Hängende Spitze:Voreilig zum Duschen

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Der Videobeweis greift immer mehr um sich, jüngstes Beispiel: die Rücknahme der roten Karte gegen Frankfurts Marius Wolf. Weitere Katastrophen könnten folgen.

Von Markus Schäflein

Alle reden jetzt von Marius Wolf, dabei müssten sie erst einmal über Alexander Famulla reden, bekannt durch den Lottoladen "Alexander Famulla Spielparadies" in Schwetzingen, weniger bekannt als ehemaliger Torwart - wenngleich er seinen Platz in der Fußballgeschichte sicher hat. Es war der 21. November 1987, als in Frankfurt schon einmal ein Platzverweis annulliert wurde. Schiedsrichter Aron Schmidhuber stellte Famulla, damals Torwart des Karlsruher SC, nach dem 0:4 bei der Eintracht wegen zu heftigen Schimpfens vom Platz. Er nahm die rote Karte kurz darauf aber zurück, denn ihm fiel ein, dass er das Spiel bereits abgepfiffen hatte. "Und Rot bekommt nur, wer nicht mehr mitspielen soll", wie der Deutsche Fußball-Bund in seiner Chronik so süffisant wie falsch anmerkte.

Die Rücknahme der roten Karte gegen den Frankfurter Marius Wolf, 30 Jahre später, sorgt insofern für größeres Aufsehen, weil sie nicht auf einer schiedsrichterlichen Eingebung beruht, sondern auf dem Videobeweis. Und alles, was auf dem Videobeweis beruht, sorgt für Aufsehen. Also auch die "1. Video-Begnadigung" ( Bild am Sonntag) bzw. der "Kabinengang des Tages" ( Sport-Informations-Dienst). Wolf sah in der 72. Minute die rote Karte, weil er Bayerns James Rodríguez gefoult hatte - und eilte pflichtgemäß Richtung Umkleide. Dabei bekam er nicht mehr mit, wie Schiedsrichter Harm Osmers einen Hinweis von seinem Video-Assistenten Frank Willenborg bekam. "Ich war schon an der Tür zur Kabine", erzählte Wolf: "Plötzlich holte mich unser Zeugwart zurück."

In der Fußballsprache heißt es bei einem Platzverweis, der Spieler sei "vorzeitig zum Duschen" gegangen - nun ist also erstmals ein Spieler voreilig zum Duschen gegangen. Und die nächste Katastrophe, die der Videobeweis verursacht, wird nicht lange auf sich warten lassen. Zu befürchten ist, dass die Zuschauer demnächst schon scharenweise an der Tür zum Parkhaus stehen, wenn der Schlusspfiff annulliert wird.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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