Grand Prix von Kanada in Montreal:Verlierer auf vielen Seiten

Lesezeit: 3 min

Wie geht es weiter mit Mercedes? Nach den verbotenen Reifentests steht der Rennstall in der Kritik.  (Foto: Getty Images)

Die Diskussionen nehmen kein Ende: Der Reifentest-Prozess um Mercedes beherrscht auch dieses Renn-Wochenende. Wie der deutsche Rennstall mit einer drohenden Bestrafung umgeht, dürfte die erste ernste Probe für die neue Führung um Niki Lauda werden - doch auch der Rest des Feldes kann nicht glücklich über die Debatte sein.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Mitleid. In der Formel 1 ist das eine besonders bittere Währung, und so kann Nico Rosberg nicht schmecken, was Weltmeister Sebastian Vettel sagt. Vor zwei Wochen hat Rosberg das berühmteste Rennen der Saison in Monaco gewonnen. Seitdem wurde in der Rennserie viel gestritten; es ging um einen geheim gehaltenen Reifentest, den Rosbergs Mercedes-Team vor dem Grand Prix im Fürstentum absolvierte und für den - so viel steht seit Mittwoch fest - die Equipe sich demnächst vor dem höchsten Gericht des Automobilweltverbandes FIA verantworten muss.

Red-Bull-Fahrer Vettel gehört zu den schärfsten Kritikern der Extra-Runden. Aber er sagt auch: "Es ist wirklich schade für Nico. Und es wäre absolut falsch, ihm den Sieg abzuerkennen, auch wenn es nicht fair war, was Mercedes gemacht hat."

Die Diskussionen über das Thema werden weitergehen. Einen Prozesstermin gibt es noch nicht. Aber an diesem Wochenende wird in Montréal der Große Preis von Kanada gefahren (Qualifikation Sa., 19 Uhr; Start So., 20 Uhr). Gewinnt Mercedes wieder, werden die Gegner erneut aufheulen. Fliegen die Silberpfeile hinterher, wird in der Branche ebenfalls gemunkelt werden. In der Geschäftswelt heißt ein solches Szenario: Lose-Lose-Situation.

Den silbernen Anorak zugezogen, die farblich passende Kappe weit im Gesicht - Nico Rosberg wirkt bei seinem ersten Auftritt am Circuit Gilles Villeneuve nicht unbedingt genervt, aber angespannt. Es ist ihm anzumerken, dass er sich seinen Stolz über den jüngsten Erfolg nicht durch die Diskussionen über "Testgate" kaputt machen lassen will. Rosberg ist 27. Dreimal hat er in dieser Saison schon den besten Startplatz erobert. Er ist gerade dabei, sich zu emanzipieren, nicht nur gegenüber seinem Teamkollegen Lewis Hamilton.

Also wählt Rosberg den Angriffsmodus. Mitten in der obligatorische Fragerunde sagt er zu den angereisten Journalisten: "Können wir jetzt wieder auf die Reifen zu sprechen kommen?" Sarkasmus war bisher nicht sein Ding. "Bei meiner Siegesparty", berichtet Rosberg, "hat bis morgens zum Frühstück keiner etwas über die Reifen gesagt. Man muss sich in der Formel 1 auch immer fragen: Wie wichtig ist es, was andere sagen?"

Zehn Zylinder in der Formel 1
:Auf Busfahrt nach Südfrankreich

Sebastian Vettel beschwert sich über die Schleichfahrt der Mercedes-Piloten, sein Vater Norbert dagegen ist überhaupt kein Yacht-Typ. Lewis Hamilton wird wegen seines Hundes geschmäht und Kimi Räikkönen findet, dass Sergio Perez eine ordentliche Tracht Prügel verdient hat. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Michael Neudecker, Monaco

Gerade noch strahlende Sieger, plötzlich die Buhmänner der Branche - im Prinzip steht der ganze Rennstall so da. Erst im Januar wurde schließlich eine neue Doppelspitze aus Österreich installiert: Torger "Toto" Wolff gibt den Motorsport-Direktor, Niki Lauda den Chef des Aufsichtsrats des Formel-1-Teams. Beide wurden von Daimler-Boss Dieter Zetsche eingesetzt und mit persönlichen Anteilen am Rennstall ausgestattet. Sie haben also Prokura von ganz oben. Auch das verleiht dem Testgate-Prozess eine besondere Bedeutung.

Bis herauskam, dass Mercedes nach dem Großen Preis von Spanien in Barcelona auf Anfrage des Einheitsreifenlieferanten Pirelli einen dreitägigen Test unternommen hatte, von dem die Konkurrenz nichts wusste, standen Wolff und Lauda gut da. Ihre Erfolgskurve war steil. Viermal nacheinander holten ihre Fahrer die Pole Position. In Monaco folgte der erste Sieg 2013.

Selbst die heimlichen Extra-Runden klangen zunächst nach einem Coup, weil es so aussah, als hätte Red Bull die Chance auch gehabt und sie verschlafen. Weil die Causa jetzt aber ein juristischen Nachspiel hat, stehen wieder die Rivalen besser da. Nach eigener Darstellung hatten sie Pirelli wegen rechtlicher Bedenken abgesagt.

Zu Saisonbeginn hatten Red Bull und Mercedes noch Seit an Seit gegen die aktuellen Reifen gekämpft. Damals hatte es sich auch noch gut getroffen, dass Lauda einem weiteren Job in der Formel 1 nachgeht: Als RTL-Experte hatte er immer wieder gegen den italienischen Pneufabrikanten agitiert. Mittlerweile ist nicht nur die Allianz mit Red Bull zerbrochen.

Weil Lauda sich vor laufenden Kameras für das Mercedes-Vorgehen rechtfertigen muss, taucht auch wieder die Frage auf: Wie geht das eigentlich, dass da einer einem Team vorsteht und gleichzeitig als angeblich unabhängiger Fachmann fungiert?

Wolff und Lauda haben vieles umgekrempelt. Sie haben den Arbeitsmittelpunkt von Stuttgart nach Brackley in England verlagert, wo die Rennwagen gebaut werden. Auch personell haben sie durchgegriffen, Posten gestrichen, Verstärkungen geholt, sogar Teamchef Ross Brawn musste um seinen Job zittern. Damit haben sie sich nicht nur Freunde gemacht. Der Ausgang der Reifen-Affäre wird nun zur entscheidenden Bewährungsprobe für das neue System und seine Macher. Waren sie clever - oder zu forsch?

Bis Freitag gab es offiziell nur ein dürres Statement zu den jüngsten juristischen Entwicklungen. "Mercedes-Benz respektiert die Entscheidung der FIA, den Fall des Pirelli-Tests an das Internationale Tribunal weiterzuleiten. Wir begrüßen, dass wir die Möglichkeit erhalten, dem Internationalen Tribunal die vollständige Faktenlage offen und transparent zu erklären.Damit ist wenig gesagt.

Aber manchmal erzählt schon die Tonlage viel. Und die steht in einem bemerkenswerten Gegensatz zu der zuletzt eingeschlagenen Medienpolitik: Die war offenherzig. Und durchaus selbstbewusst.

© SZ vom 08.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Zehn Zylinder der Formel 1
:Serientäter Alonso kommt straffrei davon

Fernando Alonso jubelt nach dem Sieg in Barcelona wie ein Fußballprofi und hätte beinahe dafür büßen müssen, Kimi Raikkönen bleibt cool wie immer und Lewis Hamilton lenkt von Bulldogge Roscoe ab. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Michael Neudecker, Barcelona

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: