Fußball: Hertha BSC Berlin:"Einige machen Politik!"

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Krisenstimmung beim Tabellenletzten Hertha BSC: Nach den zuletzt schwachen Leistungen fragt der Assistenztrainer, ob manche Profis die Arbeit verweigern.

Moritz Kielbassa

43 Minuten nach Spielende zeigte der Tabellenletzte doch noch eine geschlossene Mannschaftsleistung. Im Trauerzug schlurften die Berliner Fußballer gemeinsam zum Bus, schweigend und mit den Köpfen auf Halbmast, ihre Rollkoffer im Schlepptau ratterten. Es dürfte eine Heimreise in trister Atmosphäre gewesen sein, zurück in die Kapitale der Republik, in der beschwingte Menschen am selben Abend Wahlpartys feierten. "Ihr wollt unsere Hauptstadt sein?", spöttelte die Fantribüne von 1899 Hoffenheim bereits im Verlauf des 5:1 (3:1) gewonnenen Spiels, und noch mehr demütigten die Hertha-Kicker die Hohnbekundungen des eigenen Blocks ("ihr seid so lächerlich"), der ohnehin nur lückenhaft besetzt war und sich zu weiten Teilen bereits während der zweiten Halbzeit leerte.

Am Tag danach, als sich Klubchefs und sportliche Leitung (inklusive Trainerstab und Scouts) zur unvermeidlichen Krisensitzung trafen, flogen der Hertha die Schlagzeilenpfeile entgegen: Desaster! Absturz! Offenbarung! Favre am Ende! Preetz rückt von Favre ab! Mit dem zementierten 18. Platz, sechs Niederlagen und 17 Gegentoren sowie der Zersetzung der Elf am Sonntag hat die Misere ein finsteres Stadium erreicht. Als Letzter verließ Manager Michael Preetz das Stadion. Er habe "volles Vertrauen zum Trainer", beteuerte er, doch der Rest seiner Ausführungen klang - mit Vorsicht gedeutet - nicht gut für Lucien Favre: "Wir müssen das sacken lassen, uns an einen Tisch setzen, analysieren. Wir haben viele Impulse gegeben, um das Selbstvertrauen zu stärken. Leider haben alle Maßnahmen nicht gefruchtet."

Nach dem Pokalaus bei 1860 München wurde eilig der vereinslose Torwart Timo Ochs verpflichtet, und man bezog ein Besinnungstrainingslager im badischen Bad Schönborn, unter Begleitung des Mentalbetreuers Dirk C. Gratze - Berufsbezeichnung: "Launologe". Resultat in Hoffenheim: 0:1 nach 44 Sekunden, 0:2 nach vier Minuten, 0:3 nach 21, fünf Gegentreffer für den armen Ochs.

Nach dem Montagstraining unter Favres Leitung trat dessen Assistent Harry Gämperle in Erscheinung - mit einer Wutrede, die ein hartes Gerücht offen thematisierte: Liegt - zumindest unterschwellig - Arbeitsverweigerung vor? "Wenn einige über zwei, drei Spiele solche Leistungen bringen, muss man sich fragen, welche Interessen die Spieler haben. Einige machen hinter dem Rücken Politik und quatschen zu viel", sagte Gämperle, "auf was warten die Spieler? Auf den lieben Gott?" Der formschwache Arne Friedrich soll von Preetz bereits explizit gefragt worden sein, ob er gegen Favre spiele. Was dieser wiederum als Affront verstehen musste: Sein Verhältnis zum Trainer ist zwar nicht reibungsfrei - doch Friedrich gilt in Berlin als Loyalität in Person.

Am frühen Montagabend war das Trainergespann noch im Amt - die schweren Prüfungen dieser Woche (Sporting Lissabon, HSV) sprachen gegen einen raschen Trainerwechsel. Favre (Vertrag bis 2011) bildet seit der Trennung von Manager Dieter Hoeneß mit Preetz und Präsident Gegenbauer ein Trio der Eintracht. Am Montag schwieg der Schweizer. In Hoffenheim saß er mit der Miene eines Magenkranken auf dem Pressepodium, quälend lange zog sich das Fragen-Bombardement hin: "Ihr wart nach dem Spiel 40 Minuten in der Kabine, was ist dort passiert?" Favre: "Nichts!" - Keine Analyse? - "Nein, es bringt nichts, etwas zu sagen nach so einem Spiel. Ich muss es mir nochmal anschauen und dann analysieren. Wenn es so früh 0:3 steht, ist es entschieden." Immerhin, die Frage nach freiwilligem Rücktritt konterte er einigermaßen entschlossen: "Nein, kein Thema!"

Personell ausgeblutet

Auch die Rhetorik des klug, aber verzagt wirkenden Hertha-Trainers leidet unter der Malaise. Die Situation sei "schwierig", sagt Favre, es ist sein meistbenutztes Wort, treffend und unverbindlich. Was soll er auch sagen? Jeder sieht, dass er eine personell ausgeblutete Mannschaft befehligt, in der zwar Potential steckt, aber wenig Wehrhaftigkeit und massive Instabilität in der Abwehr. Beides wiegt in Krisenphasen schwer.

In Hoffenheim trafen vorzügliche Flügelangreifer wie Obasi und Ba auf zwei überforderte Außenverteidiger der Hertha, die beide im Innendienst ausgebildet wurden (Pejcinovic, Janker). Dort, im Abwehrzentrum, fehlt Josip Simunic als Organisator, er hält jetzt den Hoffenheimer Laden zusammen, weshalb die gleiche Spielansetzung diesmal völlig anders aussah als noch im Frühjahr, als die Hertha auf dem Scheitelpunkt ihres Hochs 1:0 in Hoffenheim gewann.

"Es bringt nichts, noch darüber zu sprechen, er war der beste Verteidiger der Bundesliga", sagte Favre zum Verkauf von Simunic. Fort sind auch Woronin und Pantelic, verletzt fehlten am Sonntag Drobny, Ebert, Cicero, Kacar, Kringe, von Bergen, Lustenberger. Gegen Lissabon fällt eventuell auch Friedrich wegen eines Blutergusses aus. Alle zusammen ergäben: eine komplette Elf mit Klasse.

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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