Hamburg:Besser ist nicht gut genug

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Trotz einer Torschussbilanz von 20:5 kommt der HSV nur zu einem 0:0 gegen Mainz. Die Verantwortlichen nehmen die Planungen für die zweite Liga auf.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die bereitgestellten Wasserwerfer wurden nicht benötigt, Leuchtraketen flogen ebenfalls nicht wie eine Woche zuvor in Bremen. Jene hart gesottenen Fans des Hamburger SV, die Klubchef Heribert Bruchhagen wegen ihrer aggressiven Pyro-Show als "Fußball-Zerstörer" gebrandmarkt hatte, haben den HSV-Profis nach dem 0:0 gegen Mainz 05 zwar "Absteiger, Absteiger" hinterhergerufen - mehr passierte nicht. Ihren Frust hatten sie auf Plakate gemalt, auf einem stand: "Danke für nichts, ihr Söldner". Zusatz: "R.I.P. Dino", also Ruhe in Frieden, alter HSV. Und Bruchhagens Vorwurf, Fußball-Zerstörer zu sein, konterten sie so: "Fußball haben wir in dieser Saison noch nicht gesehen."

Wenn man einmal davon absieht, dass Kapitän Gotoku Sakai ein Interview abbrach, als die Frage nach dem fast besiegelten Abstieg kam ("Fragt nicht so etwas"), haben sich die Verantwortlichen gar keine Mühe mehr gegeben, schönfärberische Parolen zu bemühen: Der erste Abstieg der Klubgeschichte droht nun wirklich und endgültig. Sportchef Jens Todt sprach angesichts von weiterhin sieben Punkten Rückstand auf den von Mainz belegten Relegationsplatz davon, nur ein "kleines Wunder" könne den HSV retten. Und der erst vor sechs Wochen verpflichtete Trainer Bernd Hollerbach gab zu, er habe ein "Himmelfahrts-Kommando" übernommen. Und warum? Weil er dem HSV wegen seiner schönen Zeit als Profi "sehr dankbar" sei.

Ernüchterung drinnen und draußen: HSV-Profi Filip Kostic bleibt nach dem 0:0 gegen Mainz niedergeschlagen liegen. (Foto: Michael Schwarz/imago)

Hollerbach war immerhin gleich in die Kabine geeilt, um seine "sehr bedrückten" Profis aufzurichten. Denn die hatten, so seine Einschätzung, "alles reingehauen".

Trainer Hollerbach versucht es inzwischen mit jedem Stürmer, der noch unter Vertrag steht

Das stimmte zwar, aber selbst das reichte nicht zum Sieg - gegen einen Gegner, der aktuell zu den schwächsten Teams der Liga zählen dürfte und nach der gelb-roten Karte gegen Leon Balogun außerdem eine halbe Stunde mit zehn Mann spielte.

Natürlich, die Hamburger waren so überlegen wie kaum einmal in dieser Spielzeit. 20:5 Torschüsse, 11:1 Ecken und fast 60 Prozent Ballbesitz standen später in der Statistik. "Ein Wahnsinn", jammerte Sportchef Todt. Zwei Lattentreffer, ein vom Video-Assistenten Guido Winkmann in Köln wegen Abseitsstellung zurecht annulliertes Tor von Filip Kostic (24.) und ein ebenfalls von Kostic verschossener Elfmeter nach dem Foul von Balogun an Waldschmidt (62.) - das waren tatsächlich viele unglückliche Umstände auf einmal. Dazu kam, dass der HSV immer wieder am überragenden Florian Müller scheiterte - dem etatmäßigen Regionalliga-Keeper der Mainzer, der nur wegen der Blessuren der Kollegen René Adler und Robin Zentner ins Tor gerückt war. Müller hatte nicht nur beim Elfmeter die richtige Ecke erahnt, sondern schon nach fünf Minuten einen Flachschuss von Sven Schipplock um den Pfosten und nach 22 Minuten einen Knaller von Kostic an die Latte gelenkt.

Die HSV-Anhänger flüchten sich in Ironie. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Dabei hat Hollerbach der schwächsten Angriffsreihe der Liga (18 Tore) zwar keine grundlegend neue Idee vermittelt, aber immerhin versucht er es inzwischen mit fast jedem Stürmer, der noch beim HSV unter Vertrag steht. In Bremen hatte er überrascht, indem er Bakery Jatta, 19, aus der zweiten Mannschaft in die Startelf beorderte. Das gleiche passierte diesmal - zu dessen Überraschung - mit Schipplock, der zuletzt am 4. Spieltag in der Startelf stand. Auch Waldschmidt, der bisher keine Rolle gespielt hatte, kam nach der Pause aufs Feld. Dafür fehlten die Großverdiener Bobby Wood und Lewis Holtby im Kader. Man darf behaupten, dass es nicht Hollerbachs schlechteste Ideen waren. Der oft gescholtene Schipplock war der aktivste Mann in der Offensiv-Reihe, der emsige Waldschmidt holte den Elfmeter heraus.

Fraglich ist, ob Toptalent Arp den Weg in die zweite Liga mit antreten würde

"Es kommen außergewöhnliche Wochen auf uns zu", sagt Jens Todt. Vielleicht auch auf ihn selbst, denn im Aufsichtsrat wurde bereits angedeutet, dass Todt die Planung für die zweite Liga nicht mehr befehligen darf; ein neuer Sportvorstand soll kommen. Die Planungen müssten eigentlich sofort beginnen. Bisher habe aber keiner mit ihm geredet, sagte Todt.

Vermutlich ist dies die Ruhe vor dem Sturm, denn beim HSV wird in den kommenden Monaten unter der Federführung des neuen Präsidenten Bernd Hoffmann vermutlich vieles verändert werden - nicht nur, was den Sportchef betrifft. Auch der Vorstandsvorsitzende Bruchhagen und der Trainer Hollerbach werden einen möglichen Neuaufbau in der zweiten Liga kaum verantworten dürfen.

Wer aber käme aus dem jetzigen Kader für einen Neustart in der zweiten Liga infrage? Neben den Talenten Rick van Drongelen, Bakery Jatta, Gideon Jung und Ersatzkeeper Julian Pollersbeck vielleicht noch das Supertalent Jan-Fiete Arp und der von Hollerbach zuletzt ignorierte Tatsuya Ito. Dazu kämen noch hoch eingeschätzte Jugend-Nationalspieler wie Josha Vagnoman, 17, und Stephan Ambrosius, 19. Es wäre eine Art U 23-Kader, ein paar erfahrene Eckpfeiler müssten dringend noch hinzukommen. Wobei zumindest bei Arp die Frage ist, ob er angesichts diverser kolportierter Angebote überhaupt den Weg in die zweite Liga antreten würde. Prominente wie Wood, Papadopoulos oder die Brasilianer Douglas Santos und Walace sind allein vom Gehalt her zu teuer, und der Abschied von Dennis Diekmeier steht bereits fest.

Die Mainzer müssen derweil noch nicht für die zweite Liga planen, aber wenn sie so schwächlich weiterspielen wie in Hamburg, werden sie kaum mehr als Rang 16 halten können. Einen "glücklichen Punkt" erkannte später der Mainzer Trainer Sandro Schwarz, aber dem HSV wird dieses indirekte Lob wohl kaum mehr helfen.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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