Fußball:Die wahre Seleção

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Großes Spiel, großer Jubel: Neymar, der Torjäger des FC Barcelona, traf bereits nach 14 Sekunden zum 1:0. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Brasiliens Fußballer spielen sich beim 6:0 gegen Honduras so mühelos ins Finale, dass sich die Profis der A-Auswahl sorgen müssen.

Von Thomas Kistner

Schon in der Stunde nach dem Rausch wurde bei manchem Spieler Brasiliens der starke Wunsch spürbar, im Endspiel am Samstag einen besonderen Gegner vorgesetzt zu bekommen: Die deutsche Auswahl, deren siegreiche Halbfinalpartie da gerade erst begann. Der Zeitpunkt erscheint nun immer mehr Fußballfreunden im Lande günstig, um bei diesen Spielen das Trauma zu überwinden, das die Nation vor zwei Jahre durch die DFB-Elf erlitten hatte und das sich in zwei Ziffern destilliert - 1:7. "Es sind nicht unsere Tore, die uns stark machen", sagte der zweifache Torschütze Gabriel Jesus nach dem 6:0 (3:0)-Halbfinalsieg am Mittwoch über Honduras, "es ist unser Auftreten."

Das wirkt in der Tat deutlich gereifter als das der brüllenden, betenden, heulenden Kollegen in der großen Seleção bei der WM 2014. Und spielerisch ist die Olympia-Auswahl ohnehin stärker, die aus dem A-Team nur einen zu sich rübergezogen hat: den Wichtigsten. Neymar. Der nun vorwiegend im Mittelfeld agiert und wie die drei anderen Offensivkräfte auch jede Menge Defensivarbeit verrichtet. Wenn nicht, schreit sich Altstar Renato Augusto die Seele aus dem Leib.

Mehr als Silber muss es jetzt schon werden, wenn Brasiliens Junioren im Maracanã das olympische Fußballendspiel bestreitet. Beim fulminanten 6:0 über Honduras waren sie, nebenbei, auch im fünften Turnierspiel ohne Gegentor geblieben. Schon der Jubel der Fans bei Spielanpfiff war direkt in den ersten Torschrei gemündet. Anstoß, Rückpass bei Honduras, wo Johnny Palacios, just der erfahrene Abwehrchef, den Ball in den Weg des heranstürmenden Neymar spielte. Der jagte aufs Tor, beim spektakulären Crash mit Keeper Luis Lopez fand die Kugel den Weg ins Netz - und Torschütze Neymar nach nur 14 Sekunden den Weg in die olympischen Annalen. Es war das schnellste Tor der Ringe-Geschichte. Zugleich fand er zurück in die Rolle des Schmerzensmannes der Nation, musste minutenlang behandelt werden.

Fortan bekämpften die Jungs aus Mittelamerikas größter Krisenregion im Stile einer Straßengang die Seleção, der sie spielerisch nie gewachsen war. Im Minutentakt holte Honduras Neymar von den Beinen, der ja rasch als Hauptquell aller Bedrohungen identifiziert worden war. Die erste gelbe Karte gegen Kapitän Acosta (21.) traf zwar den Falschen, war aber überfällig - als Warnung an das Kollektiv. Nach 27 Minuten brachte Gabriel Jesus einen der vielen Steilpässe an Lopez vorbei im Tor unter. Das 0:2 sowie die Aussichtslosigkeit, diese Partie retten zu können, befeuerte die Kampfeslust der Honduraner. Mal links, mal rechts, mal in der Mitte purzelten Brasiliens Junioren übers Geläuf, als wäre olympisches Turnertreffen im Maracanã. Aber sie blieben kühl, sie wussten ja, wenn sie mal nicht rechtzeitig umgemäht werden, muss der arme Lopez wieder hinter sich greifen. Wie in der 35. Minute, als Gabriel Jesus erneut mit einem Steilpass, diesmal von Neymar persönlich, davonzog und aus der Kurzdistanz traf - Lopez hatte sich gar nicht mehr aus dem Tor getraut.

Auch nach der Pause vermochte Honduras' Elf nie das Mysterium aufzulösen, wie sie es ins Olympia-Halbfinale geschafft hatte. Zugleich verdichtete sich der Eindruck, dass hier Brasiliens wahre Seleção zugange war und die Akteure der aktuellen A-Auswahl zunehmend nervöser in Spanien, England oder sonst wo vor den Fernsehgeräten sitzen dürften. Ausgenommen Neymar, der in der neuen Rolle als väterlicher Freund auch das 4:0 auflegte - Marquinhos drosch den Eckball ins Netz (51.).

Palacios beendete die Partie standesgemäß. In der Schlussminute säbelte er Luan um

Der Rest bestand aus Kombinations-Übungen für das Finale, der eingewechselte Felipe Anderson streute ein flott herausgespielte 5:0 (79.) ein; unter den Fangesängen und eingedenk des paralysierten Gegners hatte die Seleção da schon auf ein 2-4-4-System umgestellt. Mehr Sicherheitsvorkehrungen hätte das Risikopotenzial dieser Partie nicht gerechtfertigt. Palacios, der Bleifuß aus den Anfangssekunden, beendete die Partie standesgemäß. In der Schlussminute säbelte er Luan um, Neymar traf per Strafstoß.

Als alle in den Kabinen waren, unterhielt Neymar die Fans immer noch. Mit nacktem Oberkörper, das Trikot eines honduranischen Gegners wie eine Jagdtrophäe über die Schulter gelegt, stand er unter dem olympischen Feuergefäß, das wie eine riesige silberne Sonne unterm Stadiondach des Maracanã hängt. Bei den kreischenden Fankolonnen warb er schon um die wichtigste aller Unterstützungen: Eine ekstatische Lärmkulisse beim Fußballfinale am Samstag - auf dass sich die Silbersonne golden färbe.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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