FC Bayern:Pille gegen die Tollkirsche

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Frankfurter Verfolgsjagd: Drei Eintrachtler sind FC-Bayern-Torjäger Robert Lewandowski auf den Fersen. (Foto: action press)

"Defensiver als defensiv": Nach dem ersten Remis der Saison müssen sich die Münchner wohl darauf einstellen, dass die Extrem-Taktik von Eintracht Frankfurt vielen künftigen Gegnern des Rekordmeisters als Blaupause dient.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Das Europäische Patentamt hatte übers Wochenende geschlossen, aber es kann gut sein, dass die Mitarbeiter bei ihrem Dienstantritt an diesem Montagmorgen noch einen ungewöhnlichen Brief vorfinden. In diesem Schreiben könnte dann stehen, dass ein gewisser Prof. Dr. Armin Veh zuletzt viel Zeit in seinem Labor verbracht hat und dass es ihm dabei gelungen ist, ein kaum noch für möglich gehaltenes Präparat zu entdecken. Zu fast jedem Gift ist irgendwann ein Gegenmittel gefunden worden, gegen die Schwarze Tollkirsche hilft Physostigmin, gegen den Gelben Knollenblätterpilz tut's Silibinin, und gegen diese unheimliche rote Gewinnmaschine, da gibt es nun also ein Produkt, das zu Ehren seines Schöpfers den Namen Pilula arminii (Armins Pille)

tragen soll. Leider sind die Chancen nicht arg hoch, dass das Europäische Patentamt diesen Fall positiv bescheidet. Denn Eintracht Frankfurts Trainer Armin Veh musste gar nicht lange ins Labor, um das Mittel gegen die scheinbar übermächtigen Akteure des FC Bayern zu entwickeln. Sondern er wählte einfach einen ebenso alten wie erprobten Ansatz und präsentierte ihn in einer - zumindest für ein Bundesligaspiel - sehr extremen Ausführung. Er zog seine Spieler so weit zurück, als handele sich bei der gegnerischen Hälfte um ein vergiftetes Territorium voller Tollkirschen und Knollenblätterpilze, und dann ließ er die Bayern einfach rumspielen und gegen ein Bollwerk anrennen. Das führte dazu, dass diese am Ende nur auf drei gute Chancen und null Treffer kamen sowie ein Abseitstor kurz vor Schluss durch Robert Lewandowski, das der gute Schiedsrichter Daniel Siebert zu Recht nicht gab. Und so standen die Münchner nach dem 0:0 in der Arena, sprachen übers Ende ihrer Rekordstartserie nach zuvor zehn Siegen - und machten sich Gedanken über die Formation, in der sie der Gegner empfing.

"Ich hatte nach den letzten Wochen gedacht, defensiver als defensiv geht nicht. Aber wir sind eines Besseren belehrt worden", sagte also Philipp Lahm. In der Tat war bereits Bremen sehr defensiv, Köln noch defensiver als Bremen, aber Frankfurt jetzt noch defensiver als Köln, und es gebe schon einen "Unterschied zwischen defensiv und defensiv", erläuterte Kapitän Lahm gewohnt trennscharf. Innenverteidiger Jérôme Boateng sah das ähnlich: "Das habe ich so noch nicht erlebt", sagte er. Und Trainer Pep Guardiola konstatierte pflichtgemäß, jeder dürfe so Fußball spielen wie er wolle, aber er machte dabei einen Gesichtsausdruck, als erwäge er, demnächst beim für Regeländerungen zuständigen International Football Association Board (IFAB) eine Eingabe zu machen.

"Da bist du wie ein Häschen", sagt Heribert Bruchhagen

Selbst manchem Frankfurter war nicht ganz wohl ob des Auftritts, der mit etwas Glück (Chance von Stendera nach Patzer von Neuer/56.) sogar mit drei Punkten hätte enden können: "In den Jubel mischt sich auch ein bisschen Bedauern", sagte Vorstand Heribert Bruchhagen. Trotz des Remis könne man ein bisschen Resignation anmelden, das Niveau gehe zu weit auseinander, "dann bist du wie ein Häschen".

Andererseits: Wer konnte Vehs Frankfurtern diese strategische Ausrichtung verdenken? Das Häschen versucht dem Fuchs ja auch nicht zu entkommen, indem es in gerader Linie fortläuft, sondern es wählt den Zickzackkurs, um den gefräßigen Reineke abzuschütteln. Es ist zwar ungewöhnlich, wenn nun schon ein Team aus dem Bundesliga-Mittelfeld einen solchen Spielstil anwendet, noch dazu eines, dessen Trainer sich sonst zu den Offensiv-Liebhabern zählt. Aber es scheint der einzige Weg zu sein, der gegen diese Bayern zumindest ansatzweise Erfolgsaussichten bietet - wenn Erfolg im Fußball bedeutet, mit einem 0:0 zufrieden zu sein. Bei der Eintracht kam hinzu, dass sie unter der Woche noch ein DFB-Pokal-Aus beim Drittligisten Erzgebirge Aue zu verarbeiten hatte und in den vergangenen Wochen ohnehin unsicher aufgetreten war.

"Ich hoffe nur, dass jetzt nicht alle so spielen", sagte Boateng. Aber er ahnt wohl selbst, dass dies ein Wunsch bleibt, dass die Frankfurter Strategie vielmehr zur Blaupause für viele weitere Liga-Duelle werden könnte. In gewisser Weise kann das die Münchner sogar erfreuen, weil sich so zeigt, wie viel Respekt die Konkurrenten vor ihren Qualitäten haben.

Selbst der FC Arsenal, an diesem Mittwoch wieder Gegner in der Champions League, hatte sich beim 2:0-Sieg jüngst arg defensiv verhalten. Insofern wissen die Münchner, dass sie neben der Klage über die Ausrichtung des Gegners auch die eigenen Instrumentarien etwas schleifen müssen. Inspiration und Tempo waren schon einmal besser als am Freitagabend, und Guardiola hatte gleich drei Flügeldribbler (Robben, Costa, Coman) nominiert, obwohl auch in Frankfurt der Rasen so gepflanzt ist, dass es nur zwei Außenbahnen gibt. Da fehlte es bisweilen in der Zentrale an Spielern, denen in einem engmaschigen Netz die öffnenden Pässe gelingen.

Aber etwas Tröstliches konnten die Münchner mitnehmen: Defensiver als Frankfurt kann ein Gegner wirklich nicht agieren, ohne dass es ein Fall fürs Patentamt wird.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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