Fußball-Bundesliga:Potenzierung der Verfehlungen

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Die Undizipliniertheiten bei Werder Bremen summieren sich nicht, sie potenzieren sich. Trainer Schaaf greift durch - Stürmer Pizarro bekommt es zu spüren.

Jürgen Schmieder, Bremen

Die Kiebitze beim Abschlusstraining von Werder Bremen, es waren etwa 20, wussten nicht so recht, worüber sie diskutieren sollten. Sollten sie sich echauffieren, dass es den Bremer Akteuren beim Acht-gegen-Acht-Spielchen innerhalb von 30 Minuten nicht gelang, auch nur ein einziges Tor zu erzielen? Sollten sie nochmals über 1:1 gegen den AC Mailand debattieren? Oder sollte sich einer auf die Suche machen nach Claudio Pizarro? Der nämlich fehlte - verletzt schien er indes nicht zu sein.

Bremens Trainer Thomas Schaaf (links) suspendierte Stürmer Claudio Pizarro vor dem Spiel gegen Cottbus. Werder verlor mit 1:2. (Foto: Foto: ddp)

Kurze Zeit später gab es die Auflösung: Der Peruaner kam zu spät von einer Flugreise nach Bremen zurück. Nun wurde zunächst gerätselt, wo denn Pizarro für 35 Stunden hingeflogen sein könnte - so wenig hatte er nämlich nur Zeit zwischen Uefa-Cup-Partie und Training. War es ein Besuch bei der Familie in London, ein Kurzurlaub oder doch Vertragsverhandlungen? Trainer Thomas Schaaf war das egal. "Wer beim Abschlusstraining fehlt, der wird auch nicht für das Spiel berücksichtigt", erklärte er auf der Vereins-Homepage. Ein harter Schritt, zeigten doch die vergangenen Spiele, wie wichtig Pizarro und Diego für diese Mannschaft sind. Eine verständliche Maßnahme jedoch, wurden doch die Verfehlungen der Bremer Spieler in den vergangenen Woche immer zahlreicher.

Ein kluger Kopf sagte einmal, dass eine Fußballmannschaft mehr sei als die Summe der Einzelspieler. Frei nach dieser Erkenntnis kann die Disziplinlosigkeit einer Mannschaft auch mehr sein als die Summe der Verfehlungen.

In Bremen wissen sie ja nicht so recht, was sie anfangen sollen mit dieser Saison. Das Manisch-Depressive dieser Mannschaft sind sie inzwischen seit Jahren gewohnt, die Elf kann eben Bayern München mit 5:2 besiegen, Hoffenheim mit 5:4 und Berlin mit 5:1, um dann 1:4 in Stuttgart zu verlieren oder 2:3 in Gladbach. Nur gab es in vergangenen Spielzeiten die Grundtendenz zum Manischen: Der Verein landete am Saisonende auf den Tabellenplätzen zwei bis fünf - bei günstigem Verlauf war auch der Titel möglich wie im Jahr 2004. Nun aber geht schlägt das Pendel aus in Richtung Depression und die Bremer Verantwortlichen ahnen nun, warum das so ist.

Es sind allesamt kleinere Verfehlungen der Spieler oder fehlende sportliche Entwicklung einzelner, über die man gerne hinwegsieht, wenn die Mannschaft dennoch funktioniert. Dass Starspieler Diego erst unbedingt zu den Olympischen Spielen wollte und danach monatelang mit einem Wechsel kokettierte, dass sich der andere Star Pizarro Undiszipliniertheiten auf und neben dem Platz leistete. Dass sich Torsten Frings in einen Streit mit Bundestrainer Joachim Löw verzettelte. Dass die Nationalspieler Per Mertesacker und Clemens Fritz müde von einem großen Turnier zurückkehrten und in ihrer Entwicklung stagnieren. Dass der junge Hugo Almeida sich bei der Chancenverwertung ausgerechnet Kevin Kuranyi zum Vorbild genommen hat.

Jede dieser Tendenzen könnte eine Mannschaft leicht verkraften, wenn es die einzige wäre. In München oder auf Schalke würde man wohl gar in der Summe von einer "ganz normalen Saison" sprechen. Bei Werder Bremen jedoch gehört Ruhe und Bescheidenheit so dazu wie die Weser einen Bogen ums Stadion macht. Es gab kaum Extravaganzen und selbst Ailton und Mario Basler wurden es richtig verrückt, als sie von Bremen weggingen.

Und nun diese Reihe an Verfehlungen, die sich in Bremen nicht summieren, sondern potenzieren. Kein Wunder, dass Geschäftsführer Klaus Allofs nach dem Uefa-Cup mit einer Miene durchs Stadion lief, als hätte man ihn mit diesem 1:1 persönlich gekränkt. Er weiß, dass die ruhigen Typen wie Frank Baumann, Sebastian Boenisch und Daniel Jensen - allesamt gute Bundesliga-Spieler, aber eben nicht mehr - die Disziplinlosigkeiten nicht auffangen können. Eine Mannschaft braucht Typen, doch derzeit machen sich diese Typen in Bremen den Laissez-faire-Stil von Thomas Schaaf zu Nutze.

Der Trainer hatte Recht, als er die Strafe gegen Pizarro aussprach. Es mochte im Spiel in Cottbus von Nachteil sein, dass der Peruaner nicht mitwirkte. Es ist aber ein Zeichen an alle Spieler, dass selbst kleine Verfehlungen nun nicht mehr geduldet werden - damit in aller Ruhe das Manische zurückkehrt an die Weser.

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