Hängende Spitze:Die Stadt der Pazifisten

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Diese ehrenwerten Versuche, wenigstens etwas zur Weltverbesserung beizutragen, stießen in Köln an Grenzen. Ausgerechnet beim FC fand das einzige Spiel statt, in dem keine Tore gegen den Terror fielen.

Von Philipp Selldorf

In Köln gibt es die Legende von einem namenlosen Soldaten, der mit seinen Kameraden die Ulrepforte bewachte, ein mittelalterliches Tor am damaligen westlichen Rand der Stadt. Das Wachcorps, das die Gemeinde an diesem Ort postiert hatte, trug wegen der roten Uniformjacken den Namen "Rote Funken". Als 1794 die Franzosen anrückten, um die Stadt einzunehmen und nach alter militärischer Sitte das Feuer eröffneten, verließ ein roter Funke seinen Posten und rannte den Angreifern aufgebracht entgegen: "Hört auf zu schießen", rief er auf Kölsch, "sehr ihr nicht, dass hier Menschen stehen?" Mehr Gegenwehr trafen die Franzosen bei ihrem Einmarsch nicht an, die Stadt wurde ihnen kampflos übergeben. Im Zuge der Besatzung haben die Franzosen die Wacheinheit zwar aufgelöst, aber sowie sie wieder abgezogen waren, haben die Kölner das Corps wiederbelebt - 1823 wurde die Funkengarde in eine Karnevalsgesellschaft umfunktioniert.

Den namenlosen Soldaten, der den Eindringlingen den beispielhaften Nichtschießbefehl erteilte, darf man sozusagen als geistigen Paten betrachten. Heutzutage sind die Funken die einzige Armee, aus deren Gewehren Blumen sprießen.

Nun sollte am Samstag eigentlich das neue Karnevalstrikot des 1. FC Köln zu seinem ersten Einsatz gelangen. Der Designer hat es optisch an die Offiziersuniform der "Kölsche Funke rut-wieß von 1823 e.V." angelehnt, über das optische Gelingen des Schmuckstücks lässt sich streiten. Beim Spiel des FC gegen Mainz 05 gab es dazu jedoch keine Gelegenheit, denn der Verein hatte die Premiere storniert.

Im Gedenken an die Opfer der Anschläge von Paris hielten die Verantwortlichen die Kleiderpräsentation für unpassend. Aber die pazifistische Tradition der Stadt kam am Samstag trotzdem auf kölsche Art zur Geltung. Während einige Besucher T-Shirts mit der Aufschrift "Liberté alaaf you" angelegt hatten, trugen andere auf ihrem Hemd das Motto "Tore statt Terror" spazieren. Diese ehrenwerten Versuche, wenigstens ein winziges bisschen zur Weltverbesserung beizutragen, stießen aber leider schon im Laufe der 90 Minuten an reale Grenzen. Ausgerechnet in Köln fand das einzige Spiel statt, in dem keine Tore gegen den Terror fielen.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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