Fußball-Bundesliga, 22. Spieltag:Uhrwerk mit Aussetzern

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Hertha ist neuer Tabellenführer und spielt 50 Minuten lang auch wie einer. Gladbach ist nicht treffsicher genug, um den Berliner 2:1-Sieg zu verhindern.

Michael König

Gangsterrapper, an die Geräte! In Berlin entwickelt sich gerade der Frühlingshit 2009. Der Refrain steht schon fest, entwickelt und gesungen von der Hertha-Fankurve, eingängig und durchaus Hiphop-tauglich: "Berlin, was geht ab, wir holen die Meisterschaft!"

Pal Dardai erzielte das 2:0 für Hertha BSC Berlin. Der neue Tabellenführer musste in der Schlussphase zittern, ehe der 2:1-Sieg gegen Gladbach feststand. (Foto: Foto: Getty)

Den Fans des Hauptstadt-Klubs wird wohl nicht ganz zu Unrecht eine gewisse Großspurigkeit nachgesagt, doch diesmal liegen sie gar nicht so falsch: Mit einem 2:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach erklomm die Mannschaft von Lucien Favre erneut die Tabellenspitze. Zumindest bis Sonntag, wenn Hamburg gegen Wolfsburg nachlegen kann. Und obwohl die Berliner in den Schlussminuten zittern mussten und Gladbach den Ausgleich verdient hätte.

In der 28. Minute wurde es erstmals richtig laut auf der Tribüne, als Stürmer Andrej Voronin einen 50-Meter-Pass von Cicero aufnahm und mutterseelenallein vor Borussia-Keeper Bailly auftauchte - das 1:0. Pal Dardai erhöhte nach einem Zuspiel des starken Patrick Ebert noch vor der Pause auf 2:0 - es war das erste Tor des Ungarn seit zwei Jahren. Gladbach dominierte die zweite Hälfte, Bradley traf per Foulelfmeter zum Anschluss.

Meyer bleibt bescheiden

"Dranbleiben und unsere kleine Serie fortsetzen", hatte sich Gladbachs Trainer Hans Meyer vor dem Spiel gewünscht: "Wir sind ja bescheiden." Die letzten drei Spiele hatte seine Mannschaft ohne Niederlage gestalten können und auch bei Meyers Rückkehr an früherer Wirkungsstätte - 2004 hatte er die Hertha vor dem Abstieg bewahrt - sah es zunächst nicht allzu schlecht aus.

In Abwesenheit von Routinier Tomas Galasek (Magen-Darm-Probleme) erspielte sich die Borussia in den ersten zehn Minuten der Partie zwei Torchancen: Friend scheiterte mit einem verunglückten Fallrückzieher, Bradley aus kurzer Distanz an Hertha-Torwart Drobny.

Zahlreiche Fehlpässe im defensiven Mittelfeld wirkten sich nicht negativ aus, weil die Kreativspieler Baumjohann und Marin in der Vorwärtsbewegung Günter-Netzer-Gedächtnispirouetten drehten und den Ball vom eigenen Strafraum fern hielten.

Die Berliner konzentrierten sich darauf, kompakt zu stehen und schnörkellos zu spielen - die favorisierte Taktik des Schweizer Trainers Favre erinnerte an ein präzises Uhrwerk. Sie ging auf: Cicero schickte den Ball vom Mittelkreis aus steil in die Spitze, wo Torjäger Andrej Voronin lauerte und sein siebtes Saisontor erzielte.

Verdattert bis wütend

Die Gladbacher reagierten, als hätte man ihnen eine Toblerone über den Kopf gezogen: verdattert bis wütend. Der ansonsten starke Torhüter Logan Bailly traf beinahe ins eigene Netz, als er einen Abstoß an den Hinterkopf von Mitspieler Friend schoss - der Ball trudelte knapp an Baillys Kasten vorbei. Auf der Gegenseite prüfte Baumjohann Drobny mit einem Volleykracher. Kurz darauf traf Dardai zum 2:0, dann war Halbzeit - und Gladbach ziemlich weit davon entfernt, den Berlinern noch einmal gefährlich zu werden.

Doch Hans Meyer schien seine Bescheidenheit bei der Kabinenansprache abgelegt und die richtigen Worte gewählt zu haben - er wechselte lediglich Oliver Neuville ein, aber die komplette Elf wirkte wie ausgetauscht. Während Baumjohanns Leistung nun eher an einen Karlsruher Spieler erinnerte als einen (baldigen) Münchner, drehte Marin auf. Und Neuville hatte gleich drei dicke Chancen, mit denen er allerdings grob fahrlässig umging.

Erst ein Strafstoß brachte den Torerfolg: Arne Friedrich foulte Marin im Strafraum, den fälligen Elfmeter verwandelte Bradley brachial zum 1:2. Anschließend spielten beide Mannschaft mit offenem Visier - man könnte auch sagen: im Harakiri-Modus. Die Borussia war feldüberlegen und setzte die Hertha unter permanenten Druck. Gelang es den Berlinern, dies zu Kontern zu nutzen, stand stets der überragende Logan Bailly einem dritten Tor der Gastgeber im Weg.

Favre wusste es vorher

So ging es hin und her, haarsträubende Chancenverwertung und schimpfende Trainer auf beiden Seiten, und während die Zeit für die Hertha gar nicht schnell genug ablaufen konnte, bangten die Gladbacher Fans um jede Minute, die der Schiedsrichter als Nachspielzeit dazu geben würde.

Zwei waren es letztlich, und dann nahm Referee Gagelmann die Pfeife in den Mund und besiegelte den zehnten Berliner Sieg im einem Tor Unterschied in dieser Saison. Favres Präzisionsuhrwerksfußball hatte erneut funktioniert, die Aussetzer waren folgenlos geblieben. "Dass es so knapp war, hat mich nicht überrascht, sie sind sehr gefährlich", sollte der Schweizer später sagen.

Beim Abpfiff jubelte die Hertha-Fankurve und sang aus voller Kehle. Favre schrie nicht, er sang auch nicht. Das wäre anatomisch auch gar nicht möglich gewesen, denn nach dieser aufreibenden zweiten Halbzeit brauchte er seinen Mund für etwas anderes: Favre blies die Backen auf und atmete tief durch.

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