Hamburger SV:Wieder vor dem großen Berg

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Wo bin ich denn hier gelandet? Hamburgs neuer Verteidiger Emir Spahic zieht am Tag nach der Jena-Niederlage ein Rad zum Straftraining. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Die gleiche Prozedur wie in den Jahren zuvor: Nach dem Erstrunden-Aus im DFB-Pokal ahnen die Hanseaten, dass es in der Bundesliga erneut nur gegen den Abstieg geht. Zumal die Saison am Freitag beim FC Bayern startet.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der "schlimmste Tag", sagt Trainer Bruno Labbadia, sei immer der Tag nach der Blamage. Das könne man nicht "wegschlafen". Dabei haben die Fans, die zum "Straftraining" am Montag- morgen kaum zahlreicher erschienen waren als die circa 30 Medienvertreter, die Profis des Hamburger SV nach der 2:3-Erstrunden-Niederlage im DFB-Pokal bei Viertligist Carl Zeiss Jena nahezu in Ruhe gelassen. Ein paar Selfies mit den Verlierern wurden trotz des neuerlichen Tiefpunktes gewünscht. Und wenn man einige Anhänger fragte, wie es sich anfühle, nun zum Bundesliga-Auftakt am Freitag gleich beim Rekordmeister FC Bayern antreten zu müssen, sagten sie fast schon gleichgültig: "Dann gibt es eben ein 0:5." Der HSV-Fan ist nach jahrelanger Plage und Häme abgehärtet wie ein zu lange gekochtes Ei. Was macht da ein 0:5, wenn man doch beim letzten München-Aufenthalt 0:8 verlor? Und vor zweieinhalb Jahren 2:9?

"Es geht schon wieder los", titelte das Hamburger Abendblatt am Montag und erinnerte an den grottenschlechten HSV-Fußball der vergangenen beiden Spiel- zeiten, der zweimal fast mit dem Abstieg bezahlt worden wäre. Inzwischen ist die Mannschaft binnen eines Jahres personell ziemlich neu aufgestellt worden. Und trotzdem musste Labbadia, der Retter in der vorigen Saison, ähnlich wie seine zahlreichen Trainer-Vorgänger feststellen: "Sie haben nicht zusammen Fußball gespielt. Es fehlte die Leidenschaft." Als sei das am Volkspark eine chronische Krankheit.

Trotzdem beeilte sich der einstmals selbst sehr leidenschaftliche Fußballer Labbadia mit der Feststellung, es handele sich keinesfalls um eine "Mentalitätsschwäche". Was aber soll es sonst gewesen sein - außer ein paar Fitness-Defiziten bei Spielern wie dem Chilenen Marcelo Diaz oder dem von Cagliari Calcio verpflichteten Schweden Albin Ekdal, die später mit der Saison-Vorbereitung begannen?

Würde man allein das Jena-Spiel zum Maßstab nehmen, müsste man Profis wie Cleber, Gotoku Sakai, Emir Spahic, Ekdahl, Lewis Holtby, Ivica Olic und Pierre-Michel Lasogga glatt die Bundesliga-Tauglichkeit absprechen. Sie alle zeigten, dass in der "Hülle HSV nicht eine Top-Mannschaft steckt", wie Labbadia ernüchtert feststellte. Es liege noch ein "großer, großer Berg vor uns". Auch die als sogenannte Führungsspieler gedachten Spahic, Olic, Diaz oder Torwart René Adler wurden von der Begeisterung des zweimal beobachteten Gegners weggespült. Jenas Abwehrspieler René Klingbeil, zwischen 2003 und 2007 selbst beim HSV, hatte beim Blick in die Gesichter der Hamburger nur eines gesehen: "Ratlosigkeit."

Das Hauptproblem liegt dort, wo früher Rafael van der Vaart spielte - im zentralen Mittelfeld

Was noch schlimmer war: Als der HSV mit einem illegalen Tor zum 1:1 durch Olic (der Ball war bei der Flanke von Ivo Ilicevic im Aus) und dem 2:2 durch Michael Gregoritsch in letzter Sekunde noch glücklich die Verlängerung erreichte, folgte die Krönung der Nicht-Leistung obendrauf: Als nahezu jeder zweite Jenaer Spieler unter Krämpfen litt, nutzten die Erstliga-Profis das nicht aus. Sie blieben passiv wie in den 94 Minuten zuvor. Nur ein HSV-Profi stellte sich später den TV-Reportern: René Adler, der bei aller Hochachtung vor der Leistung des Gegners seine Mitschuld am Freistoß-Tor aus 32 Metern zum 0:1 einräumte. Er hatte wegen der Entfernung darauf verzichtet, eine Mauer anzuordnen.

Was Labbadia vor dem Spiel in München tun kann, ist wenig. "Es ist eine kurze Trainingswoche", sagte er und beeilte sich, nach der "extremen Überraschung" nicht alles in Frage zu stellen. Auch den Ruf nach weiteren Verstärkungen vermied er am Montag. Wobei: Wehren würde er sich nicht dagegen, wenn der HSV den Kroaten Alen Halilovic, 19, einen Regisseur, der schon sieben A-Länderspiele bestritt, beim FC Barcelona ausleihen könnte. Liegt doch das Hauptproblem nach dem Abschied von Rafael van der Vaart im zentralen Mittelfeld. Von genialen Spielzügen ist der HSV so weit entfernt wie ein Anfänger beim Schach von einem Matt-Zug.

Die Frage wird sein, ob die von Labbadia kritisch beurteilten Dennis Diekmeier (für Sakai) oder Kerem Demirbay (buhlte zuletzt vergeblich um Einsatzzeiten) in München eine Chance bekommen. Und ob der neue Kapitän Johan Djourou (fiel in Jena kurzfristig wegen Problemen an den Adduktoren aus) ebenso wieder fit sein wird wie die aktuell angeschlagenen Nicolai Müller und Gojko Kacar. "Wir werden in München nicht hoch gewinnen", sagte Labbadia gequält lächelnd.

Was die am Freitag startende Bundes- liga-Saison betrifft, muss man in der Hansestadt wohl doch sehr viel skeptischer sein als der einstige Hamburger Felix Magath. Der tippte vergangene Woche frohgemut einen elften Rang unter den 18 Startern für jenen Verein, den er mal dirigierte. Wahrscheinlich dürfte es aber so werden wie in den Jahren zuvor: Der Kampf gegen den Abstieg beginnt am ersten Spieltag.

© SZ vom 11.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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