Hamburger SV:Dittsche jubelt

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Beim 3:2 gegen Augsburg feiert der HSV den ersten Erfolg unter seinem neuen Trainer. Bruno Labbadia muss erkennen: Für einen Sieg braucht man nicht nur Glück, sondern auch den richtigen Gegner.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Beim ersten Tor nach 595 Minuten für den Hamburger SV musste der Fußball-Gott schon ein bisschen mithelfen. Die Flanke von Heiko Westermann in der 11. Spielminute kam eher zufällig bei Zoltan Stieber an. Der Ungar schoss aus etwa 16 Metern, traf jedoch seinen Mitspieler Ivica Olic. Doch dieser blockte den Ball nicht ab, sondern gab ihm mit dem Knie nur eine andere Richtung. Augsburgs Keeper Marvin Hitz konnte nicht mehr reagieren. Das Tor-Duo Olic/Stieber hatte somit genau jene Art von Glück, die sich Bruno Labbadia gewünscht hatte, als er am 15. April als vierter HSV-Coach in dieser Spielzeit eingestiegen war. Glück brauche man, um diesen Traditionsverein vor dem Sturz in die zweite Liga zu bewahren, sagte er. Nach dem 3:2 gegen einen spielerisch überlegenen Europa-League-Aspiranten aus Augsburg weiß Labbadia aber auch: Außer Glück braucht man noch mehr.

Zum Beispiel brauchte man nach 77 sieglosen Tagen auch einen Gegner, der einen "aufbaut", wie Augsburgs Trainer Markus Weinzierl selbstkritisch über die Anfangsphase seines Teams sagte. Da spielte der FCA den Hamburgern "voll in die Karten", sagte Augsburgs Manager Stefan Reuter, dem nicht entgangen war, dass die Hamburger "total unter Druck standen und nervös waren". Also gestattete man dem alten FCA-Kollegen Matthias Ostrzolek generös eine Flanke, aus welcher der sträflich ungedeckte Pierre-Michel Lasogga, bis dahin ein Torjäger außer Dienst, das erste Kopfballtor des HSV in dieser Saison fabrizierte - zum 2:0 in der 19. Minute.

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(Foto: imago)

Ein Bild, an das man sich erst wieder gewöhnen muss: Ein HSV-Profi schießt ein Tor - in diesem Fall Pierre-Michel Lasogga.

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(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Der Spielverlauf: HSV-Trainer Labbadia wechselt auf drei Positionen, bringt in Gojko Kacar (im Bild), Johan Djourou und Ivo Ilicevic drei neue Spieler.

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(Foto: Michael Probst/Getty Images)

Erster Treffer seit der Rückkehr: Der in der Winterpause zurückgekommene Ivica Olic (r.) sorgt in der elften Minute für das 1:0 des Hamburger SV.

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(Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Großer Jubel: Pierre-Michel Lasogga steht erstmals wieder in der Startelf, prompt dankt er es Trainer Labbadia mit seinem Treffer zum 2:0.

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(Foto: Axel Heimken/dpa)

Mitten in einer Phase Hamburger Euphorie sorgt Augsburgs Raul Bobadilla (M.) nach einer Freistoßflanke für den 1:2-Anschlusstreffer (25.).

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(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Für FCA-Trainer Weinzierl ist das Spiel physisch anspruchsvoll. In der 69. Minute kann er sich jedoch über den 2:2-Ausgleich von Tobias Werner freuen.

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(Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Doppeltorschütze: Eine Desorientierung im Gäste-Strafraum nutzt Stieber mit einem Kopfball zu Lasogga, der den Ball unter die Querlatte jagt (72.).

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(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Ausgleichschance: Paul Verhaegh zielt in der 92. Minuute aus der Distanz nach einem Eckball haarscharf am rechten Torwinkel vorbei. Dann ist Schluss.

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(Foto: Axel Heimken/dpa)

Seltenes Siegesgefühl: Rafael van der Vaart (l.) umarmt Ivica Olic (verdeckt), Torwart René Adler und Heiko Westermann lächeln erleichtert.

