreditierung. Fäth, dem am Nominierungs-Donnerstag nach seinem Mittelhandbruch noch Drähte aus der rechten Wurfhand entfernt wurden, ist Ersatzspieler, er darf mit der Mannschaft trainieren und ist erster Nachrücker. Die sportliche Führung der DHB-Auswahl hat mit dieser großzügigen Auslegung eine recht salomonische Lösung hinbekommen; es war ja anzunehmen, dass die bei der EM noch verletzten Außenspieler Patrick Groetzki und vor allem Kapitän Uwe Gensheimer in den Kader zurückkehren werden.

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Nach zwei zweiten Plätzen in zwei Jahren gewinnen die Rhein-Neckar Löwen die deutsche Handballmeisterschaft. Der scheidende Uwe Gensheimer erfüllt sich einen Lebenstraum.

Auch Groetzki kann der Beschränkung nichts abgewinnen: "Ich glaube nicht, dass zwei Plätze mehr das Olympische Dorf überfluten würden", sagt der Rechtsaußen vom Meister Rhein-Neckar Löwen, "diese Entscheidung verstehe ich nicht unbedingt". Der DHB wird in jedem Fall eine Mannschaft nach Brasilien entsenden, die in der Lage ist, eine Medaille zu gewinnen. Für Torhüter Wolff, einer der Pfeiler der Mannschaft, ist klar welche: "Ich will jedes Turnier gewinnen."

Der Test gegen Tunesien stärkt diese These, die deutsche Mannschaft bewies erneut, dass sie mittlerweile in der Lage ist, Gegner vom Kaliber des Zweiten der Afrika-Meisterschaft sicher in Schach zu halten. Es fehle zwar besonders in der Defensive an Feinarbeit, erinnert Abwehrchef Finn Lemke: "Absprachen und Automatismen funktionieren noch nicht optimal." Doch dafür bleibt genügend Zeit bis zum Olympia-Auftakt am 7. August gegen Schweden. Beeindruckend war die Homogenität im deutschen Team, egal wer auf dem Feld stand, es gab keinen Bruch, das Spiel ist kaum auszurechnen. Bei Tunesien konzentrierte sich das Geschehen auf die Rückraumwerfer Bannour und Jallouz, sowie Kreisläufer Tej, die zusammen 19 Treffer erzielten.

"Das ist eine neue Generartion"

Sigurdsson weiß um die außerordentliche Breite in seinem Kader. Da ist die famose Flügelzange Gensheimer und Tobias Reichmann, stete Empfänger der Präzisionspässe von Torwart Wolff für ihre Konter. Die Innenblocker-Türme Patrick Wiencek und Finn Lemke packen einerseits zu wie Schraubstöcke, sind dennoch flink und beweglich. Der Stratege Martin Strobel übernimmt in heiklen Phasen Verantwortung und weiß das Spiel in jede Richtung zu lenken. Hinzu kommen wuchtige Rückraumschützen wie Paul Drux, Christian Dissinger, Julius Kühn oder Kai Häfner, Spieler, die dem Positionsspiel mit einfachen Toren Entlastung verschaffen können. Tunesiens Trainer Hafedh Zouabi, dessen Auswahl ebenfalls in Rio an den Start geht, war beeindruckt: "Das ist eine neue Generation, diese Mannschaft hat eine große Chance aufs Podium."

Auch weil sie trotz ihrer Jugend mental sehr stabil ist, wie Finn Lemke bestätigt: "Wir haben jetzt diese Selbstverständlichkeit, Spiele zu gewinnen." Resultat einer "großen Homogenität", sagt Lemke, "jeder weiß seine Fähigkeiten ideal einzubringen". Auf oder neben dem Feld.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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