Formel 1:Mercedes und die komplizierte Fahrersuche

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"Steht hier vielleicht ,Idiot' geschrieben?" Toto Wolff steht vor einer komplizierten Fahrersuche. (Foto: dpa)

Druck für Hamilton, Motoren für Williams, Werbung für Alkohol: Bei der Frage, wer das Cockpit von Nico Rosberg bekommt, muss Motorsportchef Toto Wolff einiges bedenken.

Von Elmar Brümmer, Stuttgart

Wenn Toto Wolff etwas verdeutlichen will, was für ihn klarer als für den Rest der Menschheit erscheint, tippt sich der Mercedes-Motorsportchef gern an die Stirn: "Steht hier vielleicht ,Idiot' geschrieben?" Das war schon beim Einstieg des Österreichers vor vier Jahren so, als er den Job als Weltmeistermacher des Stuttgarter Werksteams übernahm. Damals hatte der umtriebige Geschäftsmann noch Anteile am Williams-Rennstall besessen, die er wegen des möglichen Interessenkonfliktes sukzessive verkaufen musste - das britische Traditionsteam ist Leasingkunde der Mercedes-Rennmotorenabteilung.

Den "Idioten" bemühte Wolff laut Gazetta dello Sport dieser Tage wieder, und erneut geht es um Geschäfte, die mit den strengen Compliance-Regeln des Stuttgarter Konzerns kollidieren könnten. Während Weltmeister Nico Rosberg derzeit, nach seinem überraschenden Rücktritt, Respekt heischend eine Abschiedstournee absolviert, sucht der im Stich gelassene Wolff nach adäquatem Ersatz. Die neue Formel-1-Saison beginnt schon im März. Dann wird technisch vieles anders sein, dann brauchen die Titelverteidiger einen versierten Piloten - und einen, der Lewis Hamilton den nötigen Druck macht.

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Mercedes-Azubi Pascal Wehrlein, während seines Debütjahres beim Schlusslicht Manor Racing geparkt, war nur für den Moment erste Wahl. Andere Kandidaten gibt es genug: Nach Rosbergs Verzicht hätten sich bis auf Kimi Räikkönen und Daniil Kwjat alle Grand-Prix-Fahrer bei ihm gemeldet, die seine Telefonnummer hätten, sagt Wolff. Natürlich: Selten werden Sitze in einem derart überlegenen Auto über Nacht frei. Und Ende 2017 laufen bei vielen Piloten mit Ambitionen die Verträge aus, warum also nicht die Marke wechseln?

Valtteri Bottas ist der Favorit, die Details sind aber kompliziert

Schnell hat sich dann herauskristallisiert, dass der Finne Valtteri Bottas derjenige unter den Kandidaten ist, der am ehesten aus seinem aktuellen Kontrakt herauszubekommen wäre. Der 27-Jährige gilt als großes Talent, allein bei Williams fehlt das letzte Quäntchen zum Sieg - weil der letzte echte Garagist im Feld der Formel 1 haushalten muss und nicht die technischen Möglichkeiten besitzt wie die Silberpfeil-Fraktion. Das war bei Nico Rosberg nicht anders, der 2010 von Williams zu Mercedes gekommen und erst dort zum Siegfahrer geworden war.

Mit der Festlegung auf Bottas als Wunschpiloten begann der Poker - samt der ketzerischen Frage an Toto Wolff, ob er nicht gleich mit sich selbst verhandeln werde? Denn zusammen mit Ex-Champion Mika Häkkinen ist Wolff an einer Beratungsfirma beteiligt, die bislang die Interessen von Bottas vertritt - und die lagen vor dem 2. Dezember klar bei Williams.

Eine komplizierte Lage ist das mal wieder, und dennoch: Wolff tippt sich an die Stirn. Er verweist auf eine zu seinem Amtsantritt getroffene Vereinbarung mit dem Vorstand in Untertürkheim, wonach er keinen Mercedes-Fahrer selbst managen werde. Wolff würde demnach das Mandat ruhen lassen - oder sich von Bottas trennen.

Dass Toto Wolff derart gute Kontakte zu Williams und Bottas unterhält, macht es andererseits auch für Mercedes leichter. Und nirgendwo steht, dass es Mercedes verboten wäre, die Leasingrate für die Motoren zu drücken - das wäre neben einer klassischen Ablöse ein Zusatzdeal für die Briten. Zumal sich Gerüchte verdichten, dass der bisherige Co-Teamchef von Wolff, der renommierte Techniker Paddy Lowe, sich zu Williams verabschieden möchte - da könnten zwei Deals in einem verschmelzen. Bliebe nur das Problem, dass Williams rasch einen neuen Fahrer suchen müsste.

Den 22 Jahre alten Wehrlein möchte man nicht nehmen, schließlich wurde gerade erst die Verpflichtung des Kanadiers Lance Stroll verkündet, der als "Wunderkind" gilt. Williams musste damit bis nach der Saison warten, erst musste Stroll nämlich mal 18 Jahre alt werden. Sein neuer Arbeitgeber hat einen Hauptsponsor aus der Spirituosenindustrie, und der muss strengen Auflagen genügen - Volljährigkeit ist da das mindeste. In manchen Ländern, in denen die Firma mit der Formel 1 werben will, ist die Altersgrenze noch höher - auch deshalb muss ein älterer Fahrer her. "Wenn wir Valtteri erlauben, uns zu verlassen, dann nur, wenn eine erfahrene und vernünftige Alternative verfügbar wäre - wie Felipe Massa", sagt Teamchefin Claire Williams.

Die Personalabteilung in Grove hatte die entsprechende Akte schnell zur Hand, der Brasilianer Massa war ja noch keinen Monat in Rente. Der 35-Jährige war tränenreich zurückgetreten, weil er nach 14 Jahren keine Perspektive mehr sah, doch noch mal Weltmeister zu werden. Eine ordentliche Gehaltserhöhung und der klare Nummer-Eins-Status haben den gutmütigen Mann aus São Paulo aber offenbar ins Wanken gebracht; angeblich wurde man sich vor Weihnachten einig. Williams braucht unbedingt einen Fahrer mit Erfahrung, aus verschiedenen Gründen. Erstens: Weil so ein Mann generell Auto und Team weiterbringt. Zweitens: Weil Milliardär Lawrence Stroll, der Papa von Lance, einen solchen Ausbilder offenbar in den Kontrakt des Sohnemanns hatte schreiben lassen. Alles hängt mal wieder mit allem zusammen.

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Am 3. Januar, so hat es Mercedes bestätigt, werde es eine Ankündigung geben - falls Williams dem nicht zuvorkommt. Das Weltmeisterteam hatte zuletzt in einer Scherzanzeige ein Bewerberprofil im Branchenblatt autosport veröffentlicht: "Idealerweise können Sie Rennerfahrung, sowie Fähigkeiten im Steuern, Bremsen und vor allem Beschleunigen nachweisen." Der Bewerber solle sich als kommunikativ auszeichnen, gutes Feedback geben und die Schwächen der Konkurrenz erkennen können. Allerdings bedürfe es für den Job Geduld mit den Medien. Geboten werde einem aber ein konkurrenzfähiger Dienstwagen. Ein Mercedes.

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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