Fußball im TV:"Bitte nicht Waldis Hemd"

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Der ARD-Fußball-Experte und ehemalige Bayern-Profi Mehmet Scholl spricht im Interview über Fernsehen, Humor vor der Kamera, Eitelkeiten und seinen Respekt vor Günter Netzer.

Christopher Keil

SZ: Herr Scholl, am 19. Mai 2007 bestritten Sie Ihr letztes Bundesligaspiel. Es gab reichlich Tränen auf allen Seiten. Wie war es nach dem letzten Pfiff wirklich?

Fernseh-Experte Mehmet Scholl: "Die ARD lässt mich sein, wie ich bin. Am Ende zählt, was ich fachlich sage." (Foto: Foto: Getty)

Scholl: Große Freude und Erleichterung, dass das Kapitel vorbei war. Und die Erleichterung hält an.

SZ: Warum?

Scholl: Erleichterung darüber, dass ich nicht mehr jeden Morgen laufen muss.

SZ: Aber Sie spielen noch.

Scholl: Mit meinen Jungs bei Bayern, die ich betreue.

SZ: Das sind 12-Jährige wie Ihr Sohn Lukas.

Scholl: Die sind fast 13. Da macht's noch ein bisschen Spaß. Die kann man wegdrücken vom Ball. Nach Fußball mit Gleichwertigen habe ich kein Verlangen mehr.

SZ: Sind Sie nie in das berühmte Loch nach einer erfolgreichen Sportlerkarriere gefallen?

Scholl: Ich warte noch darauf. Vielleicht definiere ich das Loch auch nur anders. Ich musste und muss einen Rhythmus ins zweite Leben kriegen. Früher war der Rhythmus: zehn, halb elf ins Bett, acht Uhr aufstehen, Training, Mittagessen, Training, Flug, Trainingslager, Spiel. Jetzt wird mein Tag von den Terminen meiner drei Kinder strukturiert. Planbar ist das nur bedingt. Weil ich aber kein Mensch bin, der sein Leben von A bis Z plant, geht's ganz gut.

SZ: Als Sie noch Profi waren, hatten Sie bestimmte Vorstellungen von Ihrer Zukunft: ein Plattenlabel gründen, für Ihren Sponsor Adidas Kleidung entwerfen, mit den Sportfreunden Stiller auf Tournee gehen, vielleicht eine Weltreise machen. Jetzt sind Sie Fußball-Experte.

Scholl: Urlaub habe ich ja gemacht, ausgiebig, eine wichtige Erfahrung, drei, vier Wochen am Stück mit meiner Familie. Okay, das Plattenlabel hat sich mit dem Internet und der Digitalisierung erledigt. Zu Adidas habe ich leider keinen engen Kontakt mehr, obwohl mir die Firma der liebste Werbepartner war. Das mit den Sportfreunden hole ich nach, das ergab sich bisher nicht, aber das steht im Raum, und ich stehe dazu.

SZ: Experte wollten Sie allerdings nie werden. Sie haben schon sehr über ehemalige Kollegen gelächelt, die Spiele co-kommentierten oder fürs Fernsehen analysierten. Warum kommentieren und analysieren Sie jetzt für die ARD bis Sommer 2010 inklusive WM?

Scholl: Es kam ein seriöses Angebot der ARD für vier EM-Spiele 2008. Ich sagte zu, weil ich internationalen Fußball ohne Druck im Stadion anschauen konnte, und plötzlich hatte ich Spaß an dem, was wir machten. Ich bin so in unmittelbarer Nähe der Sportler, ohne dazuzugehören. Das gefällt mir. Ich halte mich ja bewusst raus, mache nicht auf Ex-Profi, der alle Interviews kriegt.

SZ: Genau das wünscht sich vermutlich die ARD. Das Kalkül bei einer Verpflichtung von Experten wie Ihnen ist auch, bestimmte Zugänge zu bekommen.

Scholl: Das werde ich definitiv nicht machen. Die ARD lässt mich außerdem sein, wie ich bin. Ich weiß, wie du dich als Spieler fühlst, wenn ein Ehemaliger mit dem Mikrophon da steht und was von dir will. Das ist nicht schön. Ich hätte ja gerne ein Trikot von Franck Ribéry, aber im Leben würde ich mich nicht trauen, ihn zu fragen, ob er mir ein Trikot gibt. Außerdem reicht mein Schulfranzösisch nicht.

