Frauenfußball:Türschwellen-Transformation

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Beim Start der Bundesliga enttäuschen im FC Bayern München und dem VfL Wolfsburg ausgerechnet die Titelfavoriten mit den meisten Olympiasiegerinnen im Kader. Womöglich gerade deswegen.

Von Anna Dreher, München

Die Rufe und die laute Musik drangen immer wieder aus dem Gang heraus. Die Lautstärke driftete schnell in einen hohen Dezibelbereich. Mit jeder Fußballerin des SC Freiburg, die nach dem 1:1 (0:0) beim FC Bayern München am Samstag aus dem Grünwalder Stadion im Kabinengang verschwand, wurden die Abstände, in denen das akustische Gemisch zu hören war, kürzer. Am Ende hatte fast jede Spielerin mit neutralem Blick die Türe geöffnet, um dann strahlend, mit wedelnden Armen und jubelschreiend den Gang entlang Richtung Kabine zu hüpfen.

Die Freiburger Olympiasiegerinnen Laura Benkarth und Lina Magull erlebten die Türschwellen-Transformation erst spät, sie kamen fast parallel mit den Münchner Goldgewinnerinnen Melanie Leupolz, Leonie Maier und Sara Däbritz aus dem Stadion - ein Bild, das es im August oft gegeben hatte, weit weg vom Münchner Stadtteil Giesing: bei den Olympischen Spielen in Brasilien. "Ich bin echt tot jetzt", sagte Leupolz mit rotem Kopf auf dem Weg in den Münchner Kabinengang. Als sie die Türe öffnete, waren keine Rufe und keine Musik zu hören, sondern Stille. Ein an und für sich recht schlichter Punkt kann im Fußball genau das sein, ein Punkt eben - oder aber euphorisch bejubelt werden.

Nur zwei Wochen nachdem jedes Ergebnis von Freiburger und Münchner Nationalspielerinnen gemeinsam gefeiert wurde, ist da wieder diese Trennlinie, die bei den Olympischen Spielen unsichtbar war. Die Spielerinnen sind jetzt wieder in ihren Klubs und im Liga-Alltag. Doch auch hier wird der 2:1-Sieg im Finale gegen Schweden eine Rolle spielen, weil die Rollen in dieser Saison klar verteilt zu sein scheinen, noch bevor es richtig losgegangen ist.

Seit der Jahrtausendwende wurde die Frauenfußball-Bundesliga vom 1. FFC Frankfurt und von Turbine Potsdam dominiert, sie machten aus ihr eine Klassengesellschaft. Bis 2012 spielten die beiden Klubs die Titel unter sich aus. Dann kam der VfL Wolfsburg dazu, gewann 2013 und 2014 den Titel. Aus dem Trio war da schon ein Quartett geworden, in dem der FC Bayern München immer mehr Machtansprüche stellte. 2015 und 2016 holten die Münchnerinnen schließlich die Schale. Die Liga ist noch immer in Klassen unterteilt, die Verhältnisse aber haben sich gewandelt. Auf die Meisterschaft erheben München und Wolfsburg Ansprüche, um die Plätze dahinter werden Frankfurt, Freiburg und Essen spielen, Potsdam versucht diese Saison den Neuaufbau unter dem neuen Trainer Matthias Rudolph. Die Frage vor dem Auftakt am Wochenende lautete also: Wer holt diesmal den Titel, Wolfsburg oder München, und wie schüttelt sich die Bundesligatabelle dahinter?

Fünf Olympiasiegerinnen spielen bei den Bayern, sechs sind es nach der Verpflichtung von Anja Mittag (von Paris Saint-Germain) in Wolfsburg. Hinzu kommen in beiden Teams internationale Auswahlspielerinnen. Zusammensetzungen, bei denen andere Vereine nicht mithalten können, und doch profitieren sie davon: Bis zu 22 Spiele werden künftig bei Sport 1 live zu sehen sein, der Sender hat sich die Rechte für zwei Spielzeiten gesichert. Auch die offizielle Eröffnung am Samstag zwischen dem FC Bayern und dem SC Freiburg wurde im Fernsehen übertragen. Was die Zuschauer in den 92 Minuten sahen, war vor allem ein SC Freiburg, der zeigte, warum er als kommender Herausforderer gilt.

München dominierte das Spiel zwar, fand aber über weite Teile trotz häufiger taktischer Umstellungen kein Mittel gegen die konsequente Defensivarbeit der Freiburgerinnen. Erst in der 50. Minute ging der Titelverteidiger durch einen von Olympiasiegerin Melanie Behringer verwandelten Foulelfmeter in Führung - die nach einem unaufmerksamen Moment wieder futsch war: Hasret Kayikci (78.) nutzte die einzige Torchance des Sportclubs zum Ausgleich. Während dessen Trainer Jens Scheuer nach dem Spiel von einem Bonuspunkt sprach, sagte sein Münchner Kollege Thomas Wörle: "So ein Spiel müssen wir einfach gewinnen. Das ist bitter."

Dass Wolfsburg am Sonntag in der Neuauflage des Pokalfinales beim SC Sand (0:0) ebenfalls nur einen Punkt ergatterte, dürfte Wörles Ärger ein wenig geschmälert haben. Die Tabelle ist nach dem Auftakt also nicht wie erwartet: Nach dem 8:0 (5:0) gegen Aufsteiger Borussia Mönchengladbach steht Frankfurt oben. Klar, ein einfacherer Gegner. Aber auch weniger Gold im Kader zu haben, erweist sich dieser Tage als Vorteil. "Die Olympiasiegerinnen sind noch müde", sagte die neue Bundestrainerin Steffi Jones. "Ich glaube, einige sind in einem mentalen Tief, wo sie eine Pause gebrauchen könnten." Weil es diese Pause aber nicht gibt und auch vor Olympia nicht gab, kann die eigentliche Dominanz (noch) nicht ausgespielt werden. Jones selbst wird die Nationalspielerinnen erstmals am 16. September in Russland und am 20. September in Ungarn bei den letzten beiden EM-Qualifikationsspielen um sich haben. Vielleicht können Leupolz, Maier und Magull dann wieder gemeinsam jubeln.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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