French Open:Düsternis in Raum 2

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Nach zwei turbulenten Jahren meldet sich die frühere Nummer eins Novak Djokovic zurück in einem Grand-Slam-Viertelfinale. Die aberwitzige Niederlage gegen Marco Cecchinato hinterlässt allerdings einen tiefen Schock beim Serben.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Normalerweise dauert es rund eine Stunde, bis ein Spieler nach einem Match zu einer Pressekonferenz erscheint. Aber schon zwei Minuten, nachdem Novak Djokovic den Court Suzanne Lenglen, das zweitgrößte Stadion der French Open, verlassen hatte, da rief eine Dame im 300 Meter entfernten Medienzentrum über die Lautsprecher aus: "Novak Djokovic is on his way to the main room." Zwei Minuten später: eine Korrektur. Er sei schon in Raum 2. Das war verwunderlich, Raum 2 ist klein, 30 Personen nur bietet er Platz. Später hieß es, der Serbe habe entschieden, in dieses Zimmer zu gehen. Er wollte alles rasch hinter sich haben, vor kleiner Kulisse offenbar. Es wurde die wohl kürzeste verbale Aufarbeitung Djokovics, seitdem er Profi ist, seit 2003.

Völlig makellos ist die Story des Überraschungs-Halbfinalisten Cecchinato jedoch nicht

Es hatte an diesem bewölkten Dienstagnachmittag in einem intensiven Duell einen Sieger gegeben, natürlich, nur war dies eben nicht der zwölfmalige Grand-Slam-Champion gewesen. Djokovic war ein spezieller Verlierer. So wie Marco Cecchinato ein spezieller Sieger war.

Cecchinato, 25, aus Palermo, steht nun tatsächlich im Halbfinale von Roland Garros. In einer Partie mit zum Teil aberwitzigen, hochklassigen Ballwechseln bezwang er Djokovic mit 6:3, 7:6 (4), 1:6, 7:6 (11); im vierten Satz vergab Djokovic eine 4:1-Führung mit zwei Breaks und zwei Satzbällen. Ein paar simple Fakten verdeutlichten die Besonderheit des Ereignisses: Der Sizilianer hatte vor diesem Roland Garros noch nie ein Match bei einem Grand-Slam-Turnier gewonnen. Er ist der erste Italiener im Semifinale seit Corrado Barazzutti 1978. Sollte er gegen den Österreicher Dominic Thiem, der Alexander Zverev bezwang, gewinnen, wäre er der erste Italiener im Finale seit 1976. Seinerzeit holte Adriano Panatta den Titel gegen den Amerikaner Harold Solomon. "Ich habe sehr, sehr gut gespielt", "ich bin sehr, sehr happy", "ich denke, es verändert mein Leben" - Cecchinato schilderte knapp seine Gedanken und Emotionen, was auch daran lag, dass sein Englisch bei weitem nicht so variantenreich und fehlerfrei funktioniert wie sein druckvolles Grundlinienspiel samt einhändiger Rückhand in diesen Tagen. In der französischen Presse wurde er von den Anlagen her mit Gustavo Kuerten verglichen, dem Brasilianer, der dreimal in Paris siegte.

Völlig makellos ist Cecchinatos Außenseiter-Story allerdings nicht, bezeichnend war eine Frage, die zu einem heiklen Thema gestellt worden war. Ob er noch einmal etwas zu dieser Begebenheit von früher sagen könne. Gemeint war eine 18-monatige Sperre, die er vom italienischen Tennis-Verband 2016 kassiert hatte, wegen Matchfixings. Der Vorwurf damals: Er habe 2015 mit einem Kollegen bei einem Challenger in Marokko auf die eigene Niederlage gewettet. Er hatte alles abgestritten, die Sanktion wurde erst reduziert, dann aufgehoben. "Du fragst mich wieder", antwortete Cecchinato am Dienstagabend, "du hast mich auch das letzte Mal gefragt. Und ich sagte dir, ich will nicht darüber reden. Ich will jetzt über diesen Moment in meinem Leben nur denken."

Das sich sportlich bereits ändern wird. Cecchinato, vor Paris die Nummer 72, wird in die Top 30 aufsteigen. Er wird in Wimbledon gesetzt werden. "Das ist gut, was meine Gegner betrifft", sagte er. Er wird beim berühmtesten Turnier anfangs erst auf Rivalen aus Weltranglistenregionen hinter sich stoßen. Nach Roland Garros, gab Cecchinato zu, "muss ich eine Pause machen, um den Moment zu verstehen, das ist alles nicht möglich". Er schaute genau so ungläubig, wie er klang. Als hätte er einen Jackpot geknackt. Finanziell hat er das ja: Er wird 560 000 Euro mitnehmen als Halbfinalist, mehr als die Hälfte seines Karriere-Verdienstes (850 000 Euro).

Über materielle Aspekte muss sich Djokovic keine Sorgen machen, er hat 110 Millionen Dollar an Preisgeld verdient. Aber in zwei turbulenten Jahren mit Motivationsproblemen, privaten Sorgen und privaten Freuden (er wurde zum zweiten Mal Vater) hat er den Anschluss an die oberste Spitze verloren, mehrmals mischte er sein Team durch, Boris Becker und Marian Vajda gingen als seine Trainer, sein Physio und Fitnesscoach auch, andere kamen, Andre Agassi, Radek Stepanek, sie sind schon wieder weg. Kürzlich reaktivierte er seinen langjährigen Vertrauten Vajda, mit dem Slowaken entwickelte Djokovic sofort den altbekannten Zug auf dem Platz, das Harmlose in seinem Spiel minimierte sich.

In Paris hatte der 31-Jährige in den ersten Matches sichtbar überzeugt, anhand seiner Schmallippigkeit nach dem Aus nun war indes zu erkennen, dass ihn das Scheitern an Cecchinato, den er ausdrücklich lobte, doch wie ein Schock getroffen hat. "Das ist hart zu schlucken", sagte er, "es ist schwer, vieles im Leben ist schwer", und wiederholt wusste er keine Antwort oder wollte keine geben: "Ich weiß es nicht", sagte er mehrmals. Er wisse nicht, ob er die Saison auf Gras spielen oder ganz auslassen werde. Er wisse nicht, wie er sich sammeln werde. Die einzige positive Erkenntnis, die er angesichts der Schwere seiner Niederlage äußerte, war: "Ich bin wieder zurück in der Umkleidekabine." Das war sinnbildlich gemeint. Er sei wieder wettbewerbsfähig.

"Gerade denke ich nicht über Tennis nach", sagte Djokovic als letzten düsteren Satz. Er erhob sich, ging. Er sah abwesend aus. Dieser bizarre Eindruck blieb zurück.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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