Verstappen in der Formel 1:Mad Max als Bruchpilot

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Sehr jung und schon in der Kritik: Max Verstappen (links). (Foto: Getty Images)
  • Nach dem Unfall des 17-jährigen Max Verstappen in Monte Carlo stellt sich die Frage: Wie erfahren sollten Formel-1-Neulinge sein?
  • Verstappens Kritiker fordern, dass hart durchgegriffen wird.
  • Der junge Niederländer verteidigt sich.

Von Elmar Brümmer, Montréal

Es braucht Augenmaß, um die Ideallinie auf dem Circuit Gilles Villeneuve zu halten. Denn die besteht aus einer Menge aneinander gereihter Fragezeichen, vor denen stets die gleiche Frage steht: Wie nah ist zu nah? Die temporäre Formel-1-Piste, auf der am Sonntag der Große Preis von Kanada ausgetragen wird, ist nach der Stadtrundfahrt von Monte Carlo die Piste mit den brutalsten Brems- und Beschleunigungsmanövern: eine Rennbahn, auf der sich die Männer von den Buben trennen.

Die Rolle des Buben wird, rein alterstechnisch, in diesem Jahr durch Max Verstappen definiert. Der darf mit seinen 17 Jahren noch kein Auto in Kanada mieten, aber ein 800-PS-Gefährt über die Île Notre-Dame jagen.

Der Niederländer hat die Diskussion neu belebt, wie einfach oder schwer die Wagen des aktuellen Formel-1-Jahrgangs zu fahren sind. Schon nach seinem ersten Punktgewinn im zweiten Rennen, vor allem aber am letzten Rennwochenende, als sein Auffahrunfall die Safety-Car-Phase auslöste, die dann zum Strategiedebakel bei Mercedes führte. Die fünf Startplätze, die er dafür zurückversetzt wird, kann der Rennfahrer von Toro Rosso verkraften. Aber was bedeutet die neuerliche Kritikwelle für die Nerven des Neulings?

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Während sein ebenfalls debütierender Teamkollege Carlos Sainz jr. gesteht, dass der Sprung in die Formel 1 "mental ein Horror" ist, besitzt Verstappen offenbar bereits ein Karbongemüt. Was er aus dem missglückten, weil überoptimistischen Überholversuch gegen den Lotus-Piloten Romain Grosjean gelernt habe, konterte er rotzig: "Dass so was nicht mehr passieren sollte." In Montréal erneut auf den Lerneffekt durch den Crash angesprochen, verdrängte er jegliches Schuldbewusstsein mit dem Spruch: "Ich habe gelernt, dass unser Auto ziemlich robust ist."

Der Aufprall in die Sicherheitsbarriere war so heftig, dass automatisch die Safety-Car-Phase ausgelöst wurde, aber der Fahrer blieb unverletzt. Verstappen hat den größten Unfall seiner bisherigen Karriere nun schon mehrmals in der Wiederholung gesehen. Mit jedem Youtube-Klick wird er offenbar sicherer in seiner Selbstwahrnehmung: "Was passiert ist, wird nichts an meinem Fahrstil ändern."

Als er das sagt, sitzt nur zwei Meter entfernt Felipe Massa, 34. Der Brasilianer galt mal als großes Talent, Verstappen ist das Supertalent. Massa hatte Verstappens Daseinsberechtigung in der Königsklasse generell in Frage gestellt und ein hartes Durchgreifen gefordert. Auf diese Kritik angesprochen, konterte der Angegriffene gelassen den Vorwurf des Übermuts: "Die Daten zeigen, dass ich nicht später als sonst gebremst habe."

Dann macht er es wie Monaco-Opfer Lewis Hamilton und ersetzt Vergangenheitsbewältigung durch Zukunftsforschung: "Ich habe hier eine Menge Arbeit vor mir." Aber einen Giftpfeil schießt er noch in Richtung Massa: "Vielleicht solltest du dir mal das Rennen hier vom letzten Jahr angucken." Damals war der Williams-Pilot in der letzten Runde ins Heck von Sergio Perez gekracht.

Von wegen Mad Max. Da sitzt ein Kerl, der weiß, dass er die große Hoffnung bei der Suche nach der nächsten Formel-1-Generation ist, neben Daniel Ricciardo (25), Daniel Kwiat (21/beide Red Bull), Felipe Nasr (22/Sauber), Kevin Magnussen (22/ McLaren), Sainz jr. (20/Toro Rosso) und Valtteri Bottas (25/Williams). Nachdem Red-Bull-Teamchef Christian Horner bekräftigte, dass Verstappens Auftritt zu den besten Geschichten der Formel 1 in diesem Jahr gehöre, wird schon über eine Beförderung spekuliert - weichen müsste dann der Russe Kwiat.

Die Wahrnehmung von Verstappens rennfahrerischen Fähigkeiten ist breit innerhalb der Formel 1, sie reicht vom Bruchpiloten bis zum Rohdiamanten. Mika Häkkinen, vor der Jahrtausendwende zweimal Weltmeister, weiß um den Zwiespalt: "Ich habe vergangenes Jahr gesagt, Max sei noch nicht reif für die Formel 1. Ich bin froh, dass ich Unrecht hatte." Für den Finnen hat die aktuelle Fahrergeneration einen enormen Sprung gemacht: "So jungen Männern gelingt heute, was vor 15 Jahren nicht möglich gewesen wäre."

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost ist einer der härtesten Lehrmeister im Motorsport, deshalb hat Red Bull ihm seinen Talentschuppen anvertraut. Es braucht schon viel, um den kantigen Österreicher ins Schwärmen zu bringen. Verstappen hat es geschafft, vor allem nach seinen ersten Vorstellungen in Monte Carlo, der schwierigsten Strecke, nicht nur für Neulinge: "Er ist einfach rausgefahren und hat seine Rundenzeiten von Umlauf zu Umlauf verbessert, ohne einen Fehler zu machen. Wie er das Auto kontrolliert hat, und was er den Ingenieuren als Feedback gegeben hat, das war sehr außergewöhnlich. Wir werden noch Erfolg mit ihm haben in diesem Jahr."

Er hatte auch den Rückschlag für den rasenden Teenager vorhergesehen: "Max hat noch Reserven und ist nicht am Limit. Unfälle passieren aber, wenn man sich an der Obergrenze bewegt." Damit wird Montréal für Max Verstappen zum zweiten Crash-Test - dem gegen das Vorurteil.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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