SZ: Sie trauen sich nicht?

Scholl: Ich habe solchen Respekt vor der Art und Weise, wie er Fußball spielt, dass ich da nicht hinrenne. Würde ich gegen ihn spielen, wäre das anders.

Auf der nächsten Seite: Mehmet Scholl über Eitelkeiten im Fernsehen, ein Angebot des ZDF und den Respekt vor Günter Netzer.

SZ: Sie werden im DFB-Pokal, in der Bundesliga und bei Länderspielen ohne deutsche Beteiligung eingesetzt. So ein Satz wie über den französischen Profi Florent Malouda, der trage seine Fersen vorne, würde ein Beben auslösen, bezöge er sich auf einen deutschen Nationalspieler.

Scholl: Es wäre heikel und ginge wahrscheinlich nicht. Das mit Malouda habe ich in meiner ersten Sendung so gesagt. Da saßen bestimmt ein paar Herren der ARD zuhause und dachten: Hoppala, was ist jetzt passiert. Am Ende zählt, was ich fachlich sage. Wobei ich mich gewöhnen muss. Als ich einen Sat-1-Kommentator in unserer Sendung kritisiert habe für seine Einschätzung des Champion-League-Spiels des FC Bayern gegen den AC Florenz, hieß es hinterher: Öffentliche Kollegenschelte ist schwierig.

SZ: Ist Fernsehen überhaupt schwierig?

Scholl: Es gibt unglaubliche Eitelkeiten, als früherer Fußballprofi weiß ich, wovon ich spreche. Ich habe mich anfangs schön umschauen müssen: Wenn der das oder das machen darf, ist dieser oder jener deshalb unzufrieden und bekommt dafür dies oder das.

SZ: Stimmt es, dass das ZDF Ihnen auch ein Angebot gemacht hat?

Scholl: Drei Tage, nachdem ich bei der ARD zugesagt hatte, rief mich der von mir geschätzte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz an und sagte: Jürgen Klopp hört nach der EM im ZDF-Expertenteam auf, ob ich mir seine Nachfolge vorstellen könnte?

SZ: Und wie ist es bei der ARD?

Scholl: Es ist ein Gefühl, als ob ich beim FC Bayern wäre. Ich mochte Günter Struve sehr, den ARD-Programmdirektor, der im Oktober aufgehört hat. Aber auch mit seinem Nachfolger Volker Herres läuft's hervorragend.

SZ: Wundern Sie sich nicht selbst manchmal, dass ausgerechnet die beiden Karlsruher des FC Bayern, Sie und Oliver Kahn - der dann vom ZDF engagiert wurde - den Deutschen die Fußballspiele erklären sollen?

Scholl: Wenn wir beim Karlsruher SC geblieben wären, dann würde ich mich wundern.

SZ: Sieht man die Spiele auf der Bank tatsächlich anders als von oben?

Scholl: Oben hast du den taktischen Blick, unten kriegst du Technik, Dynamik, Geschwindigkeit mit.

SZ: Haben Sie durch den Fernsehblick mehr über Fußball erfahren?

Scholl: Nein.

SZ: Was kann man als Experte von Günter Netzer lernen, Ihrem ARD-Kollegen?

Scholl: Netzer hat mich, als ich noch spielte, sehr oft sehr scharf kritisiert in Kolumnen. Man ist da als Spieler automatisch in der Defensive. Doch Netzer war nie polemisch, er war nie böse, er bleibt bei allem, was er sagt, sachlich und nah beim Thema. Er holt nie weit aus, sondern bringt es auf den Punkt. Das akzeptiert man.

SZ: Mit Moderator Gerhard Delling, seinem Partner bei den deutschen Länderspielen, versucht er sich inzwischen in einer immer stärker bemühten ironischen Präsentationsform.

Scholl: Ja, aber mein Respekt vor ihm ist gewachsen. Ich habe das Gefühl, das Allermeiste, was er sagt, trifft zu. Ich könnte ihm nicht widersprechen. Ich denke immer: So einer müsste doch eigentlich bei Bayern gespielt haben, so viel, wie der weiß.

Auf der nächsten Seite: Mehmet Scholl über Beckmann und Delling, seine Repräsentationspflichten und eine wichtige Rolle beim FC Bayern.

