Fußball in Albanien:Fußballfans in Tirana: Euphorie in Rot-Schwarz

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Public Viewing in Tirana. Der Platz ist nach Mutter Teresa benannt, die in einer albanischen Familie aufwuchs. . (Foto: dpa)

Überall Leute, die auf Balkonen und Bäumen herumklettern, um noch mehr Fähnchen aufzuhängen und eine Public Viewing-Zone, die so riesig ist, als wäre das Land nicht Teilnehmer, sondern Gastgeber der EM.

Von Roman Deininger, Tirana

Es gibt manchmal im Sport diesen schönen Moment, in dem aus der Trauer von Verlierern Trotz wird. Am Samstagnachmittag in den Straßen von Tirana dauert dieser Moment einige Minuten lang, bei manchen Fans fünf, bei anderen zehn. Gerade hat Albanien gegen die Schweiz mit 0:1 verloren, es war nicht irgendein Spiel, sondern das erste Spiel bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft in der Geschichte des albanischen Fußballs. Das Turnier in Frankreich ist eine große Bühne für dieses kleine Land. Flutlicht fällt - mindestens drei Gruppenpartien lang - auf einen bettelarmen, oft vergessenen Winkel Europas.

Die "Fanzone" auf dem Mutter-Teresa-Platz im Zentrum Tiranas ist so riesig, dass man meinen könnte, Albanien wäre nicht nur Teilnehmer, sondern Gastgeber der EM. Tirana, die Hauptstadt des Landes, ist an diesem Samstag die Hauptstadt des Stolzes. Vor dem Anpfiff in Lens flimmern bleiche Schwarz-Weiß-Bilder über die Leinwände, das albanische Fernsehen erinnert an das 0:0 der Albaner gegen Deutschland 1967. Jenes Spiel fand nur 300 Meter von der Fanzone entfernt im Qemal-Stafa-Stadion von Tirana statt, es war die größte Stunde der Nationalmannschaft - bis jetzt. Das ganze Land trägt zum EM-Debüt die Nationalfarben Rot und Schwarz, überall sieht man Leute, die auf Balkonen und Bäumen herum klettern, um noch ein Fähnchen mehr aufzuhängen.

Am Rande Europas zuhause, jetzt im MIttelpunkt

Fußball bewegt die Menschen in aller Welt. Aber niemanden bewegt er in diesem Sommer so wie die Albaner, die am Rand Europas zuhause sind und nun endlich auch einmal im Mittelpunkt stehen dürfen. Vom Achtelfinale wagen sie ja kaum zu träumen. Aber eines der drei Gruppenspiele gewinnen, ein einziges nur, anschließend Autokorso und Fahnenschwenken. Und dann die süße Schlagzeile lesen: "Sieg für Albanien".

Kann man mit Sport die Welt erklären? Sicher nicht. Aber in diesem Fall kann der Sport zumindest helfen, einem geplagten und doch unbeugsamen Volk ein Stück näher zu kommen.

Die Live-Übertragung am Mutter-Teresa-Platz ist ein Glutofen, aber von ein bisschen Sonne wollen sich die Fans in ihrer Euphorie nicht bremsen lassen. Das mit dem Bremsen gelingt dann allerdings dem Schweizer Fabian Schär, der die Eidgenossen in der fünften Minute in Führung bringt. Als auch noch Lorik Cana mit Gelb-Rot vom Platz fliegt, der Kapitän, nach dem sich das albanische Spiel richtet wie nach einem Magneten, fragen sich die Fans in Tirana: Hat uns das Glück, das uns die Qualifikation gebracht hat, etwa schon wieder verlassen?

Kurz vor Schluss verstärkt sich dieser Verdacht, Shkelzen Gashi scheitert frei vor dem Schweizer Torhüter. Junge Männer fallen auf die Knie, alte Frauen wenden vor Schmerz den Blick ab. Dann ist es aus in Lens. Die Spielanalyse vieler Anhänger beschränkt sich hinterher auf das von einem Kopfschütteln begleitete Wort "Gashi".

Trotz statt Trauer

In der Fanzone und in den Kneipen wird eilig der Fernsehton ausgeschaltet, die Leute haben da das richtige Gespür: lange, womöglich noch zutreffende Expertenerklärungen vertiefen nach Niederlagen ja meistens nur die Depression. Lieber legen sie "Kuq e Zi" auf, die Hymne ihrer Nationalmannschaft, "Rot und Schwarz", volle Lautstärke. Es wird bald wieder mitgeklatscht in den Straßen von Tirana, mitgesungen. Der Trotz setzt sich langsam, aber sicher durch gegen die Trauer.

Am Mittwoch steht das zweite Gruppenspiel an, in Marseille gegen Frankreich, den Gastgeber. Die Albaner sind in diesem Spiel noch viel mehr als eh schon: die Außenseiter. Verlieren können sie da eigentlich nicht mehr viel. Aber immer noch alles gewinnen.

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Von Roman Deininger (Text) und Jakob Berr (Fotos)

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