Hamburger SV:Erholung von der Relegation

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Stürmt in Zukunft in der zweiten Liga für 1860 München: Ivica Olic (links). (Foto: Stollarz/AFP)

Der HSV gewinnt ein Testturnier. Das sorgt für Ablenkung von vielen Transferdebatten.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Auf der Suche nach sich selbst haben die Fußballer vom Hamburger SV vergangene Woche in einem rustikalen Holzhaus inmitten bewohnter Fels-Quader gelebt. "Rocks-Resort" heißt die Anlage im schweizerischen Graubünden, in der die Mannschaft soeben ihr erstes von zwei Trainingslagern beendet hat. Die dort verwendeten natürlichen Baustoffe haben den HSV-Sportdirektor Peter Knäbel zu einem esoterischen Zwischenfazit veranlasst. "Stein und Holz", sinnierte Knäbel also, "so eine Umgebung erdet, und man besinnt sich auf das Wesentliche."

Erdung und Besinnung könnte der HSV gut vertragen. Zwei Mal nacheinander hat er in der Relegation auf solch knappe Art und Weise den Klassenerhalt geschafft, dass mehr Glück als Verstand unterstellt wurde. Jetzt plant der letzte Verein, der seit der Liga-Gründung 1963 durchgängig erstklassig ist, mal wieder einen Neuanfang.

Am Sonntag wurde die Sinnsuche erstmals einem fußballerischen Praxistest unterzogen. Und der gelang: Der HSV gewann den in Mönchengladbach ausgespielten Telekom-Cup im Finale nach 45 Minuten Spielzeit 2:1 gegen den FC Augsburg. Titelverteidiger FC Bayern wurde im Spiel 1 nach Schweinsteiger mit zwei Niederlagen (1:2 gegen den FCA; 3:4 im Elfmeterschießen gegen Gladbach) überraschend Letzter. HSV-Trainer Bruno Labbadia hatte vor Turnierstart vielsagend mitgeteilt: "Ich bin sehr gespannt, wie wir auftreten." Ordentlich und wohl auch beflügelt durch die Finaltore von Mohamed Gouaida (2.) und Ivica Olic (33.), bei einem Gegentreffer des Augsburgers Tim Matavz (41.). Allerdings wissen die Hanseaten einen Monat vor dem Saison-Auftaktspiel in München weiterhin nicht, wo sie wirklich stehen. Das liegt vor allem an Transferwirren, die noch in vollem Gang sind. Die Abschiede von Rafael van der Vaart (Betis Sevilla), Maximilian Beister (FSV Mainz 05), Marcell Jansen (Karriereende), Heiko Westermann, Slobodan Rajkovic (beide auf Klubsuche) und Valon Behrami (für geschätzte 3,5 Millionen Euro zum Premier-League-Aufsteiger FC Watford) stehen fest, aber der Verbleib vom Innenverteidiger Jonathan Tah ist weiter ungewiss. An einem möglichen Verkauf des herausragenden Talents, das zurzeit mit der deutschen U19 bei der Junioren-EM in Griechenland spielt, hängen weitere beabsichtigte Zukäufe. Tah will wohl zu Bayer Leverkusen, der HSV erhofft sich geschätzte sechs Millionen Euro Ablöse und würde dann wohl schleunigst den Bochumer Stürmer Michael Gregoritsch verpflichten. Auch Albin Ekdal von Cagliari Calcio und Emil Berggreen von Eintracht Braunschweig sollen auf der Wunschliste stehen. Angesichts derart umfangreicher Ungewissheiten war positiv festzuhalten, dass die Hamburger in Mönchengladbach schon im Halbfinale eine wettbewerbsfähige Elf auf den Rasen brachten und das Nullzunull-Spiel gegen die Elf des Veranstalters im Elfmeterschießen sogleich gewannen. Aus der Startelf fiel als neuer Mann im defensiven Mittelfeld bloß das 20 Jahre alte Eigengewächs Matti Steinmann aus der zweiten Mannschaft auf. Alle anderen Spieler waren bereits an der dramatischen Relegation gegen den Karlsruher SC beteiligt gewesen - einem emotionalen Erlebnis, dem Labbadia große Bedeutung zuschreibt: "Aus meiner Sicht haben uns die letzten Wochen zusammengeschweißt. Darauf müssen wir aufbauen, denn diese Emotionalität hat geholfen, die Mannschaft wiederzubeleben."

Der neue Abwehrchef Emir Spahic ist wegen seines Ausrasters im April noch gesperrt

Doch das allein wird dem HSV kaum genügen. Die Frage, wie sehr die bisherigen Zugänge der Mannschaft helfen können, wird gern diskutiert im Großraum Hamburg. Der neue Außenverteidiger Gotoku Sakai war in Stuttgart zuletzt keine Stammkraft mehr, der neue Abwehrchef Emir Spahic fiel vor drei Monaten (noch im Trikot von Bayer Leverkusen) dadurch auf, dass er einem Leverkusener Ordner vier Zähne ausschlug und suspendiert wurde, Batuhan Altintas hat beim türkischen Erstligisten Bursaspor neun Monate nicht gespielt, und der zuletzt nach Kaiserslautern verliehene Kerem Demirbay durfte zwar mit der U21 zur EM nach Prag reisen, kam dort aber keine einzige Minute zum Einsatz.

Auch Spahic war am Sonntag nicht dabei, weil die dreimonatige Strafe, die er nach seinem Ausraster im April erhielt, erst an diesem Montag endet. Am Mittwoch im Test gegen den Siebtligisten Schneeverdingen soll Spahic seine Premiere feiern. Am Samstag spielt der HSV bei Zweitligist Bielefeld, am Sonntag beginnt das zweite Trainingslager im ostwestfälischen Historienhotel "Klosterpforte". Dort lebten einst Zisterziensermönche, deren geistiges Vermächtnis - Gebet und Arbeit - den HSV-Profis durchaus helfen könnte.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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