Hamburg:"Breaking News": Der HSV wird eine Mannschaft!

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Arm in Arm, als hätte es in dieser Saison nie eine Krise gegeben: das HSV-Team nach dem Sieg gegen Köln. (Foto: imago/MIS)

Der Pokalsieg gegen Köln belegt die Fortschritte unter Trainer Gisdol - auch Debütant Walace und Talent Jung überzeugen.

Von JÖRG MARWEDEL, Hamburg

Es gibt diese Tage im Frühling, an denen man fast dabei zuschauen kann, wie Knospen und Blätter treiben. In der Natur passiert das meist im März oder April. Beim Hamburger SV kann man das derzeit schon erleben. In nur einer halben Februar-Woche war erkennbar, dass offenbar eine Art Team zusammenwächst - erstmals beim HSV seit Jahren.

Am Freitagabend gab es das verdiente 1:0 in der Bundesliga gegen Bayer Leverkusen, nun das ebenfalls gerechte 2:0 im Pokal gegen den 1. FC Köln, das die ausgehungerten Fans "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin" rufen ließ. Der HSV führt ja die bundesweite Spott-Tabelle an, weil er das viele Geld, das ihm Investor und Gönner Klaus-Michael Kühne zur Verfügung stellt, bisher zu verbrennen schien wie kein anderes Fußball-Unternehmen seine Finanzen. Aber nun benötigt er nur noch zwei Siege bis ins Pokalfinale. Und nur noch drei Cup-Siege, um automatisch in die Europa League einzusteigen.

Das ist umso erstaunlicher, als von der erfolgreichen Mannschaft gegen Leverkusen gegen Köln gerade noch fünf Mann in der Startelf standen - kein willensstarker Kyriakos Papadopoulos, der nicht nur wegen seines Tores gegen Bayer zum Matchwinner gekürt worden war; kein Nicolai Müller, über den seit Monaten fast alle halbwegs guten Angriffe laufen; kein Dauerläufer Lewis Holtby. Sie alle waren, wie auch Mergim Mavraj, Albin Ekdal und Dennis Diekmeier, nicht unversehrt aus dem Leverkusen-Kampf herausgekommen.

Das Erstaunliche ist: All ihre Vertreter gegen Köln, ob Johan Djourou in der Abwehr oder Aaron Hunt im Mittelfeld, agierten plötzlich auf ähnlich gehobenem Niveau. Es sieht so aus, als habe Trainer Markus Gisdol den Profis inzwischen eine Spielidee vermittelt, die diese zunehmend umsetzen können. Und er hat dabei plötzlich eine verblüffend große Auswahl.

Die Trennung von Emir Spahic war offenbar ein cleverer Zug

Als FC-Manager Jörg Schmadtke kritisch anmerkte, sein eigenes Team habe "zu viel HSV-Style und zu wenig FC-Style gespielt", also zu viele hohe Bälle statt flacher Pässe geschlagen, wurde das der Hamburger Leistung nicht ganz gerecht. Besonders die beiden Sechser, Gideon Jung und der Brasilianer Walace bei seinem Debüt, operierten mehr mit einfachen, sinnvollen Pässen als mit weiten Hauruck-Aktionen. Besonders Olympiasieger Walace, erst 21 Jahre alt und der deutschen Sprache noch nicht mächtig, wies nach, dass er fußballerisch eher den deutschen als den brasilianischen "Style" verinnerlicht hat - weshalb er vielleicht gar nicht so lange benötigt wie gedacht, um sich einzufinden.

"Hut ab vor dem jungen Mann. Er wurde ins kalte, ins sehr kalte Wasser geworfen - und hat seine Sache richtig gut gemacht", lobte Kollege Mavraj den Neuling Walace. Kapitän Gotoku Sakai ging noch weiter: "Er hat das überragend gemacht, fast schon zu gut für das erste Spiel." Auch die erste Deutschstunde hat der Mann aus Porto Alegre schon hinter sich; ebenso wie die erste gelbe Karte, weshalb er nach 64 Minuten ausgewechselt wurde, um ihm den ersten Platzverweis zu ersparen. Vielleicht ist der Retter, der erst am 31. Januar kam, ja doch nicht zu spät gekommen.

Zum Spieler des Spiels kürte der DFB aber weder Walace noch den Ex-Kölner Mavraj, der als ruhender Abwehr-Pol seinem einstigen Kollegen Anthony Modeste praktisch keine Chance gestattete. Auch Angreifer Filip Kostic, der Pawel Olkowski nach der Pause so schwindelig spielte, dass man erstmals nicht über seine Ablöse von 14 Millionen Euro kritisch diskutierte, wurde nicht gewählt - ebenso wenig wie Bobby Wood, der HSV-Stürmer, der in der 75. Minute nach wunderbarem Doppelpass mit Jung Verteidiger Frederik Sörensen abschüttelte und das 2:0 erzielte. Spieler des Spiels war das Talent Gideon Jung, der schon in der fünften Minute sein erstes Pflichtspieltor erzielte, weil FC-Torwart Thomas Kessler einen Schuss von Luca Waldschmidt nicht festgehalten hatte.

Jung ist einer jener Spieler, die laut Coach Gisdol oft "ein bisschen untergehen". Dabei habe jener ein sehr gutes Zweikampfverhalten und biete sich sehr geschickt an, lobte der Trainer, der insgesamt "gute Perspektiven" für Jung sieht. Die zuweilen Unscheinbaren haben ihren Wert für ein Team wie den HSV. Und auch die Trennung von einem Platzhirschen wie Emir Spahic war offenbar ein kluger Zug. Seit Spahic nicht mehr da ist, wurde das interne Klima besser. Zumal der HSV auch ohne den gefürchteten Spahic die "aggressivere Mannschaft" war, wie Kölns Coach Peter Stöger feststellte.

Die Fans hatten vor der Partie eine Choreografie vorgeführt. "Kurs auf Berlin" war da zu lesen, und es gab neben einem Leuchtturm einen Kapitän mit HSV-Raute sowie ein Steuerrad. Der sportliche Steuermann heißt derzeit Markus Gisdol. Vielleicht kann er ja doch etwas von Kühnes Geld retten. Über zwei Millionen Euro komme schon einmal durch das Erreichen des Viertelfinales herein.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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