Fußball-EM:Österreich sucht die Sonne

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David Alaba (l.): Kam nicht in Form bei dieser EM (Foto: dpa)

Gescheitert an "Pfostosson" und den eigenen Nerven: Als Österreich endlich guten Fußball spielt, verliert die Mannschaft das erste Drama der EM.

Von Thomas Hummel, Saint-Denis

Aleksandar Dragovic blickte in die Ferne. Das betrübliche daran war, dass es in den Kellergängen des Stade de France gar keine Ferne gab, die nächste Wand war nur vier Meter entfernt. "Das muss ich jetzt erst mal sacken lassen", sagte er, "aber nach jedem Regen kommt auch wieder die Sonne." Zwischen ihm und seinen Gesprächspartner folgte Stille, Dragovic blickte in die nicht existente Ferne und es schien unausweichlich, dass ihm nun die Tränen hochsteigen würden. Fragen wollte niemand mehr stellen, die österreichischen Reporter hätten ihren Verteidiger in diesem Moment wohl am liebsten in den Arm genommen. Einer nahm seinen Mut zusammen, und gab dem Nationalspieler einen Klaps auf den Oberarm, der sagen wollte: Bua, nimms ned so schwer. Werd scho wieder.

Doch in dieser Pariser Nacht sollte für den österreichischen Fußball nichts mehr gut werden. 1:2 hatte das Nationalteam gegen Island verloren. Zuerst leidenschaftlich, am Ende sogar mit ordentlichem Fußball hatten sich die Spieler dagegen gewehrt, hatten sich an einem ungewöhnlich schwülen Abend in Saint-Denis die Seele aus dem Leib gespielt. Doch während die Isländer am Ende in Ekstase verfielen, versanken die Österreicher in Trauer. Nur ein Punkt in der Vorrundengruppe F. Das Abenteuer Europameisterschaft ist zu Ende.

Mit welcher Euphorie hatten sie die Landsleute vor vier Wochen nach Frankreich geschickt. Nach neun Siegen und einem Unentschieden glaubten viele im Land, dass diese Mannschaft nicht nur mitspielen würde. Sondern selbst für die Besten ein gefährlicher Gegner sein würde. Im Stade de France waren 35 000 Österreicher, die vermutlich größte Fanunterstützung außerhalb des Landes in der Geschichte. Und dann verlieren die Fußballer das erste Drama bei dieser EM.

Übertölpelt von einem Einwurf

Ein Sieg gegen Island hätte ja gereicht für das Achtelfinale. Doch sie ließen sich übertölpeln von einem langen Einwurf samt Kopfballverlängerung. "Dann fällt er ihm genau vor die Füße, aber da müssen wir einfach da sein", klagte Kapitän Christian Fuchs. Das 0:1 von Jon Bödvarsson war ein Schock - und doch schien er einige Wunden heilen zu lassen. Die zuvor nervös wirkenden Österreicher erinnerten sich im Angesicht der drohenden Total-Pleite an ihre Fähigkeiten. War ja eh schon wurscht.

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Plötzlich kamen Pässe an, das Team gewann Zweikämpfe mit Herz, spielte Chancen heraus. Die letzte Stunde Spielzeit in Paris verstärkte die Wehmut, dass hier eine Mannschaft vorher weit unter ihren Möglichkeiten gekickt hatte. Selbst der zuvor fast unsichtbare David Alaba fand halbwegs ins Spiel. Trotz des vergebenen Elfmeters von Dragovic - den nach Ansicht der Kronen Zeitung ein Mann namens "Pfostosson" hielt - wirkten die Österreicher wie ausgewechselt. Der sehr belebende Alessandro Schöpf vom FC Schalke schoss den Ausgleich. Österreich drängte, Österreich drückte und versuchte alles. Doch der Ball wollte nicht noch einmal ins Tor. Der letzte isländische Konter besiegelte das Aus.

Nachdem Trainer Marcel Koller noch auf dem Platz auf einige Spieler einredete und versuchte, sie wieder aufzubauen, schleppte er sich merklich angeschlagen durch das Stade de France. Der Schweizer ist ein nüchterner Beobachter, und so konnte er sich denken, dass Kritiker und Gurus nun über ihn herfallen würden. Hatte er nicht zum ersten Mal überhaupt ein System mit drei Verteidigern eingeführt? Und seinen Besten, den eigentlichen Linksverteidiger David Alaba, anfangs fast Mittelstürmer spielen lassen? Hans Krankl, Held von Cordoba, ließ nicht lange auf sich warten. Über eine Zeitung ließ er mitteilen, dass ihm die Aufstellung ein Rätsel, das Ausscheiden eine Katastrophe sei.

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Koller reagierte im Stade de France gefasst. "Ich denke nicht, dass es ein persönliches Scheitern für mich ist" sagte er. Wie die ganze Mannschaft habe er im Turnier wichtige Erfahrungen für die Zukunft gesammelt. Verbandspräsident Leo Windtner bekräftigte sogleich, dass der Schweizer für die Qualifikation zur WM 2018 Trainer bleiben wird. Dort muss die Mannschaft in einer Gruppe gegen Wales, Serbien und Irland bestehen.

Doch einige wollten am Mittwochabend daran noch nicht denken. "Wir haben es verbockt", sagte Mittelfeldspieler Stefan Ilsanker, Christian Fuchs fand das Turnier "scheiße". Einige Spieler wie Stürmer Marc Janko hatten mit Verletzungen zu kämpfen gehabt, andere wie Alaba waren in ein seltsames Formloch gefallen. Von der unerwarteten Niederlage gegen Ungarn zu Beginn hatte sich die Mannschaft lange nicht erholt. Als gegen Island endlich der Ball lief, war es zu spät.

Aleksandar Dragovic, bester Verteidiger des Landes, erwischte es besonders hart. Erst Gelb-Rot gegen Ungarn, nun der verschossene Elfmeter. "Jetzt bin ich der Buhmann. Damit muss ich leben. Aber das wird sicher ein paar Tage dauern." Wer ihn sah, kam zu dem Schluss: Eher ein paar Tage länger.

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