Fußball-EM:Der Stolz der Straßenkämpferinnen

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Die Engländerinnen sind der letzte Favorit der Frauenfußball-EM. Sie könnten erstmals den Titel gewinnen.

Von Anna Dreher, Enschede/München

Jeden Tag war da dieser Schmerz, er hörte einfach nicht auf. Aber keine Spielerin der englischen Frauenfußball-Nationalmannschaft beschwerte sich darüber. "Wenn du jedes Spiel gewinnen willst, muss es weh tun. Wir wollen uns stärker machen, als wir jemals gewesen sind", sagte Fara Williams, als sie sich ein letztes Mal vor der Europameisterschaft in den Niederlanden auf dieses Turnier vorbereitete. Inzwischen ist das ein paar Wochen her. Williams hat immer noch Schmerzen, sie begleiten sie jeden Tag. Aber sie fühlt sie kaum noch. Das Stechen in den Muskeln wird überlagert von der Gewissheit, nicht umsonst zu leiden. "Ich habe das Gefühl", sagt Williams, "dass wir eine realistische Chance haben, die Europameisterschaft zu gewinnen."

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Es ist nicht so, dass sie diesen Gedanken nicht auch früher gehabt hätte, nur war er damals mehr Wunsch als feste Überzeugung. In diesem Jahr aber haben Williams und ihre Mitspielerinnen schnell bestätigt, was sie sich lange erhofft hatten. In der Gruppenphase deklassierten sie EM-Debütant Schottland mit 6:0, gegen Spaniens Tiki-Taka nutzten sie wenige Torchancen zum 2:0, und auch Portugal hatte beim 1:2 das Nachsehen. Im Viertelfinale bezwang die Mannschaft von Mark Sampson Frankreich (1:0) - zum ersten Mal seit 43 Jahren. England steht nun im Halbfinale und trifft dort am Donnerstag in Enschede auf die Niederlande. Für England könnte diese Europameisterschaft zum Erfolgserlebnis schlechthin werden - gekrönt vom ersten EM-Titel der englischen Fußballerinnen überhaupt.

Schon vor Beginn des Turniers wurde das Team zu den Favoriten gezählt und war schließlich die einzige Nation, die diese Rolle bestätigen konnte. Deutschland, Schweden, Norwegen und Frankreich enttäuschten. England ist der einzige Titelkandidat, der noch übrig geblieben ist - und nicht vorhat, das Schicksal der anderen zu teilen. "Wir sind ein Team von Straßenkämpfern. Wenn uns jemand sticht, stechen wir zurück", sagte Sampson. "Wir wollen die beste Mannschaft der Welt werden. Die anderen werden sich sehr anstrengen müssen, uns zu schlagen."

„Wenn du jedes Spiel gewinnen willst, muss es weh tun“ – auch im Training: Fara Williams (rechts) und Millie Bright wollen ins Finale. (Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Der ehrgeizige Waliser könnte der erste englische Trainer seit 1966 werden, der mit der Nationalmannschaft ein wichtiges Turnier gewinnt. Der Erwartungsdruck aber beflügelt Sampson noch mehr. Nachdem er mit 21 Jahren zunächst Jugendmannschaften betreute und im Jahr 2009 zum Frauenfußball wechselte, wurde er 2013 Nationaltrainer. Mit Sampson kamen die Engländerinnen 2015 bei der Weltmeisterschaft in Kanada so weit wie nie zuvor. Das Spiel um Platz drei gegen Deutschland endete 1:0 für den eigentlichen Underdog. 2009 verlor England gegen Deutschland im Finale der Europameisterschaft noch mit 2:6, es war ein Debakel. Titellos, wie seine Vorgängerin Hope Powell, will Sampson nicht bleiben.

Der Trainer, der gerne pathetische Sätze mit lauter Stimme sagt, strahlt ein Selbstbewusstsein aus, das sich auf seine Spielerinnen übertragen hat. Er hat aus dem englischen Team das mental und physisch wohl stärkste dieser EM geformt. Die Defensive wirkte nie ungeordnet oder verunsichert, was auch an der starken Torhüterin Karen Bardsley lag, die allerdings im Halbfinale verletzt fehlen wird. In der Offensive spielte England sich mit schönen Kombinationen in den gegnerischen Strafraum, und meist war es dann Jodie Taylor, die traf - mit fünf Toren bisher so oft wie keine andere bei dieser EM.

Der Grund für den Erfolg der englischen Nationalmannschaft ist aber noch ein anderer als Sampsons schneller und druckvoller Fußball: die englische Liga. Während der Frauenfußball auch auf der Insel früher eher nebenbei wahrgenommen wurde, wird inzwischen immer mehr investiert. Von den Millionen, die den Männerklubs überwiesen werden, profitieren nun auch die Frauen. Der englische Fußballverband FA gibt nach Recherchen des Guardian 17,7 Millionen Pfund jährlich für die FA Women's Super League aus - so viel, wie in keinem anderen europäischen Land. Zudem soll die Zahl der gemeldeten Teams von derzeit 6000 verdoppelt werden. Vereine wie Liverpool, Chelsea, Arsenal oder Manchester City haben längst eigene Mannschaften und wollen auch in diesem Bereich zu den Besten gehören. Die Frauen profitieren dabei nicht nur von den finanziell besseren Bedingungen, sondern auch von der Infrastruktur.

Gegen die Niederlande soll all das zum nächsten Schritt Richtung Titel führen. Doch auch der Gastgeber hat bisher dominiert und will Europameister werden. "Aber wir", sagte Mark Sampson, "sind in dieses Turnier gegangen, um es zu gewinnen. Wir sind gut genug. Nun müssen wir es nur noch beweisen."

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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