Hamburger SV - Hannover 96 (17.30 Uhr):Vergeudete Zeit

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Konnte die Erwartungen noch nicht erfüllen: Hannovers Einkauf Mevlüt Erdinç. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Hannovers Kader-Umbauten im Sommer haben den Klub eher geschwächt als gestärkt. Bevor der neue sportliche Leiter im Winter Zukäufe verpflichtet, darf 96 sich nicht abhängen lassen.

Von JÖRG MARWEDEL, Hannover

Dieser Tage hat die Hannoversche Allgemeine Zeitung Michael Frontzeck sein eigenes Zitat um die Ohren gehauen. Vor zwei Monaten hatte der Trainer von Hannover 96, angesprochen auf den Saison-Fehlstart seines Teams und die damit verbundene Kritik der Medien, gesagt: "Wenn wir jetzt November hätten und uns in der gleichen Situation befinden würden, dann wäre das für mich nachvollziehbar." An diesem Sonntag, wenn Hannover 96 beim Hamburger SV antritt, hat der November begonnen. Und es lässt sich feststellen: Es ist im Grunde gar nichts besser geworden.

Zwar stand 96 am Freitag noch auf dem Nicht-Abstiegsplatz 15, doch die Frage, ob die Mannschaft überhaupt bundesligatauglich ist, wird nicht erst seit der 1:2-Niederlage im DFB-Pokal am Dienstag bei Darmstadt 98 immer lauter gestellt - und damit auch die nach der Zukunft von Frontzeck, der seine Profis zumindest öffentlich weiter in Schutz nimmt. Der Coach, im Mai noch nach überstandenem Abstiegskampf als Retter gefeiert, war zusammen mit dem bisherigen Sportchef Dirk Dufner für jene sommerlichen Einkäufe verantwortlich, die das Team bisher nicht verstärkt, sondern geschwächt haben. Ende August lehnte Frontzeck, obwohl Klubchef Martin Kind weiteres Geld für Transfers in Aussicht gestellt hatte, weiteres Personal sogar ab - mit dem Argument, er habe Vertrauen in die Entwicklung der sieben Zugänge.

Klubchef Kind lobt den Hamburger Trainer als "schlicht super"

Aber unter Frontzeck ist keiner von ihnen gereift. Von den Neuen hat bislang nur Oliver Sorg, der vom Absteiger SC Freiburg kam, einen Stammplatz. Umso wichtiger war, dass der neue Geschäftsführer Martin Bader am Freitag seine erste Verpflichtung melden konnte. Es ist Christian Möckel, der ihm schon beim 1. FC Nürnberg fünf Jahre als Chefscout zuarbeitete. Möckel, zuvor in Hoffenheim im selben Arbeitsfeld tätig und angeblich mitverantwortlich für die Verpflichtung der damaligen Talente Luis Gustavo und Demba Ba, soll als Sportlicher Leiter nun in der Winter-Transferphase bis zu fünf neue Spieler verpflichten. Beim aktuellen Zweitligisten Nürnberg weint man Möckel allerdings nicht hinterher. Ob der frühere Zweitliga-Spieler den Hannoveranern helfen kann? Immerhin hat er für den Club auch den heutigen 96-Regisseur Hiroshi Kiyotake entdeckt. Viermal soll er damals nach Japan geflogen sein, um Kiyotakes Umfeld und seine Klasse abzuklopfen.

Für Frontzeck wiederum geht es zunächst mal darum, vor dem Start in die Rückrunde punktemäßig nicht schon von der Konkurrenz abgehängt zu sein. Martin Kind lobt längst nicht mehr den eigenen Trainer, sondern den des sonntäglichen Gegners. Bruno Labbadia hatte den HSV aus einer noch schlimmeren Lage befreit als sein Kollege die 96er. Doch anders als Frontzeck den "kleinen HSV" hat Labbadia den "großen HSV" erstmals nach zweieinhalb Jahren wieder ins Mittelfeld der Tabelle gehievt. Deshalb findet Kind Labbadia "schlicht super". Er habe der Mannschaft ohne den Riesendruck des Existenzkampfes die Spielkultur zurückgegeben.

Angriffsspiel? Praktisch nicht vorhanden

Von echter Spielkultur ist 96 derzeit so weit entfernt wie der kahlköpfige Frontzeck von einer Beatles-Frisur. Nicht einmal das Vereinsmaskottchen Dieter Schatzschneider kann sich vorstellen, wie man in Hamburg gewinnen soll. Dabei hat 96 seit dem Wiederaufstieg 2002 eine exzellente Bilanz gegen den Nordrivalen. Nur sieben von 26 Partien konnten die Hamburger gewinnen. Die Torausbeute des HSV ist mit neun Treffern in zehn Spielen auf den ersten Blick zwar nicht besser, doch in Wirklichkeit klaffen auch dort große Unterschiede. Ein Angriffsspiel gibt es bei 96 praktisch nicht mehr. Unter anderem, weil der für den nach England zu Stoke City abgewanderten Josélu aus St. Etienne gekommene Mevlüt Erdinc (3,5 Millionen Euro Ablöse) bislang so wenig Torgefahr ausstrahlt, dass jeder einzelne Cent zu viel erscheint. Erdinc' Ausbeute: null Bundesliga-Tore in acht Spielen, in denen er meist nur ein paar Minuten auflaufen durfte. Bester Schütze ist Artur Sobiech mit zwei Treffern.

Was Frontzeck diesmal Hoffnung macht: Salif Sané und Manuel Schmiedebach sind nach Blessuren wieder fit - sie zählen neben Torwart Ron-Robert Zieler und Kiyotake noch zu den besten Akteuren im verunsicherten Team. Zudem habe sich die Mannschaft über die Niederlage in Darmstadt und zuvor gegen Eintracht Frankfurt geärgert, stellte der Coach mit leichter Genugtuung fest. "Den Ärger soll sie ruhig mit nach Hamburg nehmen", befand er. Jetzt soll also Verdruss zu besseren Leistungen führen.

© SZ vom 01.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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