Frankfurt:Einer wie Zlatan

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Akrobatik zum Staunen: Sébastien Haller bei seinem Last-Minute-Seitfallzieher. (Foto: Elmar Kremser/SvenSimon)

Mit einem Seitfallzieher-Tor sichert Sébastien Haller einen 2:1-Sieg gegen Stuttgart. Doch die Debatte über mangelnde spielerische Klasse des Teams dürfte nicht beendet sein.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es dauerte nicht lange, da kam es zum Vergleich mit einem ganz großen Namen des internationalen Fußballs. Sébastien Haller sprang in die Luft, legte sich quer und drosch den Ball aus zirka elf Metern mit einem spektakulären Seitfallzieher ins Tor - und schon stand es an jenem 16. März 2016 im Spiel der niederländische Eredivisie zwischen dem FC Utrecht und ADO Den Haag 1:0. "Er macht es wie Zlatan", jubelten die örtlichen Gazetten, weil sie sich bei dieser Aktion erinnert fühlten an die artistischen Einlagen des schwedischen Stürmers Zlatan Ibrahimovic.

Eine Frage nach Sébastien Hallers schönstem Karriere-Tor hätten Sébastien-Haller-Kenner bis Samstagnachmittag, 17.20 Uhr, wohl mit einem Verweis auf jenen Treffer gegen Den Haag beantwortet. Aber dann kam der Samstag, 17.20 Uhr, das Heimspiel seines neuen Klubs Eintracht Frankfurt gegen VfB Stuttgart, die dritte Minute der Nachspielzeit: Wieder sprang Haller in die Luft, wieder legte er sich quer und wieder drosch er den Ball aus zirka elf Meter mit einem spektakulären Seitfallzieher ins Tor - zum 2:1-Siegtor mit der letzten Aktion des Spiels. Und jetzt ist das mit der Wahl zum schönsten Karriere-Tor eine recht schwierige Sache geworden.

Ja, der Utrechter Seitfallzieher war vielleicht noch etwas eleganter, der Frankfurter hingegen etwas wuchtiger. Der Utrechter Seitfallzieher erhält Pluspunkte für die Vorbereitung, weil Haller damals den Ball erst noch mit dem Knie annahm und auflegte. Aber dafür bekommt der Frankfurter Seitfallzieher Boni für die Dramatik der Begleitumstände: fünf Monate ohne Heimsieg, eine anschwellende Debatte über die mangelnde Qualität der Mannschaft, fast 30 Minuten in Unterzahl - und dann in der letzten Sekunde solch ein Treffer. Da war es kein Wunder, dass das Stadion tobte und selbst Torwart Lukas Hradecky einen 90-Meter-Sprint in die Jubelgruppe auf der anderen Seite des Spielfeldes unternahm. "Das war ein perfekter Moment", sagte Haller.

Dabei ging das alles so rasend schnell, dass der Siegtorschütze hinterher selbst nicht recht wusste, wie es eigentlich dazu gekommen war. "Ich kann gar nicht sagen, wo der Ball herkam", bekannte er. (Die Auflösung: vom Stuttgarter Daniel Ginczek, der fatalerweise nach einem Freistoß den Ball in die Mitte köpfelte). "Das waren die Instinkte, ein Reflex", führte Haller aus; so wie es halt auch Ibrahimovic oft mache, wie er grinsend anmerkte.

Die Frankfurter Verantwortlichen können diesem Sébastien Haller jedenfalls mächtig dankbar sein für den Geniestreich in der Schlusssekunde. Denn zuletzt war eine ordentliche Debatte über die mangelnde Fußballkultur und die mangelnde spielerische Klasse dieses mal wieder völlig neu formierten Teams aufgezogen. Nicht zuletzt der als Teamleader geholte Kevin-Prince Boateng agierte schwächer als erhofft. Und auch gegen Stuttgart war der Auftritt nicht sonderlich überzeugend: Nur dank eines Schnitzers von Stuttgarts Abwehrchef Holger Badstuber kamen die Frankfurter kurz vor der Pause zum 1:0 durch Ante Rebic. Nach dem Seitenwechsel mussten sie erst das 1:1 durch Simon Terodde verkraften - und dann eine rote Karte für Simon Falette (Notbremse).

Doch seltsamerweise war es jener Platzverweis, der das Spiel noch einmal zugunsten der Frankfurter drehte. In der Schluss-Viertelstunde waren sie trotz Unterzahl stärker, kamen zu zwei Chancen - und durch Hallers Seitfallzieher schließlich zum Siegtor in der Nachspielzeit. "Dass eine rote Karte notwendig ist, damit die Mannschaft sich ihrer Tugenden besinnt, das ist schade. Aber vielleicht haben wir das gebraucht", sagte Trainer Niko Kovac, der aber festhielt: "Wir sind heute der glückliche Sieger."

Frankfurts Verantwortliche hoffen, dass sich in ihrer Mannschaft jetzt die Verkrampfungen lösen, auch bei ihrem neuen Front-Stürmer Sébastien Haller, geboren in Ris-Orangis nahe Paris, 23 Jahre alt und 1,90 Meter groß. Sieben Millionen Euro überwiesen sie im Sommer für ihn nach Utrecht, weil er dort in den vergangenen beiden Jahren nicht nur so spektakulär per Seitfallzieher, sondern auch noch drei Dutzend weitere Male erfolgreich gewesen war. Und weil er physisch stark ist und Bälle in der Offensive binden kann. Seitdem trägt er das Etikett "Rekordtransfer" mit sich herum. Aber bis Samstag hatte er für Frankfurt nur einmal getroffen, gegen Köln, per Elfmeter. Ansonsten wirkte er zwar bemüht, aber nicht integriert.

Dabei brauchen sie unbedingt einen effektiven Stoßstürmer, zumal der einst als "Fußballgott" gefeierte und immer als eine Art Torgarant geltende Alex Meier auf unbestimmte Zeit ausfällt. Der inzwischen 34-Jährige musste unter der Woche erneut am rechten Fuß operiert werden. Umso mehr kommt es auf Hallers Tore an. Aber wie sagte der Franzose nach seinem Kunststück: "Manchmal ist mein Problem: Die Leichten mache ich nicht rein, die Schweren offenbar eher."

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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