Grafiken zur Frauenfußball-WM:Warum Frauen schöner Fußball spielen

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Ohne Foul, ohne Ballverlust: Celia Sasic kämpft mit der Schwedin Caroline Seger um den Ball. (Foto: AFP)

Vorurteile über Frauenfußball gibt es viele. SZ.de hat ein paar überprüft. Der Vergleich zwischen Frauenfußball-WM und U-21-EM zeigt: Die DFB-Spielerinnen zeigen attraktiveren Fußball - und locken mehr Zuschauer an als die Junioren.

Von Tim Brack und Lisa Sonnabend

Ist das überhaupt Fußball? Es gibt viele Vorurteile über Frauenfußball. SZ.de hat deswegen Statistiken der deutschen Spielerinnen bei der Frauenfußball-WM in Kanada, der U-21-EM-Mannschaft in Tschechien und der DFB-Männer-Elf analysiert und miteinander verglichen - mit teils überraschenden Erkenntnissen.

  • Für Freunde des Ballbesitz-Fußballs

"Wenn du den Ball hast, kann der Gegner kein Tor schießen", wissen Ballbesitzliebhaber wie Louis van Gaal oder Pep Guardiola. Unter dem niederländischen Ex-Trainer des FC Bayern mutierte diese Weisheit vom Bolzplatz zu ewigen Ballstafetten in den Abwehrreihen. Ermüdend für Fans, gegnerische Mannschaft und schließlich die eigenen Mitspieler. Frischer interpretiert die Frauen-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Kanada diese Philosophie.

60 Prozent Ballbesitz bedeuten Dauerbeschuss von Anja Mittag (fünf Tore bei 14 Schüssen) und Kolleginnen. Die männliche U 21 lässt bei der zeitgleich stattfindenden EM in Tschechien dagegen den Gegner zu oft zum Zug kommen. 54 Prozent Ballbesitz gab es für die Junior-Kicker im Durchschnitt in den ersten drei Spielen. Das ist zu viel van-Gaal'sche Harmlosigkeit.

  • Frauen jubeln häufiger als Männer

Wenn die DFB-Frauen das Fußballfeld betreten, geht es rasant und temporeich zu. Sie glänzen mit Offensiv-Power. Die Gegnerinnen bekommen das in Kanada zu spüren. 31 Mal pro Spiel schossen die deutschen Spielerinnen in der Vorrunde durchschnittlich auf das Tor. Der Dauerbeschuss zahlt sich aus: Jeder sechste Schuss zappelte im Netz. So waren die Fußballerinnen 15 Mal erfolgreich in den drei Vorrundenspielen, ließen dabei noch zahlreiche sehr gute Gelegenheiten aus. Im Achtelfinale trafen sie weitere vier Mal.

Ein so variabler Angriff mit dieser Präzision fehlt den U-21-Spielern bisher. Durchschnittlich 18 Torschüsse brachten Kevin Volland und seine stürmenden Kollegen pro EM-Partie zustande. Der wuchtige Angreifer aus Hoffenheim erzielte zwei der fünf Tore für die deutsche Mannschaft. Nicht einmal jeder zehnte Schuss überwindet den gegnerischen Torwart. Wobei angemerkt werden muss, dass die Teams bei der U-21-EM vom Niveau her dichter beisammen sind als bei der Frauenfußball-WM. Dort sind die Unterschiede in Sachen Professionalität der Mannschaften größer.

  • Frauen gewinnen das TV-Duell

Als am vergangenen Samstag in der ARD Anja Mittag mit einem präzisen Rechtsschuss die Führung gegen Schweden erzielte, kämpften bei der U-21-EM im ZDF gerade die Nachwuchsfußballer in Prag in einer dramatischen Partie ums Weiterkommen. Zwei Fußballspiele, die sich überschneiden und beide im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen werden, das gibt es so selten wie eine Sonnenfinsternis. Für welche Partie sich die Zuschauer entschieden? Die Männer schafften in Prag zwar den Einzug ins Halbfinale, doch das TV-Duell gegen die Frauen verloren sie. 4,91 Millionen Menschen schauten zu, bei den Frauen dagegen guckten 6,12 Millionen. Der Marktanteil betrug 26 Prozent, im Vergleich zu 18 Prozent. Ein deutlicher Sieg für die Frauen - obwohl die Männer bereits zu deutlich attraktiveren Zeit um 20.45 Uhr angepfiffen wurden, mehr als eine Stunde vor den Frauen. Durchschnittlich schalteten bei den bisherigen vier Spielen der DFB-Frauen 6,17 Millionen Zuschauer ein, bei der U-21-EM nur 5,57 Millionen.

Ob die Fußballerinnen nun bis ins Finale vordringen und der ARD eine ähnlich imposante Einschaltquote einbringen wie Joachim Löws Team im Endspiel von Rio? Das dürfte dann doch schwierig werden: 34,65 Millionen schalteten an jenem Juli-Abend 2014 ein.

  • In Kanada heißt es: leider ausverkauft

Die Spiele der Frauenfußball-WM locken die Zuschauer nicht nur vor den Fernseher, sondern auch ins Stadion. Bei der WM-Eröffnung in Edmonton feuerten 53 000 Menschen die Heimmannschaft an. Rekord im kanadischen Fußball. Zu den Spielen der DFB-Elf kamen jeweils eine beachtliche Anzahl von Fans. Um die 20 000 jeweils, die Partie gegen Schweden in Ottawa war sogar ausverkauft.

