Fußball:Was im US-Fußball schief läuft

Lesezeit: 4 min

Wäre gerne bei der WM dabei, darf aber nicht: Christian Pulisic. (Foto: AFP)
  • Die Stagnation im US-Fußball nimmt wahnwitzige Ausmaße an.
  • Nach der verpassten WM-Qualifikation fehlen Talente, ein Nationaltrainer - und ein Präsident.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Hope Solo hat ein paar kluge Dinge gesagt über Fußball in den Vereinigten Staaten, die Kommerzialisierung von Jugendsport in diesem Land und das amerikanische Selbstverständnis, stets der Beste auf der Welt sein zu müssen. Das ist einerseits bemerkenswert, weil die einstige Weltklasse-Torfrau auch schon sehr törichte Dinge gesagt hat. Es ist andererseits höchst interessant, weil sie trotz ihrer treffenden Analyse keine Chance haben dürfte, Präsidentin des amerikanischen Fußballverbandes zu werden.

Es ist immer grotesk, über etwas zu berichten, bei dem sich gerade überhaupt nichts tut - es sei denn, die Stagnation nimmt derart wahnwitzige Ausmaße an, dass es sich genau deshalb lohnt. Also, von vorne: Die Nationalelf der USA hat am 10. Oktober die WM-Qualifikation verpasst, Trainer Bruce Arena ist drei Tage später zurückgetreten. Einen Nachfolger gibt es noch nicht. Er soll, das ist kein Witz, erst nach der WM im Sommer präsentiert werden. Verbandspräsident Sunil Gulati will im Februar nicht für eine vierte Amtszeit kandidieren und hat mit seinem Rückzug einen heftigen Wahlkampf eröffnet.

Was ist da los im amerikanischen Fußball?

The Worst of All Time

Klar, eine WM-Endrunde kann man verpassen. In den USA allerdings lieben sie Sport auch deshalb so sehr, weil es dort immer einen amtlich beglaubigten Besten geben muss, und weil dieser amtlich beglaubigte Beste, man betrachte den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Rio, sehr häufig Amerikaner ist. Für eine Nation, die ausschließlich in Superlativen denkt und in der alles immer gleich The Greatest, bestenfalls Of All Time sein muss, ist ein Scheitern in der Qualifikation natürlich The Worst of All Time.

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Der US-Verband rühmt sich seit Jahren, dass die Sportart Fußball angekommen sei in diesem Land. 30 Millionen Menschen, so heißt es, spielen Fußball, mehr als vier Millionen Kinder und Jugendliche sind beim US-Verband registriert. Zum Vergleich: Beim DFB sind derzeit nur 1,87 Millionen Leute unter 18 Jahren gemeldet. Das allerdings führt zur Frage, warum bei aller Begeisterung der einzige US-Fußballer, den man derzeit zur gehobenen internationalen Klasse zählen würde, Christian Pulisic ist, der zunächst im Verein seines Vaters und seit seinem 16. Lebensjahr bei Borussia Dortmund ausgebildet wurde.

"Es geht immer nur ums Geld", sagte Hope Solo kurz vor Weihnachten, als sie verkündete, die nächste Verbandspräsidentin werden zu wollen: "Es ist die verbohrte Einstellung des US-Fußballs, diesen kapitalistischen Weg zu gehen. Die Probleme starten bei der Jugendarbeit. Fußball ist ein Sport für die obere Mittelklasse, in dem weniger Betuchte systematisch benachteiligt werden aufgrund der arroganten Haltung, dass die USA die besten Sportler der Welt beheimatet."

Das sind harte, aber eben auch sehr treffende Worte. "Jugend-Fußball ist in den USA eine Lizenz zum Gelddrucken", sagt der Spielerberater Christopher McCollum. Wer ein Kind im Grundschulalter hat, der weiß: Allein die Teilnahmegebühr an den preisgünstigsten Ligen liegt bei mehr als 500 Dollar pro Jahr. Wer den Nachwuchs bei einem Verein anmelden oder auf eine Akademie schicken will, der kann schnell mal 5000 Dollar pro Jahr ausgeben. Das führt dazu, dass nicht unbedingt die Talentiertesten gefördert werden, sondern die mit den solventesten Eltern. Die Talentiertesten wechseln dann zum Basketball und Baseball, wo sie günstiger und effizienter zu Profis ausgebildet werden.

Es gibt im US-Sport kaum Verbandsstrukturen wie etwa in Europa, die Ausbildung von Sportlern findet größtenteils an Schulen oder privaten Akademien statt. Der Fußballverband versucht zwar seit Jahren, ein Sichtungs- und Fördersystem zu etablieren, allerdings lagen die Gesamteinnahmen im vergangenen Jahr bei umgerechnet 105 Millionen Euro. Wieder ein Vergleich: Der DFB setzte 2016 mit mehr als 290 Millionen Euro beinahe das Dreifache um. Geld, das dem US-Verband für die Jugendförderung fehlt.

"Wenn man sich mal den Profifußball in diesem Land ansieht, dann bemerkt man recht schnell, dass das der am schlechtesten organisierte Laden auf der ganzen Welt ist", sagt der einstige Stürmer Eric Wynalda, der mittlerweile den Fußball-Populisten gibt und auch gerne Verbandspräsident werden möchte: "Dann schaut man sich die Jugend-Organisationen an, die sollen schließlich die nächsten Superstars ausbilden - und die sind noch zersplitterter als die Profis. Wir feiern alle das Wachstum und vergessen dabei, dass auch Krebs organisch wachsen kann."

Scheitern als Chance

Sie begreifen das Scheitern stets als Chance in diesem Land, und sie haben die richtigen Probleme ausgemacht nach der verpassten WM-Qualifikation: Die Jugendförderung hinkt der in etablierten Fußballnationen hinterher, die nationale Profiliga MLS kann sich vom sportlichen Niveau und den finanziellen Möglichkeiten her nicht mit den besten europäischen Ligen messen. Noch sind andere Disziplinen beliebter, und schon auf Jugendebene professioneller. Doch hat jemand einen Plan, um die Probleme zu lösen?

Es gibt acht offizielle Kandidaten für die Nachfolge von Gulati, die Wahl dürfte über die Ausrichtung des Verbandes bestimmen. Solo hat trotz ihrer Prominenz nur geringe Chancen, vor allem wegen der eingangs erwähnten törichten Sachen, die sie jenen an den Kopf geworfen hat, deren Stimmen sie nun braucht. Es bewerben sich Anwälte, Geschäftsleute und ehemalige Profis wie Paul Galigiuri. Favoritin ist Kathy Carter, die gar nicht mal so heimlich von Gulati und MLS-Chef Don Garber unterstützt wird.

Carter war zuletzt Präsidentin von Soccer United Marketing, der Marketing-Abteilung der Profiliga MLS, sie kommt also von der Geldseite. Gegenkandidat Wynalda weiß das für sich zu nutzen, er verkauft sich als Talentspäher ("Es gibt 100 Pulisic' da draußen"), Reformierer ("Die Leute wollen Veränderungen, sie wollen Lösungen. Ich höre ihnen zu") und Heilsbringer: "Wenn ich gewinne, dann gewinnt der US-Fußball." Das ist eine selbstbewusste Aussage. Sie ist im aktuellen amerikanischen Wahlkampfklima allerdings gar nicht mal so töricht.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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