SZ: Erwartet man nicht von Ihnen verspielte Formen der Kritik?

Scholl: Ich stehe in der zweiten Reihe, ich bin nicht für die deutsche Elf zuständig. Ich versuche ehrlich, geradeaus zu sein und mich mit einer Prise Humor auszudrücken.

SZ: Humor ist schwierig. Da braucht man Gleichgesinnte im Studio.

Scholl: Ich bin gespannt, wer auf Dauer mein Partner wird.

SZ: Wer passt denn besser zu Ihnen: Reinhold Beckmann oder Delling?

Scholl: Das Schöne ist, dass ich das nicht zu entscheiden habe. Das müssen die Intendanten entscheiden. In meinen Kopf gibt es eine Reihenfolge, aber die verrate ich nicht.

SZ: Günter Netzer wird in diesem Jahr 65. Stehen Sie in der Fußballberichterstattung für die Verjüngung der ARD?

Scholl: Ich werde 39, jung ist was anderes. Aber die ARD hat erkannt, dass sie das ganz junge Publikum nicht mehr oder nur schlecht erreicht und dass man den Kurs deshalb ändern muss.

SZ: Hat die ARD Ihnen den Einstieg in andere Sendungen oder Shows angeboten?

Scholl: Nein, wäre auch für mich undenkbar, so undenkbar, wie zum Musikantenstadl zu gehen.

SZ: Haben Sie Repräsentationspflichten?

Scholl: Klar. Nehmen wir an, ich hätte drei festgelegte Auftritte im Jahr, dann gehe ich zweimal zu Harald Schmidt.

SZ: Und einmal zu Beckmann.

Scholl: Nein, keinen Seelenstriptease, bei aller Liebe.

SZ: Wie fühlen Sie sich als Experte nach den ersten zwölf Auftritten?

Scholl: Ich habe mir das hinterher nie noch einmal angeschaut.

SZ: Nervös, wenn das Rotlicht im Studio angeht?

Scholl: Ja. Immer noch.

SZ: Waren Sie früher aufgeregt, wenn Sie als Spieler vor die Kamera mussten?

Scholl: Nein. Nur Pressekonferenzen waren schwierig: Du sitzt alleine vorne und schaust 20 Leute an. Seltsam.

SZ: Sie kleiden sich modebewusst, eher lässig. Gibt es eine Kleiderordnung für die Moderationen?

Scholl: Hemd wäre schön.

SZ: Kriegen Sie die Hemden gestellt?

Scholl: Stellen Sie sich mal vor, einer gibt mir das abgelegte von Waldi Hartmann. Meine Hemden bringe ich lieber selbst mit.

SZ: Was haben Sie bisher übers Fernsehen gelernt?

Scholl: Dass unglaublich viele Menschen daran arbeiten, dass diese eine Übertragung zustande kommt.

SZ: Das ist alles?

Scholl: Fernsehen ist wie eine Liga mit unterschiedlichen Teams. Sind wir in Berlin, ist der RBB zuständig. In Hamburg ist es der NDR, in Stuttgart der SWR. Man merkt bald, dass es qualitative Unterschiede gibt. Die Moderatoren würde ich in den Teams mit den Torhütern vergleichen. Ohne die funktioniert das Spiel nicht, sie haben den Sonderposten.

SZ: Und die Experten sind die Ausländer, für viel Geld eingekauft.

Scholl: Dann bin ich der Luca Toni der ARD.

SZ: Gutes Stichwort: Wenn Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern, morgen anruft und Sie bittet, eine wichtige Rolle im Verein zu übernehmen, was machen Sie?

Scholl: Ich habe schon eine wichtige Rolle, ich bin Jugendtrainer bei Bayern. Aber Sie meinen etwas Anderes. Als ich 26, 27 war, wurde von mir immer wieder verlangt, mehr Verantwortung für die Mannschaft zu übernehmen. Ich habe die Verantwortung damals von mir fern gehalten. Jetzt bin ich dabei, den Sprung ins zweite Leben zu schaffen und habe kein Problem, einem Profi ins Gesicht zu sagen, warum es bei ihm nicht läuft. Eines verträgt jeder Profi: die Wahrheit.

© SZ vom 21.02.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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