FC Bayern:Hund, Katze, Maus

Lesezeit: 4 min

Schonen und Streicheln: Während sich sein Vorgänger mit der Rotation Feinde gemacht hat, nutzt Jupp Heynckes sie beim 1:0 in Hamburg, um sich Freunde zu machen. Aber die Wochen der Wahrheit kommen erst.

Von Claudio Catuogno, Hamburg

Wie Schäferhund Cando, 12, das Spiel erlebt hat, darüber kann nur spekuliert werden. Lag Cando wieder vor der TV-Übertragung? Hatte er Appetit auf Getreide-Chips? Und ist er ebenfalls jaulend aufgesprungen in dieser 40. Spielminute, als der Hamburger Gideon Jung dem Münchner Kingsley Coman in die Knöchel rasselte, als habe jemand "Fass!" gerufen - woraufhin auch Candos Herrchen wütend von seiner Bank aufsprang?

Nichts darüber ist an die Öffentlichkeit gedrungen. Und kein Fußballreporter hat Jupp Heynckes im Anschluss an das 1:0 (0:0) seiner Bayern am Samstagabend beim Hamburger SV gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Kein Wort zu Cando: Das kann jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht sein für den FC Bayern.

Denn fest steht ja dies: Das Thema "Mein Haustier & ich" hatte Heynckes durch seine ersten Münchner Tage begleitet wie ein sich eng an sein Hosenbein schmiegender Vierbeiner. Bei seiner Präsentation als Nachfolger des entlassenen Carlo Ancelotti hatte der 72-Jährige von gemeinsamen Spaziergängen berichtet. Auch das friedliche Zusammenleben mit einer Katze auf Heynckes' Bauernhof am Niederrhein war Thema, Karl-Heinz Rummenigge witzelte: "Wem es gelingt, Hund und Katze zu befrieden, der kann auch den FC Bayern trainieren." Doch bald vermisste Cando sein ins Arbeitsleben zurückgekehrtes Herrchen, wollte nicht mehr fressen; Heynckes berichtete, dass er den Hund mittels Sprachnachricht aufmunterte. Und nun, vor dem Spiel beim HSV, wurde enthüllt: Heynckes hatte eine Videobotschaft von Cando vor dem Fernseher empfangen, im Hintergrund "das Fußballbild, und Cando unten liegend". Dazu die Bild-Zeitung: "Wuff, Wuff!"

Nutznießer von Heynckes' Streicheleinheit: Corentin Tolisso (links) erzielt in seinem ersten Startelfeinsatz unter dem neuen Trainer das einzige Tor des Abends. (Foto: Oliver Hardt/Getty)

Cando, das war einerseits die Chiffre dafür, wie rüde der FC Bayern in das Leben zweier älterer Herrschaften geplatzt ist mit seiner Trainersuche. Cando stand aber auch für die Leichtigkeit, die Heynckes schon wieder über den verunsicherten Rekordmeister gebracht hatte. Über Tiere berichtet man ja nur, wenn es sonst wenig Grund zur Beunruhigung gibt. Und nun?

Nun saß Jupp Heynckes im Bauch des Volksparkstadions, links neben ihm der HSV-Trainer Markus Gisdol. Statt um Hund, Katze, Maus ging es nun um Versäumnisse in der ersten Halbzeit ("zu behäbig"), Pässe ("nicht so präzise"), Spieltempo ("nicht so hoch"). Manko statt Cando. Man kann das als Zeichen werten, dass Heynckes von der Normalität eingeholt worden ist, im dritten Spiel seines vierten Münchner Engagements.

Die Hamburger fanden Rot für den HSV-Profi Jung "zu hart", die Bayern fanden es "vertretbar"

Heynckes hatte sie allerdings schon erwartet, diese Normalität. "Mir war vorher klar, dass es ein schweres Spiel werden würde", sagte er, "die 90 Minuten haben das dann eindrucksvoll belegt."

