Fußball-Bundesliga:Wolfsburger Phantomschmerz

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Wird schon wieder: Kölns Leonardo Bittencourt (r.) beim Versuch, Julian Draxler aufzumuntern. (Foto: Stuart Franklin/Getty)

Selten hat der VfL Kevin De Bruyne so vermisst wie bei dem enttäuschenden 1:1 gegen den 1. FC Köln.

Von Javier CÁCERES, Wolfsburg

Als die Enttäuschung über die in nahezu jeglicher Hinsicht enttäuschende Partie gegen den 1. FC Köln noch erkennbar in ihm arbeitete, ereilte Klaus Allofs, den Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, eine Frage, die in die Vergangenheit wies. Wie das Spiel, das mit einem 1:1-Unentschieden beendet worden war, wohl vor einem Jahr ausgegangen wäre, wollte ein Reporter wissen. "Vor einem Jahr hätten wir das Spiel wahrscheinlich mit 3:1 gewonnen . . . ", sagte der Manager, und weckte damit, ohne den Namen in den Mund zu nehmen, unweigerlich die Erinnerung an jenen Mann, der auch noch ein halbes Jahr nach seinem Wechsel zu Manchester City wie ein nicht zu vertreibender Schatten auf dem Rasen der Wolfsburger Arena lastet: Kevin De Bruyne.

Denn in der Tat: So oft der rothaarige Belgier, der Top-Scorer der vergangenen Bundesligasaison, auch in der laufenden Spielzeit vermisst wurde - nur selten lag die Diagnose, dass Wolfsburg unter einem zunehmend unüberwindbar scheinenden Phantomschmerz leidet, so klar auf der Hand wie in diesen doch recht quälenden 90 Minuten gegen Köln. Dass sich die Wolfsburger (insbesondere ihre Defensivabteilung) eine veritable Fehlpass-Orgie genehmigten, weder Spielfluss noch Dynamik keimen ließen, war das eine.

Das andere hingegen war, dass weiterhin kein Spieler zu erkennen ist, der aus dem Groll über die eigenen Unzulänglichkeiten kreative Kraft schöpft. Keiner rebelliert gegen wirre Spielverläufe, wie De Bruyne das einst verstand. Stattdessen ist der VfL auch im Jahr 2016 eine nach Sinn und Identität tastende Elf, ein Team ohne inneren Kompass. Die Folge: "Das Selbstvertrauen ist im Moment nicht da, das sieht jeder", sagte Trainer Dieter Hecking.

Auch er blickt zunehmend grimmiger drein, kein Wunder nach nunmehr sechs weitgehend glanzlosen Spielen in Serie ohne Sieg. Die Wolfsburger, die sich einst zum FC-Bayern-Jäger weiterentwickeln wollten, sind inzwischen auf Tabellenplatz sieben abgerutscht; das Saisonziel Champions-League-Qualifikation ist nur deshalb noch nicht völlig aus dem Blickfeld verschwunden, weil die direkten Konkurrenten um die Tabellenplätze drei und vier unbeständig sind. Sieben Punkte auf den aktuellen Dritten Hertha BSC sowie vier Punkte auf den Vierten Leverkusen sind bei noch fünfzehn ausstehenden Bundesliga-Spieltagen keine unüberbrückbare Distanz. Vorausgesetzt, dass die Mannschaft irgendwann einmal der bitter-ironischen Aufforderung ihres Trainers Hecking Folge leistet: "Der eine oder andere darf sich ruhig steigern."

Dabei durfte sich am Sonntagabend jeder Wolfsburger angesprochen fühlen, Torschütze Julian Draxler (66.) eingeschlossen, trotz des famosen Volleytors nach Vierinha-Flanke, das alsbald durch Anthony Modeste (75.) ausgeglichen wurde. Der Gegentreffer wurde begünstigt durch nachgerade absurde Fehler der Abwehr, aber eigentlich nur deshalb heraufbeschworen, weil die Führung den Wolfsburgern nicht etwa Sicherheit verlieh, sondern sie im Gegenteil dazu brachte, die Offensivbemühungen zu drosseln. "Ein Rätsel" nannte Hecking die plötzliche Verzagtheit seines Teams, das über die Dauer des ganzen Spiels Pfiffe des Publikums ertragen musste. In crescendo.

Das galt insbesondere für André Schürrle. Der Weltmeister, der vor einem Jahr für eine beachtliche Ablösesumme vom FC Chelsea nach Wolfsburg gekommen war, leidet zunehmend unter mangelnder Akzeptanz; sein unverkennbares, aber steriles Engagement wiegt das nicht auf. Dass dies an ihm nagt, ist an seinem Spiel fast schon beängstigend offensichtlich. Wie er die geballte Missbilligung durch das Publikum interpretiert, zeigte sich nach dem Abpfiff: Schürrle verschwand mit zusammengekniffenen Lippen in der Kabine. Etwas offener gab sich der brasilianische Mittelfeldspieler Luiz Gustavo, der einerseits die Kundschaft lobte ("wir haben schon gute Fans"), andererseits aber auch deutlich erkennen ließ, dass sich das Team gerade in düsteren Momenten mehr Unterstützung von den Tribünen wünschen würde.

Das Rezept dafür lieferte Dieter Hecking: "Weniger Fehler machen, dann gibt es auch weniger Unruhe auf den Rängen." Vorerst aber bleibt wohl nichts anderes übrig, als den Missmut zu ertragen, meint jedenfalls der Trainer: "Da müssen die Jungs durch."

© SZ vom 02.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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