Bei der U21-EM dagegen lockte die Partie Deutschland gegen Serbien gerade einmal 5490 Zuschauer ins Letná-Stadion in Prag. Zu den anderen DFB-Spielen kamen dann um die 15 000. Immerhin. Doch viele Plätze auf der Tribüne blieben leer. Wie auch übrigens bei den Spielen mit tschechischer Beteiligung. Zum Eröffnungsspiel kamen nur 16 000. Auch live ist Frauenfußball offenbar attraktiver.

  • Nur eine einzige gelbe Karte

Kratzen, beißen, Haare ziehen: Es gibt so einige Vorurteile über Frauen, die kämpfen. Doch die Fußballerinnen in Kanada widerlegen sie. Dass sie den fairen Zweikampf beherrschen, leben sie mit lehrbuchhaftem Verhalten bei dieser WM vor. Gerade eine gelbe Karte stand nach der Vorrunde bei den DFB-Spielerinnen zu Buche. Die Männer sammelten im gleichen Zeitraum sieben Kartons.

Dabei scheuen die Fußballerinnen keineswegs die Auseinandersetzung mit der Gegnerin, 32 Mal kam es in der Vorrunde zum Duell. Die U-21-Männer knüpften sich die Gegenspieler 31 Mal vor. Und das streckenweise zu unbeholfen, wie die gelb-rote Karte von Christian Günter im ersten Spiel gegen Serbien zeigt. Hätte der Abwehrspieler doch mehr Frauen-Fußball geschaut.

  • Auch die Männer demütigen schwache Gegner

Das erste Spiel bei der WM in Kanada: Die Frauen-Nationalmannschaft düpiert ihre ivorischen Kontrahentinnen mit 10:0. Sofort melden sich Kritiker: "Im Frauenfußball gibt es international nur ein, zwei ernsthafte Herausforderungen. Der Rest ist Kanonenfutter." Die Frauen-Nationalmannschaft feiert tatsächlich gerne Kantersiege. 2007 fiel der Rekord für den höchsten Sieg bei einer WM, 11:0 stand es am Ende für die DFB-Elf gegen Argentinien.

Dass die Männer-Nationalmannschaft die Gegner auf ähnliche Art vorführt, bleibt meist unerwähnt. Ein Jahr vor der Bestmarke der Frauen demontierten die Männer die Insel-Mannschaft San Marino in der EM-Qualifikation mit 13:0. Der zweithöchste Sieg einer DFB-Elf in der Geschichte. Die Bestleistung der Männer bei einer WM war 2002 gegen Saudi-Arabien. Bundestrainer Rudi Völler sah ein 8:0. Zugegeben, beide Nationen sind nicht gerade gefürchtet im Fußball. Doch mit Brasilien demütigte Löws Elf zuletzt sogar den Gastgeber der WM 2014: 7:1 im Halbfinale. Auch bei den Männern wird eine ernste Herausforderung schon mal zum Kanonenfutter.

  • Als Prämie gibt es Geld statt Koffer und Kaffeeservice

Einen Lederkoffer bekam jeder Held von Bern für den WM-Sieg 1954. Sehr geschickt für den Transport der übrigen beiden Prämien: 2500 D-Mark und ein Fernseher. Die Frauen-Nationalmannschaft bekam für ihren ersten Titel bei der Europameisterschaft 1989 ein Kaffeeservice, das passte sicherlich auch ins Handgepäck. Mit Transportfragen müssen sich die kickenden Männer und Frauen heute nicht mehr beschäftigen. Das funktioniert alles bequem per Überweisung.

Wie viel die U-21-Elf für einen EM-Titel bekommt, ist bislang nicht bekannt, 2011 in Schweden erhielten Mesut Özil, Mats Hummels & Co. für ihren Triumph 12 000 Euro vom DFB. Bei der Frauenfußball-WM wird da in diesem Jahr mehr ausgeschüttet: 65 000 Euro gibt es für jede Spielerin der Frauen-Nationalmannschaft, sollten sie den Pokal bei der WM in Kanada holen. Die männlichen Pendants um Philipp Lahm feierten den vierten WM-Titel bereits 2014 in Brasilien - und bekamen deutlich mehr als die weiblichen Kolleginnen. Ob 300 000 Euro überhaupt in einen Lederkoffer passen?

  • Merkel schaut nur Männern beim Umziehen zu

Ein Selfie mit Lukas Podolski, Händeschütteln mit Mesut Özil, ein Plausch mit Bastian Schweinsteiger: Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt fast jede Gelegenheit, um Zutritt zur Kabine der Nationalmannschaft zu bekommen. Nach dem Sieg im WM-Viertelfinale 2010 gegen Argentinien schaute sie erstmals zu, wie die Spieler mit Handtuch um die Hüften aus der Dusche trudelten. Nur drei Monate später wurde sie nach einem EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei zu Tim Wiese in die Berliner Katakomben geschleust. Den Umkleide-Besuch nach dem EM-Viertelfinalsieg gegen Griechenland erledigte sie dann ganz intim, Bilder davon gibt es keine. Anders 2104: In Brasilien posierte sie gleich zweimal mit Podolski, nach dem Auftaktspiel gegen Portugal und nach dem gewonnenen Finale.

Die Frauenfußballerinnen dagegen wurden noch nie von einem Staatsoberhaupt beim Umziehen gestört. Immerhin schickte Merkel nach dem zweiten Gruppenspiel eine Glückwunsch-SMS an Trainerin Silvia Neid nach Kanada.

© Süddeutsche.de mit Material von dpa/DFB/Fifa/Uefa/sonn/tbr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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