Frankreichs Coach Didier Deschamps:Die Aura des Monsieur DD

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Am Spielfeldrand: Didier Deschamps (Foto: AP)

Trainer, Tüftler, ewiger Optimierer: Frankreichs charismatischer Coach Didier Deschamps ist längst zum Leitbild der Grande Nation aufgestiegen. Er hat es geschafft, das Team zu erneuern, und lässt Frankreich von Großem träumen.

Von Claudio Catuogno, Ribeirão Preto

Halbzeit. Didier Deschamps betritt als Erster die Kabine. Er diskutiert kurz mit Youri Djorkaeff, dann gibt er Lilian Thuram Anweisungen. Die Stimmung ist aufgekratzt, der Trainer Aimé Jacquet setzt an, beruhigende Worte zu sagen. Aber er kommt nicht weit.

Bald hallt nur noch die Stimme des Mannes durch den Raum, der hier der geborene Anführer ist. Deschamps beugt den Oberkörper nach vorne, stützt die Fäuste auf den Boden, dehnt seinen Körper - und ruft dabei seine Parolen. "Wir lassen nicht nach, klar? Nicht jetzt, klar? Wir sind noch 45 Minuten vom Wahnsinn entfernt."

Deschamps geht zu Zinédine Zidane, der auf einem Handtuch auf dem Boden liegt, flüstert ihm etwas ins Ohr, tätschelt seine Wange. "Okay?" Ein intimer Moment in all dem Wahnsinn. Zidane nickt. Dann wieder das schrille Stakkato: "Kopf oben lassen! Ein Tor noch! Noch eins!"

Wer wissen will, woher die Autorität kommt, mit der der 45-jährige Didier Deschamps gerade die französische Nationalelf durch das Turnier lotst, der muss sich diese Szene in der Dokumentation "Les Yeux Dans Les Bleus" ansehen, ein Blick ins Innenleben des Teams von 1998. Halbzeit im WM-Finale von Paris, die Franzosen führen 2:0 gegen Brasilien.

45 Minuten später wird Deschamps den WM-Pokal überreicht bekommen. "Und wenn ich jetzt mal ausnahmsweise von mir sprechen darf", hat er kürzlich der Zeitung Le Monde gesagt: "Das war die Krönung. Die Trophäe nach oben zu schwingen, das ist das Privileg des Kapitäns. Also habe ich es ausgekostet."

In Frankreich unantastbar

Ansonsten spricht Deschamps tatsächlich nicht oft von sich und seiner Vergangenheit als Weltmeisterkapitän. Andere Trainer glauben, es verleihe ihnen Autorität, wenn sie immerzu betonen, was sie schon erlebt haben. Und auch Deschamps kann man nicht ohne die Vergangenheit begreifen. Aber in seinem Fall wirkt die Vergangenheit einfach durch ihn hindurch. Sie verleiht "DD" in Frankreich eine Unantastbarkeit, die wohl nötig war für all die harten Entscheidungen, mit denen er die Équipe tricolore wieder auf Kurs gebracht hat nach den desaströsen Auftritten 2008, 2010 und 2012.

Didier Deschamps hat viele Eigenschaften, die ihn von seinen Vorgängern Raymond Domenech (2004 bis 2010) und Laurent Blanc (2010 bis 2012) unterscheiden: Detailversessenheit, taktischen Tüftlergeist, permanenten Optimierungsdrang. Er kann warmherzig sein, sagen Leute, die ihn kennen. Aber auch eiskalt.

"Macht Deschamps ihnen Angst?", wurde der Stürmer Olivier Giroud kürzlich in Ribeirão Preto gefragt, wo die Franzosen ihr WM-Quartier haben. "Angst?" antwortete Giroud, "ist er denn ein Tyrann? Nein. Wir haben sehr viel Respekt vor seiner Karriere. Das verleiht ihm viel Glaubwürdigkeit."

