Lotfi El Bousidi war Fußballer. Für die große Karriere reichte es nicht, er spielte für die zweite Mannschaft von Mainz 05 und später in der vierten spanischen Liga für CD Torrevieja. Doch El Bousidi sah, dass im Fußball etwas schiefläuft; dass es ein Problem gibt, das stets kleingeredet wird. El Bousidi studierte nach seinem Karriereende 2010 Wirtschaftswissenschaften und beschäftigte sich für seine Diplomarbeit im Fach Statistik mit diesem Problem. Das Thema seiner Arbeit: "Eine Analyse des Dopingverhaltens im professionellen Fußball mit Hilfe der Randomized Response Technik". Anonym gaben dabei viele Fußballer zu, gedopt zu haben. Ein Gespräch über das gerade wieder sehr populäre Märchen, im Fußball werde nicht gedopt - und über eine fragwürdige Reaktion der Fifa.
SZ: Niko Kovač, der Trainer des Bundesligisten Eintracht Frankfurt, hat vor ein paar Wochen gesagt, dass Fußball ohne Schmerzmittel nicht gehe. Was halten Sie von so einer Aussage?
El Bousidi: Kovač hat auf Blessuren angespielt. Da gibt es natürlich viele Dinge, die sich mit einem Schmerzmittel beheben lassen. Das hat erst mal nichts mit Doping zu tun. Ich habe mir einmal die Nase gebrochen und vier Tage später wieder gespielt. Dahinter steckt aber eine problematische Denkweise: Die Vereine versuchen, Spieler fit zu kriegen, und Spieler wollen unbedingt spielen. Also auch dann, wenn der Körper eigentlich eine Pause bräuchte. Der Druck innerhalb einer Fußballmannschaft ist enorm. Zu meiner aktiven Zeit gab es meist vier andere, die auf meine Position gedrängt haben. Da versuchst du natürlich alles, dass es irgendwie geht, auch über die Schmerzgrenze hinaus. Spieler entwickeln oft einen falschen Ehrgeiz.
Sie haben im vergangenen Jahr ihre Diplomarbeit veröffentlicht, in der 150 Profifußballer anonym über Dopingpraktiken befragt wurden. Zwischen 14 und 29 Prozent gaben zu, zu verbotenen, leistungssteigernden Mitteln zu greifen. Haben Sie Ihre Ergebnisse überrascht?
Nicht wirklich, ich war selbst Profi und habe natürlich mit Spielern über das Thema gesprochen. Im Grunde haben sich meine Vermutungen bestätigt. Erschrocken hat mich eher die Zahl der Tests, beziehungsweise der nicht erfolgten Tests. 43 Prozent gaben an, in der laufenden Saison kein einziges Mal getestet worden zu sein. Ein Spieler in Deutschland absolviert pro Saison 34 Ligapartien plus Pokal - das ist ein Witz. Ein System, das so löchrig ist, verleitet natürlich dazu, mal zu einem verbotenen Mittel zu greifen, besonders wenn man verletzt ist. Die Chance, erwischt zu werden, ist verschwindend gering.
Die Aussage der Studie ist deutlich: Der Fußball hat ein Dopingproblem. In Deutschland zum Beispiel sind Ihrer Berechnung nach zwischen 10 und 35 Prozent der Spieler gedopt.
Der Fußball hat definitiv ein Dopingproblem, das sollte man auch ernst nehmen. Fußball ist zwar unheimlich populär, aber auch der Radsport war mal richtig groß. Heute will das keiner mehr sehen. Das war ja auch ein Grund für die Studie: Ich will den Fußball nicht in ein schlechtes Licht rücken oder irgendjemanden an den Pranger stellen, sondern einen Denkanstoß geben. Zeigen, dass sich etwas ändern muss.
Wie fielen denn die Reaktionen aus?
Ich habe viele positive Zuschriften bekommen, auch von Fifa-Funktionären. Einer meinte sogar, ich hätte "Rückgrat" bewiesen. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass das Thema so gepusht wird. Viele Zeitungen haben sich gemeldet, auch die Vereinigung für Vertragsfußballer, die viel für Dopingprävention tut. Es ist wichtig, dass das Thema stärker die Öffentlichkeit kommt. Nur so entsteht Druck auf die Verantwortlichen, nur so kann sich etwas verändern.