Fußball:Anti-Doping im deutschen Fußball ist Klamauk fürs Publikum

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Dopingkontrolleur bei der Arbeit. (Foto: Claus Schunk)

Im Wintertrainingslager sehen ganze Teams keinen Kontrolleur. Viele Fußballer kommen ungetestet durch eine Saison.

Kommentar von Thomas Kistner

Kindern wird der Blick auf die leider nicht immer kindgerechte Lebensrealität gerne mit tollen Geschichten versüßt. Es gibt Weihnachtsmann und Nikolaus, bald ist wieder der Osterhase unterwegs. Ist das Kind alt genug, reagiert es mit Zweifeln, schließlich mit Protest auf die elterliche Vereinnahmung. Willkommen im echten Leben!

Im echten Leben gibt es auch solch bunte Storys, aber die leben länger - Gutgläubigkeit im Erwachsenenalter hat eine gewisse Zähigkeit. Die besten Storys für Tagträumer inszeniert die Sportwelt, sie halten das Geschäft mit Illusionen am Sprudeln. Das dreisteste Märchen lautete über Dekaden, der Spitzensport sei dopingfrei - abgesehen von wenigen schwarzen Schafen. Diese Mär lässt sich fast jedem hohen Funktionär zuordnen, der sich zur Pharma-Plage äußerte.

Heute weiß das Publikum Bescheid. In Zeiten, in denen Geheimdienste beim Dopen helfen und verfeinerte Nachtests die Umverteilung von Medaillen zur täglichen Routine machen, müssen selbst passionierte Träumer erkennen: Sport steckt in der Systemfalle. Wie wird man heute immer stärker, schneller, zäher - ohne all die hocheffektiven Mittel, die den Körper vorwärts katapultieren?

Eine neue Recherche enthüllt die Berechenbarkeit von Tests im Profifußball

Das Traumgespinst vom sauberen Sport ist geplatzt. Eines der Märchen aber trotzt weiterhin jeder Aufklärung: das vom dopingfreien Profifußball. Es ist müßig, die unzähligen Gegenbelege anzuführen, vom Schmerzmittelmissbrauch über all die Enthüllungen, die späten Geständnissen früherer Stars entstammen - bis hin zu den auffallend wenigen Blut- und Hormonstudien, die es zum weltgrößten Sportbusiness gibt. Jüngst zeigte eine wissenschaftlich abgesicherte Studie eine Dopingmentalität unter Fußballprofis hierzulande von zehn bis 35 Prozent. Na und?

Als 2016 bei einer Undercover-Recherche ein Londoner Arzt Profis von vier Premier-League-Klubs als Klienten benannte und ein Therapeut die Verdachtslage stützte, passierte: nichts. Keine Klage, sogar die enthüllenden Medien blieben unbehelligt. So milde reagiert die Branche nur, wenn die Gefahr besteht, dass Patientenakten auf dem Richtertisch landen. Nun offenbart erneut eine Recherche, diesmal vom Bayerische Rundfunk, dass die Anti-Doping-Übungen im deutschen Fußball vor allem Klamauk fürs Publikum sind. Im Testbereich ist fast alles berechenbar, zwei Profis pro Team werden nach Abpfiff geprüft. Im Wintertrainingslager aber sahen ganze Teams keinen Kontrolleur. Noch immer gelangen viele Berufskicker ungetestet durch die Saison. Und falls es mal eng wird? Der DFB hat sich Sonderregelungen verschafft. Die ermöglichen im Falle einer Positivmeldung kürzeste Reaktionszeit.

Der Fußball ist abgesichert und wird immer energetischer. Siegerteams brauchen heute neben der Klasse enorme Dynamik. Wie so eine Entwicklung funktionieren kann? Egal, einfach an das Gute glauben. Wie an den Osterhasen.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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