Fußball-WM: Schweiz:Die neuen Griechen

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Wenn die Schweiz zu ihrer ersten WM-Partie gegen Spanien antritt, ist Unterhaltung einzig vom Gegner zu erwarten. Die Eidgenossen spielen einen unübertroffen unattraktiven Fußball. Die Fans zweifeln, ob die WM-Teilnahme ein Segen ist.

Bruno Ziauddin

Welche beiden Länder verkörpern in Europa die größtmöglichen Gegensätze, das Yin und Yang der Nationen? Schweiz und Griechenland wäre eine plausible Antwort. Hier viele Berge und viel Geld. Dort keine Berge und kein Geld. Hier viel Ordnung, wenig Sonne und noch weniger Emotionen. Dort viel Sonne, noch mehr Emotionen und - genau, "Chaos" ist ein griechisches Wort. Selbst Emmentaler und Feta könnten unterschiedlicher nicht sein.

Hofft gegen Favorit Spanien auf ein gutes Ergebnis: der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld. (Foto: rtr)

Natürlich lässt sich das Motiv der Gegensätze auch auf die deutschen Teamchefs der beiden Nationalmannschaften übertragen: Ottmar Hitzfeld, so dichtete jüngst das Magazin des Zürcher Tages-Anzeigers, sei der Mann "mit dem Magengesicht, in dem keine Müdigkeit liegt, nur verinnerlichtes Understatement". Otto Rehhagel hingegen zelebriert den expressiven Fußballkasper.

Allerdings, und das ist die verblüffende Erkenntnis des neutralen Beobachters, erinnert die Mannschaft von Schweiz-Trainer Hitzfeld zunehmend an die griechischen Sensationssieger der Europameisterschaft 2004 in Portugal. Damals geschah es wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Sportart, dass selbst notorische Fan-Opportunisten, die sich sonst immer auf die Seite des Underdogs schlagen, nach kürzester Zeit auf Favoritensiege hofften. Nur um diese Griechen nicht länger ertragen zu müssen.

Den Schweizern gelang ein ähnliches Kunststück zwei Jahre später, anlässlich ihres WM-Achtelfinales in Köln gegen die Ukraine. Zu Beginn der Begegnung unterstützten die deutschen Zuschauer im Stadion erwartungsfroh und geschlossen das Team des sympathischen Nachbarn. Nach 120 torraumszenenlosen Minuten pfiffen sie sich die Seele aus dem Leib, als stünden elf Sepp Blatters auf dem Rasen.

Bei der Heim-EM 2008 gelang der Schweiz dann ein zweifelhafter Endrunden-Rekord: Nach vier Tagen und zwei Niederlagen war bereits Schluss. So schnell war noch nie eine Mannschaft ausgeschieden.

Mittlerweile ist es neun Monate und vierzehn Partien her seit dem letzten ansehnlichen Spielzug der Schweizer Nationalmannschaft (in Athen, ausgerechnet). Selbst die glühendsten Eidgenossen wissen nicht mehr so recht, ob sie sich darüber freuen sollen, dass ihr Land bereits zum vierten Mal in Folge bei einem großen Turnier dabei ist. Eigentlich ist das für einen Kleinstaat eine bemerkenswerte Leistung, die selbst die diesbezügliche Quote der Engländer übertrifft. Aber dem Ansehen des helvetischen Fußballs wäre wohl mehr gedient, wenn man ihn nicht ständig vor aller Welt zu präsentieren bräuchte.

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Elfenbeinküste gegen Portugal - Didier Drogba gegen Cristiano Ronaldo. Das Treffen der Stars endet torlos, während Brasilien gegen Nordkorea viel Mühe hat. Neuseeland feiert dagegen einen Last-Minute-Ausgleich.

Womit wir beim nächsten griechischen Element der Schweizer wären: Seit einigen Jahren schon erreicht die Truppe in den (gemessen an ihren Aspirationen) entscheidenden Partien praktisch immer das Resultat, das sie benötigt. Wenn wir in Irland nicht verlieren, schaffen wir es zur WM: 0-0! Wenn wir in der Türkei nicht höher als mit zwei Toren Differenz verlieren und dabei selbst einen Treffer erzielen, sind wir bei der Endrunde in Deutschland dabei: 2:4! Jetzt noch zu Hause ein Unentschieden gegen Israel und wir fahren nach Südafrika: 0:0!

Klar, zwischendurch wurde sogar mal ein Spiel gewonnen. Wie denn das? Griechisch natürlich. Will heißen: nach Standardsituationen per Kopf. Ein mit dem Fuß aus dem Spiel heraus erzieltes Tor, das gab es in den vergangenen neun Partien exakt ein Mal.

Ist es also denkbar, dass es die Schweizer heuer den Rehhagel-Griechen gleichtun und sich als kolossaler Außenseiter ins Finale dieser Weltmeisterschaft einschleichen? Nein, unmöglich. Zwar beruhten die Erfolge der jüngeren Vergangenheit auf einer weiteren griechischen Tugend: Man konnte diese Mannschaft dominieren, mutiger und kunstvoller als sie spielen, aber ein Tor gegen sie zu erzielen, das fiel selbst starken Gegnern unheimlich schwer.

Doch begünstigt von Rücktritten, Verletzungen und anderen Kalamitäten hat sich die defensive Stabilität in den letzten Jahren sukzessive in Luft aufgelöst. Sinnbild dafür ist der einst unumstrittene Abwehrchef Philippe Senderos, der eine Zeitlang mit schöner Regelmäßigkeit für den FC Arsenal in der Innenverteidigung mitwirken durfte, nun aber als ewiger Reservist von Verein zu Verein herumgereicht wird. Dennoch ist der gebürtige Genfer an diesem Turnier faute de mieux Fixstarter. Keine schönen Aussichten, wenn man bedenkt, dass seine spielerischen Qualitäten, selbst wenn er in Hochform ist, Karl-Heinz Förster wie die fränkische Reinkarnation von Michel Platini erscheinen lassen.

Vorne außer Form geratene, torungefährliche Stürmer. Hinten außer Form geratene eigentorgefährliche Verteidiger. Gut möglich, dass die fußballerische Nähe zu den Griechen auch in diesem Turnier Bestand haben wird. Deren WM-Gesamtbilanz lautet bekanntlich: vier Spiele, null Siege, null Tore.

Bruno Ziauddin ist Buchautor und lebt in Zürich. Seit neuestes Werk heißt Curry-Connection und ist bei Rowohlt erschienen.

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