Es geht um Details, auf dem Platz und daneben: Jedem Spieler hat Deschamps für die WM zum Beispiel ein Exemplar der Alex-Ferguson-Biografie geschenkt, als Bettlektüre. Es geht aber vor allem um Aura. Um eine fast mythische Verklärung. Und das hat durchaus auch eine politische Komponente: Der früh ergraute Coach ist längst zum Leitbild avanciert für eine Nation, die kriselt und an sich selbst verzagt. Ach, hätte doch auch der Präsident François Hollande ein bisschen was von diesem Trainer. "DD", so sieht man ihn in Frankreich, ist einfach vom Glück gesegnet. Was er anfasst, wird zu Gold.

Und das war bisher ja auch so. Als Spieler: Champions-League-Sieger mit Marseille 1993 und Turin 1996, Weltmeister 1998, Europameister 2000. Als Trainer: Mit Monaco stand er im Champions-League-Finale 2004, als bisher jüngster Coach. Mit Marseille holte er 2010 gleich im ersten Jahr Meisterschaft und Ligapokal. Und dann gibt es da noch diese Statistik, die jetzt rauf- und runterzitiert wird vor dem Viertelfinale gegen die Deutschen: Zehn WM-Partien hat Deschamps als Spieler und Trainer bestritten. Davon verloren hat er: null.

Darf man da jetzt nicht von Großem träumen - alleine wegen DD? "Er hat schon in seiner Kindheit eine fast pathologische Beziehung zum Siegen entwickelt", schreibt sein Biograf Bernard Pascuito, und Deschamps nimmt das Image gerne an: "Mir ist es lieber, man nennt mich einen Gewinner als einen Loser", sagt er. Und: "Ich habe Fußball nie des Spiels wegen gespielt. Immer des Gewinnens wegen."

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Samir Nasri hat Deschamps nicht nominiert, trotz einer überragenden Saison bei Manchester City. Nasri gilt als schwer integrierbar. So ein Entschluss ist leichter durchzusetzen, wenn man als Trainer unantastbar ist. Aber mit Aura allein hat Deschamps die Équipe auch nicht in den Griff bekommen, die lange als arrogant und abgehoben galt, und die bei der Weltmeisterschaft vor vier Jahren mit einem Spielerstreik auffiel, der sogar das Parlament beschäftigte.

Radikaler Schnitt

Deschamps hat nach seiner Amtsübernahme 2012 einen radikalen Schnitt gemacht. Jetzt sitzen in Ribeirão Preto junge Leute wie Mamadou Sakho, Blaise Matuidi und Raphaël Varane auf dem Podium: geerdet, sympathisch, eloquent.

Sie haben jetzt wieder die Stimmung auf ihrer Seite. Und ein Momentum: Seit dem 3:0 im Relegations-Rückspiel gegen die Ukraine im November 2013 (Hinspiel: 0:2), das Frankreich überhaupt erst nach Brasilien gebracht hat, haben sie nicht mehr verloren. In diesem Spiel hat sich auch das Team gefunden, "da hat es Klick gemacht", sagt der Verteidiger Laurent Koscelny.

Seither hat Deschamps keinen Fehler mehr gemacht, auch nicht in der Außen- darstellung. Freundlich aber bestimmt, so gibt er sich. Allerdings beherrscht "DD" es auch, mit freundlichen Worten nichts zu sagen. Zum Beispiel beim Thema Doping.

Systematisch gedopt

Als er in den Neunzigerjahren bei Juventus spielte, wurde das Team laut Erkenntnissen der italienischen Behörden systematisch gedopt. Ein Untersuchungsbericht des französischen Senats aus dem vergangenen Jahr erwähnt zudem hohe Hämatokritwerte bei Spielern der Nationalelf, gemessen rund um den WM-Gewinn 1998.

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Auch Deschamps wurde von der Kommission vernommen - allerdings still und heimlich. Was die Senatoren denn von ihm wissen wollten, wurde Deschamps von Le Monde gefragt. Seine Antwort: "Sie wollten mir Fragen stellen." Ist es nicht verdächtig, wenn das geheim geschieht? "Es geht nicht darum, zu verschleiern, was war, es geht darum, in Ruhe arbeiten zu können."

Das konnte er dann recht schnell wieder, in dieser Hinsicht ist die Vergangenheit gerade kein Thema rund um den Allesgewinner Didier Deschamps.

© SZ vom 04.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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