Mit vier Toren Unterschied hätten die Münchner gewinnen müssen, um Dortmund von der Tabellenspitze zu verdrängen. Aber war das vorher nicht vielen als zwangsläufig erschienen? Gegen den HSV, gegen den man doch zuletzt bloß "Wuff" machen musste, und schon stand es 8:0 oder 9:2? Nun, erstens hatten sich diese Kantersiege fast immer in Münchner Heimspielen ereignet, selten in Hamburg. Zweitens hatte die HSV-Elf diesmal "eine überragende kämpferische Leistung gebracht", wie Heynckes anmerkte, "großes Kompliment". Und drittens war den Hamburgern auch noch eine beachtliche taktische Leistung gelungen: "Wir wollten es anders machen als andere Gegner zuletzt gegen die Bayern", erklärte Gisdol, "wir wollten mehr Druck auf ihre Innenverteidiger ausüben, sie hoch zustellen, mit aggressivem Pressing" - das alles gelang. "Wir haben sie gut weggehalten von unserem Tor."

Doppelte Empörung: Erst schimpften die Münchner über das Foul von Gideon Jung an Kingsley Coman - dann die Hamburger über die folgende rote Karte. (Foto: Martin Rose/Getty)

Wer weiß, wie das Spiel ohne die Grätsche des Mittelfeldspielers Jung kurz vor der Halbzeit ausgegangen wäre, die das Stadion gleich zweimal erbeben ließ. Erst, als sich die Münchner empörten wegen des harten Einsteigens gegen Coman bei einem Konter. Und dann noch mal, als die Hamburger außer sich gerieten, weil Schiedsrichter Marco Fritz auf "Rot" entschied. Gegen zehn Hamburger sprang dann immerhin ein Treffer für die Münchner heraus, durch Corentin Tolisso in der 52. Minute. Plus diverse Großchancen (Thiago, Robben, Tolisso) gegen Ende. Heynckes fand den Platzverweis "vertretbar", Gisdol "zu hart" - das blieb ein Stück weit Ansichtssache. Aber kein Grund für ein schlechtes Gewissen, bemerkte Heynckes: "Dass man dann numerisch in der Überzahl spielt, dagegen kann man sich nicht wehren", sagte er, "und dann muss man das auch ausnutzen."

Heynckes war aber auch bewusst, dass er selbst seinen Teil beigetragen hatte zu diesem Rumpelspiel. Mit einer Aufstellung, die - was das Personal angeht - an jene vom 0:3-Debakel kürzlich in Paris erinnerte, Ancelottis Abschiedsspiel. Mit Niklas Süle, mit Corentin Tolisso, mit Arturo Vidal, mit James Rodríguez. Also mit jenen, die unter Heynckes zunächst nicht zum Zug gekommen waren. Aber während Ancelotti sich in Paris wohl irgendein Wunder erhofft hatte von seiner jungen Harakiri-Truppe, war Heynckes in Hamburg schon klar, "dass ich ein gewisses Risiko eingegangen bin. Wenn man so radikal etwas ändert, ist es schwierig, den normalen Spielrhythmus zu halten". Das ist der Unterschied: Ancelotti hatte erstens gegen Paris Saint-Germain und zweitens ohne ersichtlichen Grund rotiert - und sich damit in der Mannschaft Feinde gemacht. Heynckes nutzte die Rotation erstens gegen den HSV und zweitens für das Gegenteil: um sich Freunde zu machen. Um die einen zu schonen und die anderen zu streicheln. "Wir haben Riesenspiele vor uns", sagte er, "da muss ich alle mit ins Boot nehmen."

Die Riesenspiele, das sind am Mittwoch das DFB-Pokalspiel in Leipzig, am Samstag das Liga-Heimspiel wieder gegen Leipzig, am Dienstag darauf die Champions-League-Partie bei Celtic Glasgow und vier Tage später das Liga-Spitzenspiel in Dortmund. Die ultimative Standortbestimmung. Zwei Wochen, die besser nicht schiefgehen sollten für die Heynckes-Bayern. Sonst gibt's wieder Gejaule und Appetitlosigkeit, und zwar nicht bei Cando.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: