Hamburger SV:"Wir waren ganz schlecht"

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Feierkerze: Bremens Trainer Alexander Nouri stemmt den Torschützen Florian Kainz. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Der Hamburger SV akzeptiert schnell die Derby-Niederlage in Bremen. Viel zu viel hat nicht gepasst bei diesem 1:2.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Der blaue Mannschaftsbus des Hamburger SV hatte etliche grün-weiße Farbspritzer abbekommen, auch einige Flaschen barsten lautstark an der Seite des Fahrzeugs. Das Geräusch habe ihn, "wenn ich ehrlich bin", zusammenzucken lassen nach den Ereignissen in Dortmund, bekannte HSV-Trainer Markus Gisdol. Doch das, so Gisdol, "unsensible" Verhalten einiger Werder-Fans vor dem Nordderby wollten die Hamburger nicht anführen als einen Grund für die 1:2-Niederlage im 106. Bundesliga-Duell beider Klubs. "Das Ding machen wir nicht größer als es ist", sagte HSV-Sportchef Jens Todt, "wir haben uns davon nicht einschüchtern lassen."

Das ehrt den früheren Werder-Profi Todt. Doch eingeschüchtert wirkten die Hamburger irgendwie doch. Und das, obwohl sie schon in der sechsten Minute einen wunderschönen Treffer zum 1:0 erzielt hatten. Aaron Hunt, ebenfalls einst in Bremen aktiv, hatte den Ball so präzise auf den Kopf von Michael Gregoritsch geflankt, dass diesem kaum etwas anders übrig blieb, als ihn im Tor zu platzieren. Doch das blieb die einzige Szene, in der Hunt seinen alten Freunden wehtat. Von der ersten Minute an wurde er ausgepfiffen. So etwas musste er zuweilen schon als Werder-Spieler durchmachen. Es habe ihm nichts ausgemacht, behauptete er, schließlich sei er inzwischen "30 Jahre alt und nicht mehr 18". Wer die Partie sah, könnte ihn der Falschaussage überführen. Die hitzige Derby-Atmosphäre schien nicht nur ihn, sondern auch andere Profis aus der größeren Hansestadt zu bremsen.

Der Lichtblick: Bakery Jatta, der 2015 aus Gambia floh, gab ein gutes Debüt beim HSV

Hunt gab nach seinem ersten Spiel seit fast drei Jahren im Weserstadion auch zu, "dass Werder heute über weite Strecken das bessere Team war". HSV-Kapitän Gotoku Sakai ging noch weiter mit der Selbstkritik: "Wir waren ganz schlecht. Alle müssen mehr Verantwortung auf dem Platz übernehmen." Es habe bei vielen die Konzentration gefehlt. Der Bremer Zlatko Junuzovic hatte ja Recht, als er feststellte: Der HSV habe nach dem Führungstor "in keiner Phase eine Idee gehabt", wie er ein zweites Tor hätte erzielen können.

Das mag zum einen daran gelegen haben, dass Schlüsselspieler wie der Oberkämpfer Kyriakos Papadopoulos (gesperrt), der Torjäger Bobby Wood, sein Pendant Nicolai Müller sowie der zuletzt überragende Torwart René Adler (alle verletzt) fehlten. Andererseits erreichte niemand jene "100 Prozent", die sich Reservetorwart Christian Mathenia bei einem Derby gewünscht hätte. Man hätte neben Hunt auch den Dauerläufer Lewis Holty, den brasilianischen Olympiasieger Walace oder Außenstürmer Filip Kostic nennen können. Und dass der Bremer Max Kruse nicht nur nach Ansicht Gisdols der entscheidende Spieler am Ostersonntag war, hatte auch mit seinem völlig überforderten Gegenspieler Gideon Jung zu tun.

"Es war ein bisschen zu viel, was heute nicht gestimmt hat", sagte der Trainer Gisdol, der sich immerhin freute, dass Kruse vorerst "nicht mehr gegen uns spielt". Man sei erstmals nach längerer Zeit "nicht als Mannschaft aufgetreten", ergänzte Verteidiger Dennis Diekmeier. Auch das ist ein bitterer Vorwurf ans eigene Team. Nur einer war ein kleiner Sieger. Bakery Jatta, der 2015 auf kompliziertem Weg aus Gambia nach Deutschland floh, wurde erstmals in einem Bundesligaspiel eingewechselt. Er erzielte in der Nachspielzeit sogar ein Tor. Eine Abseitsstellung verhinderte ein Fußball-Märchen mit Happy End.

So waren die Treffer von Kruse zum 1:1 (41.) und des eingewechselten Florian Kainz (75.), der ein geschicktes Zuspiel von Kruse aufnahm, folgerichtig. Auch Mathenia, der schon nach 40 Sekunden das 1:0 der Bremer mit einem tollen Reflex gegen Kruse verhinderte, hatte am zweiten Gegentreffer seinen Anteil, weil er die kurze Ecke nicht zumachte.

Die Lage für die Hamburger hat sich also wieder zugespitzt mit nur einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz. Aber das kratzt sie offenbar wenig. Vielleicht ist das ja die in vier Jahren Abstiegskampf gewonnene Erfahrung. Gisdol behauptet gar: "Die Situation ist unverändert." Man rechne ohnehin damit, dass bis zum letzten Spieltag alles eng zusammenbleibe. Man werde "voll auf Spannung und Sendung bleiben". Am Samstag kommt mit dem designierten Absteiger Darmstadt ein tückischer Gegner ins Volksparkstadion.

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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