Hamburg - Gladbach (15.30 Uhr):Emotionsstrudel

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Wiedersehen: Josip Drmic spielt mit Hamburg jetzt gegen seinen Ex-Klub Mönchengladbach. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Josip Drmić steht beim HSV vor einer besonderen Aufgabe: Er soll Tore schießen gegen Gladbach -jenen Klub, dem er noch gehört.

Von Ulrich Hartmann, Hamburg

Der Fußballer Josip Drmic muss aufpassen, dass er dieser Tage nicht in ein Durcheinander aus Sentimentalität und Nervosität gerät. In einen Strudel der Emotionen. Der 23-jährige Angreifer, als Sohn kroatischer Eltern in der Schweiz geboren, ist seit einigen Tagen an den Hamburger SV ausgeliehen und beeinträchtigt dort die Restchancen seines Kindheitshelden Ivica Olic, sich noch einmal in die Mannschaft zurück zu kämpfen. Außerdem will Drmic an diesem Sonntag gegen jenen Verein ein Tor schießen, zu dem er in der kommenden Saison zurückkehren soll. Ein Tor von Drmic für den Hamburger SV würde ihm zwar helfen, seine Qualitäten zu beweisen, aber er würde Borussia Mönchengladbach damit womöglich zugleich hindern, sich wieder an die Champions-League-Plätze heranzupirschen. Drmic versucht in diesen Tagen an einem wichtigen Punkt seiner Laufbahn, alles richtig zu machen. Aber allen gleichzeitig wird er keinen Gefallen tun können.

Er nimmt Ivica Olic, seinem Vorbild, den Platz weg

Drmic war 17 Jahre alt und Ersatzspieler beim FC Zürich, als die Schweizer am 17. August 2011 in der Champions-League-Qualifikation auf den FC Bayern trafen. Kaum zu glauben, aber wahr: die Bayern waren 2011 nur Dritter geworden in der Bundesliga und mussten in jenem August tatsächlich durch die finale Qualifikationsrunde hinein in jene Champions League, die sie dann erst im verlorenen Elfmeterschießen des Endspiels gegen den FC Chelsea beschlossen. Dem jungen Drmic eröffnete das Duell seiner Zürcher mit dem FC Bayern die Chance, nach dem Aufwärmen Ivica Olic anzusprechen. Und so nahm dieser an jenem Augustabend seinen Mut zusammen und sagte: "Herr Olic, ich bin ein Riesenfan von Ihnen und wollte fragen, ob ich später Ihr Trikot haben kann." Olic, Kroate wie die Eltern von Drmic, war sehr freundlich und sagte Ja. "Das machte ihn mir nur noch sympathischer", erzählt Drmic. Das Trikot halte er bis heute in Ehren.

Vor eineinhalb Wochen kam Drmic zum Hamburger SV, jenem abstiegsgefährdeten Bundesliga-Klub, der seit sechs Spielen nicht mehr gewonnen hat, der in jedem dieser sechs Spiele maximal ein Tor geschossen hat, der also unbedingt einen guten Stürmer braucht -, dessen Trainer Bruno Labbadia aber trotzdem nicht mehr auf Olic setzt. Der 36-Jährige ist so gut wie ausgemustert und hat in diesem Jahr noch nicht eine Minute gespielt. Und Drmic verschlechtert mit seinem Wechsel nach Hamburg die Comeback-Chancen seines Helden sogar noch weiter, denn er nimmt Olic dessen potenziellen Platz im Kader.

In Nürnbergs Abstiegssaison traf er 17 mal

Aber Josip Drmic wird nicht so schnell nervös. Der Trainer Labbadia beschreibt ihn als "sehr ruhigen Vertreter". Seine Gelassenheit mag Drmic als typischen Schweizer ausweisen, aber Tatsache ist, dass er den Einbürgerungstest erst im dritten Anlauf geschafft hat. Deshalb hat er nicht mitspielen dürfen, als die Schweizer U17-Junioren-Mannschaft im Jahr 2009 Weltmeister wurde. Später durfte er aber bei den Olympischen Spielen 2012 und bei der WM 2014 dann doch das rote Trikot mit dem weißen Kreuz tragen. Überhaupt war 2014 ein gutes Jahr für ihn, denn obwohl sein Klub 1. FC Nürnberg in die zweite Liga abstieg, war Drmic mit 17 Saisontoren der drittbeste Bundesliga-Torschütze hinter Dortmunds Robert Lewandowski (20) und Münchens Mario Mandzukic (18). Diese Quote eröffnete Drmic in der Bundesliga diverse Möglichkeiten, die er bis heute nicht hat nutzen können.

Drmic wechselte 2014 zu Bayer Leverkusen, wo er selten spielte und in 25 Einsätzen sechs Tore schoss, und er wechselte 2015 - gegen den erstaunlichen Betrag von circa zehn Millionen Euro - zu Borussia Mönchengladbach, wo er noch seltener spielte und in 13 Einsätzen ein einziges Törchen schoss. Für den HSV durfte er zur Premiere vor einer Woche beim 1:1 gegen Köln sogleich 85 Minuten spielen, verbuchte aber keine einzige Torchance. An diesem Sonntag gegen Gladbach will Labbadia ihm trotzdem Vertrauen schenken: "Im Training sieht man seine Abschlussqualitäten deutlich."

Dass Drmic gegen die Borussen überhaupt spielen darf, dass er also in die Verlegenheit kommen könnte, mit einem Treffer jenem Klub zu schaden, bei dem er einen Vertrag bis 2019 hat, das will der Gladbacher Trainer André Schubert nicht groß kommentieren, "weil das unser Sportchef Max Eberl verhandelt hat". In anderen Ländern wird bei Leihgeschäften üblicherweise vereinbart, dass der Spieler im Duell der beteiligten Mannschaft aussetzt, aber in diesem Fall haben die Gladbacher auf solch eine Klausel verzichtet. "Er darf spielen", sagt Schubert. "Das ist so. Punkt."

Konnte er Geheimnisse der Borussia verraten?

Und so muss Drmic sich binnen zwei Jahren nun schon beim vierten Klub beweisen und versuchen, sich für den Schweizer Kader für die EM im Juni in Frankreich zu empfehlen. Ohne Liga-Einsätze geriete dies in Gefahr. Auch gegen Gladbach darf er vermutlich von Beginn an spielen, obwohl Labbadia mit den Stürmern Pierre-Michel Lasogga, Artjoms Rudnevs, Sven Schipplock (und Ivica Olic) eine große Auswahl hat.

Drmic aber soll nicht nur seine Qualitäten im Tor-Abschluss zeigen, sondern auch taktisch ein bisschen helfen, die Hamburger auf die Gladbacher vorzubereiten. Labbadia hat Drmic diesbezüglich interviewt, aber der Gladbacher Trainer Schubert glaubt nicht, dass die Hamburger in einer ohnehin recht transparenten Branche dadurch einen spürbaren Vorteil bekommen: "Es wäre ja traurig, wenn unser Wohl und Wehe von einem Spiel und darin von Josip Drmic abhinge."

Und so freuen sich die Gladbacher auf ein schnelles Wiedersehen mit ihrem Stürmer und hätten ja grundsätzlich auch gar nichts dagegen, wenn Drmic endlich zeigen könnte, was in ihm steckt. Es muss für sie aber nicht unbedingt schon an diesem Sonntagnachmittag sein.

© SZ vom 14.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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