Außer Glück und einem günstigen Gegner benötigten die Hamburger aber auch jenen Zusammenhalt, der ihnen seit Langem abgesprochen wird. Er war zu bestaunen auf der Ersatzbank, wo die Reservespieler genauso außer sich waren wie die Torschützen oder der Trainer; er war zu sehen auf der Fantribüne, wo die Profis Lewis Holtby (gesperrt) und Dennis Diekmeier (verletzt) mit HSV-Schals unter den Anhängern standen und sich die Kehlen wund brüllten. Und auch bei Labbadia selbst war der neue Teamgeist zu spüren. Er umarmte nach dem Schlusspfiff fast alle Mitarbeiter wie Lieblingsneffen und sagte: "Geschlossenheit ist unser großer Faustpfand."

Labbadia hatte dieses "Quäntchen Glück" mit seinen Personalentscheidungen auch ein wenig erzwungen. Zum Beispiel setzte er auf Lasogga, jenen hemdsärmeligen Stürmer, der den HSV schon im letzten Jahr mit 13 Toren vor dem Gang ins Unterhaus bewahrt hatte und zuletzt mit Dauerverletzungen herumhumpelte. Labbadia sagte später: "Ich bin kein Zauberer, aber wenn man nur noch wenige Spiele hat, muss man klare Entscheidungen treffen." Dann fügte er an: "Ich musste Pierre hinkriegen." Er könne ja nur hoffen, dass der eine oder andere "durchstartet".

Dass besonders Lasogga (zuletzt am 14. Oktober beim 1:1 gegen Hoffenheim als Torschütze auffällig geworden ) durchstartete und in der 71. Minute nach Vorlage von Stieber auch noch das 3:2 unter die Latte schmetterte, hatte nicht nur mit seinem durch das frühe Kopfballtor gespeisten neuen Selbstbewusstsein zu tun. Es war das Ergebnis jener Kampfkraft, die Labbadia dem ganzen Team eingeimpft hatte mit dem Hinweis, die letzten Partien seien alles "Pokalspiele", in denen man nie aufgeben dürfe.

Zwar wackelten die Hamburger erheblich, als Raul Bobadilla schon in der 25. Minute nach einem Freistoß von Werner zum 2:1 einköpfte. Doch nachdem Stieber mit einem Fehlpass auf Hojbjerg Augsburgs Ausgleich ermöglicht hatte (Hojbjerg passte dann auf den Torschützen Werner), gab Stieber fast im Gegenzug eine weitere Vorlage - diesmal eben zum richtigen Mann, zum frisch erwachten Torjäger Lasogga.

Matchwinner Lasogga stand später im Muskelshirt vor den Kameras und schwärmte: "Wir haben heute alles reingehauen und nach keinem Rückschlag aufgesteckt." Das war tatsächlich neu, denn in der jüngeren Geschichte hatten die Hamburger nach einem Gegentor zumeist gleich aufgegeben. Nicht nur Lasogga bewegte sich in der letzten Viertelstunde auf dem Zahnfleisch, sondern auch die besonders emsigen Kollegen Gojko Kacar, Ivica Olic oder Heiko Westermann. Kapitän Rafael van der Vaart war da schon ausgewechselt worden, hatte zuvor aber der Mannschaft endlich mal wieder geholfen mit Aktionen, die Hand und Fuß hatten. Am Tag danach sagte Lasogga: "Dieser Sieg wird uns ein paar Tage tragen."

Das Publikum feierte derweil schon vor dem Abpfiff, als habe man nun das Rezept gegen den Abstieg gefunden. Olli Dittrich dagegen, bekannt als großer Uwe-Seeler-Fan und noch berühmter als TV-Komikfigur "Dittsche", hat den kleinen Triumph auf seine Weise genossen. Er genoss, als sitze er nicht auf seinem Stadionplatz unter 51 321 Menschen, sondern allein vor dem Fernseher. Er hat durchgepustet, wenn die Augsburger dem HSV-Tor mal wieder sehr nahe gekommen waren, und als Schiedsrichter Welz das Spiel nach 94 Minuten beendete, riss er die Arme hoch. Einen Sitznachbarn hat der schüchterne Komiker dabei nicht berührt. Dabei wirkten manche HSV-Fans so, als sei es ihr glücklichster Tag seit über einem Jahr.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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