FC Augsburg:Ansichtssache

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Punkt gewonnen, gute Laune verloren: Die Augsburger Daniel Baier (links) und Paul Verhaegh nach dem Gladbacher 1:1-Ausgleich in der 94. Minute. (Foto: imago/Team 2)

Der FCA erfährt gegen Gladbach die Brutalität des Fußballs und geht mit Schmerzen ins Abstiegsfinale gegen Champions-League-Aspiranten.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

In den Unwägbarkeiten des Fußballs spiegelt sich das wahre Leben, weshalb Martin Hinteregger am Samstag philosophierte: "Das Leben kann brutal sein." Dem FC Augsburg und Verteidiger Hinteregger war Folgendes widerfahren: In der vierten Minute der Nachspielzeit hatten sie in Mönchengladbach ein Gegentor kassiert und im Abstiegskampf somit zwei Punkte geraubt bekommen. Die Gäste hatten das Spiel derart kontrolliert, dass der Live-TV-Kommentator zuvor prognostiziert hatte, die Gladbacher könnten noch bis Christi Himmelfahrt weiterspielen, ohne ein Tor zu schießen - insofern war das 1:1 durch den früheren Augsburger André Hahn für den FCA wahrlich brutal.

Als der österreichische Innenverteidiger Hinteregger im ersten Halbjahr 2016 noch für Gladbach spielte, nannte ihn der belesene damalige Trainer André Schubert mal scherzhaft "Heidegger". Martin Heidegger, deutscher Philosoph, nannte sein frühes Hauptwerk "Sein und Zeit" - und mit diesen Schlüsselbegriffen schloss sich nun treffend bei Hintereggers Rückkehr an den Niederrhein ein Kreis. Für die Augsburger, Hintereggers neues Team, geht es ums Dasein in der Bundesliga. Sie wollen dort eine siebte Saison nacheinander mitspielen, und dazu wären jene drei Punkte besonders wertvoll gewesen, die sie in Gladbach bis 17.20 Uhr nach einer von Alfred Finnbogason erzielten 1:0-Führung (57.) schon beinahe sicher geglaubt hatten.

Nur vier konkrete Torschüsse hatten sie dem Europapokal-Anwärter Gladbach zuvor zugelassen, vergessen schienen die 1:14 Treffer aus vier vorangegangenen Augsburger Auswärts-Niederlagen. Doch um 17.21 Uhr erinnerte das Leben die Schwaben daran, wie brutal es sein kann, oder: wie gemein der Fußball oft ist.

Der Gladbacher Torschütze Hahn hat früher in Augsburg gespielt, mit einem Philosophen hat ihn dort nie jemand verwechselt. Nach 93 Minuten und zehn Sekunden hat Hahn eine Flanke von Ibrahima Traoré gänzlich ungedeckt ins Tor gegrätscht. Als er nach dem Spiel zur tröstenden Plauderei mit den früheren Teamkollegen in den Augsburger Kabinentrakt ging, nahm er vorsichtshalber sein Söhnchen Julien auf den Arm, weil niemand Männer angeht, die Kinder tragen. "Schlechtes Gewissen?", hat ihm jemand zugerufen - "weniger!", hat Hahn grinsend geantwortet.

Die Borussen haben nämlich ihre eigenen Erwartungen ans Leben und den Fußball. Dazu hätten sie gegen Augsburg drei Punkte benötigt, um sich bessere Chancen auf eine Platzierung zu wahren, die am Saisonende ein Ticket für die Europa League erbringt. Doch im 49. Pflichtspiel dieser Saison und ohne ihre Offensivkräfte Raffael, Thorgan Hazard und Fabian Johnson wirkten sie trotz des großen Ziels körperlich matt und spielerisch einfallslos.

Das Restprogramm des FCA? Dortmund - und Hoffenheim

Den spät noch gewonnenen Punkt nannte Sportchef Max Eberl eher eine Errungenschaft der "Moral, weniger der fußballerischen Brillanz". Nach dem Europa-League-Aus gegen Schalke und dem Pokal-Halbfinal-Scheitern gegen Frankfurt wirkt Gladbach platt. Deshalb stehen die Chancen für eine Europapokal-Qualifikation nun mau.

Ob solch eine skeptische Einschätzung nach dem 1:1 auch für den Abstiegskampf der Augsburger gilt, ist schwer zu beurteilen, weil die in letzter Minute geraubten zwei Punkte einerseits schmerzhaft sind, die jüngsten Leistungen andererseits Anlass zur Hoffnung bereiten. "Für unser Restprogramm gegen Gladbach, Dortmund und Hoffenheim hatte uns mancher nicht mal einen einzigen Punkt zugetraut", sagte Trainer Manuel Baum, da sei dieser eine Zähler doch ein gutes Zeichen. Samstag gegen Dortmund und zum Schluss in Hoffenheim müssen sich die Augsburger den Klassenerhalt erkämpfen - gegen zwei Klubs, die um den direkten Startplatz für die Champions League spielen.

Im schlimmsten Fall bliebe am Ende ein überflüssiger Rekord stehen: Augsburgs Offensivspieler Halil Altintop muss bloß noch einmal ausgewechselt werden, dann hätte er mit 140 Auswechslungen in seiner Karriere den früheren Schalker Gerald Asamoah überholt.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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