Fußball:Rahns insolvente Erben

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Neben Rot-Weiß Essen stehen auch Traditionsklubs wie Arminia Bielefeld, Alemannia Aachen, Dynamo Dresden oder Darmstadt 98 vor dem Ruin.

Ulrich Hartmann

Am schlimmsten Tag in der 103-jährigen Geschichte des Fußballvereins Rot-Weiß Essen hatte Helmut Rahn seinen Stammplatz hinter der Südtribüne des Georg-Melches-Stadions längst verlassen. Sechs Jahre lang war er dort als bronzene Statue auf einem bronzenem Podest einem bronzenen Ball hinterher gejagt. Doch freundliche Menschen haben ihn vor drei Monaten an einen würdigeren Ort gebracht. Sie haben ihn ins nahegelegene Hattingen transportiert, wo ihn seit März die Besucher einer "Heldenausstellung" zwischen Superman und Herkules bestaunen dürfen.

Und dort muss Rahns metallenes Ebenbild auch nicht mehr in jene halb offene Essener Stadionruine blicken, die seit vielen Monaten eine düstere Ahnung jenes dramatischen Endes zeichnete, das den einst ruhmreichen Traditionsverein jetzt ereilt. Rot-Weiß Essen, dessen größter Held Helmut Rahn war, weil er seinem Klub 1953 zum Pokalgewinn und 1955 zur Meisterschaft verhalf, und weil er Deutschland 1954 in Bern zum WM-Titel schoss, hat keine Lizenz für die Regionalliga bekommen und daraufhin die Insolvenz beantragt. Hinter dem Stadion an der Hafenstraße, wo das Rahn-Denkmal stand, haben am späten Freitagnachmittag etliche Fans Flaschen und Feuerwerk auf die Geschäftsstelle geworfen und mit Polizisten gerangelt.

Rahn, der im August 2003 auf dem Margarethenfriedhof in Essen-Frohnhausen begraben wurde, ist kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft in Südafrika gerade wieder in aller Munde, weil er Deutschland am 4. August 1954 (aus dem Hintergrund) zum Weltmeistertitel geschossen hat. Ausgerechnet in diesen Tagen, in denen die Helden der deutschen WM-Geschichte gefeiert werden, ist das drohende Ende seines an einem kurzfristigen Bedarf von knapp zweieinhalb Millionen Euro gescheiterten Heimatklubs ein bezeichnendes Beispiel für den wirtschaftlichen Niedergang einst ruhm- und erfolgreicher deutscher Fußballvereine.

RW Essen, das zuletzt nur noch eine mittelmäßige Rolle in der Regionalliga gespielt hatte, erhielt am vergangenen Freitag ebenso wenig die Lizenz für die vierte Liga wie der Bonner SC. In den vergangenen Wochen hatten bereits die Viertligisten Tennis Borussia Berlin, Eintracht Bamberg und SSV Reutlingen Insolvenz anmelden müssen. Mit existenzbedrohenden Schulden plagten sich zuletzt auch die Zweitligisten Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen sowie die unterklassigen Traditionsklubs Dynamo Dresden, Darmstadt 98 und Waldhof Mannheim.

In Aachen hat die Stadt ihren Verein gerettet, in Bielefeld waren es regionale Unternehmer. In Essen schert sich niemand um Rot-Weiß. Der Verein ist heruntergewirtschaftet, und das Stadion, das eigentlich einer neuen 30-Millionen-Euro-Arena weichen sollte, ist eine unbrauchbare Ruine. Eine Investition wäre enorm. Die örtliche Wirtschaft will das nicht stemmen, die klamme Stadt kann es nicht. Der Vorstandssprecher Thomas Hermes hat am Freitag seinen Rücktritt angekündigt, weil er nicht habe verhindern können, dass einige Tage zuvor 150 Fans vor dem Haus des Oberbürgermeisters Reinhard Paß demonstriert und diesem Angst gemacht hatten.

Die Fans in Essen haben eine lange Leidenszeit hinter sich. Schon 1998 und 2001 hatte Rot-Weiß vor dem finanziellen Aus gestanden. Damals fanden sich in letzter Sekunde Retter. Diesmal deutet bislang nichts darauf hin. Rot-Weiß Essen steht vor einem Insolvenzverfahren. Das Erbe des Weltmeisterschützen Helmut Rahn wird vermutlich abgewickelt. 55 Jahre nach WM-Titel und der deutschen Meisterschaft ist der von vielen Essenern geliebte Klub nur noch ein Code des Niedergangs. 166-IN-104/10 lautet sein Aktenzeichen beim Amtsgericht Essen.

© SZ vom 07.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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