Fazit:Diese EM hat die Kleinen beseelt

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Gareth Bale stürmt nach dem Sieg gegen Nordirland auf die walisischen Fans zu, um mit ihnen zu feiern. (Foto: AP)

Der Turniermodus bleibt sportlich umstritten - doch das ist der Blick der Elite. In Wales, Island, Nordirland sieht man das anders.

Kommentar von Claudio Catuogno

In der letzten EM-Woche ist sogar noch der Sommer nach Paris gekommen. Die Menschen sitzen draußen, die Kellner tragen Entrecôte und Gratin Dauphinois auf, und wenn sie die leeren Teller abräumen, fragen sie "Ça a été"? Auf Deutsch etwa: "War es?" In Deutschland sind die Bedienungen aus irgendeinem Grund meistens Frauen, wenn sie abräumen, fragen sie: War's recht? Der Franzose fragt "War es?", der Deutsche fragt "War's recht?", man darf solche Unterschiede schon zur Kenntnis nehmen. Man sollte bloß nicht von den kleinen Unterschieden aufs große Ganze schließen.

Nun ist die EM also vorbei. Und? War es? Ja, es war.

Vor allem von Deutschland aus haben ja viele aufs Nachbarland geblickt und eine "Sommermärchen-Stimmung" vermisst. Und tatsächlich: Die Franzosen haben sich nicht vom ersten Tag an ihr Nationalfähnchen auf die Wangen geschminkt, viele auch am letzten Tag noch nicht. Die Franzosen haben auch nicht schon nach dem ersten Sieg ihrer Elf in der Gruppenphase alle Innenstädte mit Autokorsos lahmgelegt. Und zwischendurch war ihnen die EM auch mal egal, weil sie dem französischen Rugby-Finale entgegenfiebern mussten, das in diesem Jahr im Camp Nou von Barcelona stattfand, wo deutsche Rugby-Finals eher nicht stattfinden.

Unterschiede im Detail. Aber dass die EM deshalb schlechter war als andere Turniere vorher - das wäre ein Trugschluss. Nein, wirklich: Ça a été!

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Außenseiter Island besiegt Favorit England. Da darf das Feierritual mit den Fans nicht fehlen.

Die Atmosphäre in den Stadien war nicht weniger stimmungsvoll als bei vorhergegangenen Meisterschaften. Die Stadien waren allerdings zehnmal so gut bewacht. Der Aufwand, ein solches Turnier zu stemmen, ist ohnehin gewaltig gestiegen durch die Ausweitung von 16 auf 24 Teams. Wenn die Bedrohung durch Irre aller Art weiterhin hoch bleibt, wird das dazu führen, dass zwar jetzt halb Europa mitspielen darf - dass es sich aber nur noch wenige Länder leisten können, eine EM auszurichten.

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Das Treffen in vier Jahren findet ohnehin in 13 Städten auf dem ganzen Kontinent statt, es wird als die Billigflieger-EM in die Geschichte eingehen, weil Fans schon in der Vorrunde zwischen Bilbao, Glasgow und Baku pendeln müssen. Für die EM 2024 läuft sich Deutschland warm, allerdings werden sich auch Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland zusammentun für eine Bewerbung. Mehr-Länder-Turniere werden wieder in Mode kommen, das ist sicher.

Der neue Turniermodus bleibt auch sportlich umstritten. Wer als Fan der deutschen Elf auf das Turnier blickt, mag die intensiven Gruppenphasen vermissen, bei denen schon eine Niederlage das Aus bedeuten konnte. Diesmal haben es die Portugiesen mit drei Unentschieden in die K.o.-Phase geschafft - und weiter bis ins Finale. Eine 16er-EM in drei Wochen ist sportlich viel dichter als eine 24er-EM in vier Wochen - der Meinung darf man sein. Aber man muss dann auch zur Kenntnis nehmen, dass das der Blick der Fußball-Elite ist. In Wales, Island oder Nordirland gehen viele Menschen gerade beseelt durchs Leben, weil sie Teil waren von etwas Großem.

Und das Besondere ist: Sie waren das auch aus eigener Stärke heraus. Island kann England schlagen, Wales kann Belgien schlagen - gerade die sog. Kleinen haben nachgewiesen, dass Nationalmannschafts-Fußball in Europa zwar nicht immer schön anzusehen, aber durchgehend wettbewerbsfähig ist.

Das war's nun also. Es war.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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