Formel 1 in Sotschi:Angst ums olympische Erbe

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Motorengeheul an olympischer Stätte: die Formel 1 in Sotschi. (Foto: Getty Images)

Nach den Olympischen Winterspielen ist es ruhig geworden in Sotschi. Nun soll die Formel 1 bei ihrem Gastspiel zeigen, dass im Olympiapark noch etwas los ist - und einen großen Makel der gigantisch teuren Ringe-Show kaschieren.

Von Johannes Aumüller, Sotschi/München

Der wichtigste Mann im Kreml war ein Liebhaber schneller Autos, und was gibt es für einen Liebhaber schneller Autos neben einem angemessenen Privat-Fuhrpark schöneres als ein eigenes Formel-1-Rennen? Also trafen sich die hohen Herren aus Moskau mit den hohen Herren der Motorsport-Serie und verhandelten über ein Rennen auf dem Roten Platz oder in der Nähe der Moskauer Sperlingsberge, wo die altehrwürdige Lomonossow-Universität erhaben über der Stadt thront. 1982 gab es gar schon konkrete Pläne, aber letztlich keine Einigung; kurz darauf verstarb der Autoliebhaber aus dem Kreml, Leonid Breschnjew, und statt in der Sowjetunion zog Formel-1-Boss Bernie Ecclestone halt in Ungarn den ersten Großen Preis in einem Ostblock-Land auf.

Nun also steht mit mehr als 30 Jahren Verspätung Russlands Formel-1-Premiere an, nicht in Moskau, sondern in Sotschi - und wieder hat der Kreml eine maßgebliche Rolle gespielt. "Ohne die Unterstützung des Präsidenten und der Regierung würde das niemals stattfinden", verkündete erst vor wenigen Tagen demutsvoll Alexander Tkatschow, der Gouverneur der Region Krasnodar, in der Sotschi liegt.

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Auch der aktuelle Kreml-Chef Wladimir Putin hat bekanntlich eine vielfältige Zuneigung zum Automobil, vom Lada bis zum Porsche, aber die war eher nachrangig, als er im Oktober 2010 mit Ecclestone die Verträge für das Rennen unterzeichnete. Putin ging es vor allem: ums Prestige. Um einen weiteren Baustein in seiner großen Expansion in die Sportwelt. Und darum, mit dem Formel-1-Rennen einen schwerwiegenden Makel der Sotschi-Sause zu kaschieren.

Überdimensionierte Auto-Trasse, verkümmerte Anlagen

Schon damals war den Verantwortlichen klar, dass sie kein überzeugendes Konzept zur Nachnutzung des geschätzt 50 Milliarden Dollar teuren olympischen Gigantismus haben würden - was sich ein halbes Jahr nach der Veranstaltung auch erwartungsgemäß zeigt. Natürlich steht die erste nacholympische Winter-Tourismussaison noch an, aber schon jetzt lässt sich sagen: Diverse Straßen wie etwa die Trasse von Sotschi-Stadt in die Bergregion Krasnaja Poljana braucht in dieser Dimension niemand mehr, manche Anlagen in der Bergregion verkümmern, die Hotels sind weniger gefüllt als prognostiziert.

Und von den großen Wohnblock-Anlagen, in denen während der Spiele Sportler und Medien untergebracht waren, gibt es regelmäßig Bilderserien von Fotografen, die in dem verlassenen Gelände als einzige Lebewesen ein paar Hunde antreffen oder ein paar andere Fotografen, die verlassene Olympia-Gelände dokumentieren wollen. Selbst Duma-Abgeordnete mahnten schon, dass sich die Regierung mehr Gedanken über eine bessere Nachnutzung machen solle.

Deswegen braucht das von Putin gern aufgesuchte Sotschi ein paar Veranstaltungen, bei denen sich dem Land und der Welt zeigen lässt, dass doch noch was los ist. Deswegen hat Putin ein Gesetz unterzeichnet, dass Sotschi in den Rang einer speziellen Glücksspiel-Zone erhebt; oder gibt es ein paar Konzerte; oder zählt als regionaler Vertreter auch Sotschi zum Kreis der Spielstätten für die Fußball-WM 2018 und nicht etwa die Regionshauptstadt Krasnodar, obwohl dort zwei ambitionierte Erstligisten spielen.

Und deswegen soll bis mindestens 2020 auch jährlich ein Formel-1-Rennen steigen, für das Russland angeblich ein Antrittsgeld von bis zu 50 Millionen Dollar pro Ausgabe zahlt. "Es war unsere Hauptaufgabe, das olympische Erbe weiterzuentwickeln", sagte Alexander Saurin, Vize-Gouverneur der Region, wobei das eine nette Pointe ist: Ausgerechnet eine Motorsport-Veranstaltung soll ein Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften sein.

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Die reine Konstruktion der Trasse durch den Olympischen Park soll zirka 260 Millionen Dollar gekostet haben. Das klingt günstig im Vergleich zu dem, was andere Rundkurs-Bauten zuletzt verschlungen haben. Aber erstens waren manche Teile der notwendigen Infrastruktur aus dem Olympia-Topf finanziert worden. Zweitens gab es dennoch die typische Kostenexplosion, vorgesehen war zirka die Hälfte. Und drittens zahlte auch diesmal der Staat, genauer die Region Krasnodar.

Deren Verantwortliche pflegen das olympische Erbe aber zugleich noch auf eine andere Weise. So bleibt zum Beispiel in Erinnerung, dass neben manchem Putin-Gefolgsmann auch enge Familienmitglieder von Regionsgouverneur Alexander Tkatschow von den gewaltigen staatlichen Investitionen in Sotschi profitierten. Tkatschows Schwiegersohn war für den Bau einer Vergnügungsstätte namens "Sotschi Park" zuständig - und soll nach Recherchen einer Nichtregierungsorganisation dafür Kredite mit sehr niedrigen Zinsen von staatlichen Banken erhalten haben. Sie taxiert den Profit der Familie auf zirka 250 Millionen Dollar.

Der Umweltaktivist Jewgenij Witischko sitzt immer noch im Straflager

Außerdem ist Tkatschow der Ausgangspunkt eines verstörenden olympischen Begleitthemas, das bis heute anhält. Der Umweltaktivist Jewgenij Witischko, der die immensen ökologischen Folgen der Sotschi-Spiele anprangerte, war während Olympia ins Straflager abkommandiert worden. Die Behörden warfen ihm vor, einen Zaun auf einem Anwesen von Tkatschow beschädigt zu haben. Nach Ansicht von Witischko und seinen Mitstreitern von der "Ökologischen Wacht im Nordkaukasus" ging dieser mitten durch ein Naturschutzgebiet. Witischko sitzt noch immer ein - oft schikaniert und inzwischen sogar in einer Strafkolonie mit strengeren Bedingungen, wie Vertreter seiner Organisation mitteilten.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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