EM-Auftakt:Deutsche Handballer scheitern an Kleinigkeiten

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Christian Dissinger wirft sich in den Strafraum der Spanier. Dem Rechtshänder gelingen sechs Treffer. (Foto: Camera 4/imago)

Die junge, ersatzgeschwächte deutsche Auswahl verliert ihr erstes EM-Spiel gegen die erfahreneren Spanier. Doch die Niederlage wirft die Mannschaft nicht um.

Von Joachim Mölter, Breslau

Das gibt es beim Handball auch selten zu sehen: dass eine Mannschaft nur noch drei Feldspieler auf dem Parkett hat. So geschehen am Samstagabend im Auftaktspiel der EM-Gruppe C in Wroclaw, dem früheren Breslau. Zu Beginn der zweiten Halbzeit standen die Spanier nur noch zu dritt der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) gegenüber, weil sich am Ende des ersten Durchgangs gleich drei Teamkollegen nacheinander Zeitstrafen eingehandelt hatten: erst Eduardo Gurbindo wegen harten Einsteigens, dann Kapitän Raul Entrerrios wegen Reklamierens, schließlich Torjäger Jorge Maqueda, weil er den Ball beim Freiwurf dem DHB-Kapitän Steffen Weinhold mitten ins Gesicht gedonnert hatte. Das hatten die Unparteiischen als Absicht gewertet; zusätzlich zur Zwei-Minuten-Strafe gab's dafür die rote Karte.

Die deutschen Handballer konnten mit ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit allerdings nichts anfangen: Als der zweite Durchgang begann, lagen sie 15:18 zurück; beim Stand von 16:19 waren die Spanier wieder vollzählig. Und auch am Ende hatte der Drei-Tore-Abstand Gültigkeit - 29:32 unterlag das DHB-Team. Was allerdings gar nicht weiter schlimm ist. Nachdem die routinierten, eingespielten Spanier in ihrem letzten EM-Test den Turnier-Gastgeber Polen 26:12 deklassierten und sich dadurch zu einem der Titelfavoriten aufschwangen, hatten sich die durch diverse Verletzungen dezimierten deutschen Handballer sowieso wenig ausgerechnet.

Die Erwartungshaltung vor dem Spiel: "Bestenfalls ein gutes Ergebnis"

"Bestenfalls nehmen wir ein gutes Ergebnis mit", hatte Weinhold vor der Partie gesagt: "Wenn wir ein gutes Erlebnis mitnehmen, wäre das auch okay." Bundestrainer Dagur Sigurdsson hatte es so formuliert: "Wenn wir gut spielen, gibt uns das Selbstvertrauen für das zweite und das dritte Spiel", am Montag (20.30 Uhr/ARD) gegen Schweden und am Mittwoch (17.15 Uhr/ZDF) gegen Slowenien. Nur die besten Drei der Vierergruppe dürfen in der Zwischenrunde weitermachen.

Sigurdssons Strategie gegen die favorisierten Spanier hatte recht einfach geklungen: "Eine super-super Abwehr mit guten Torhütern; schnell nach vorne in den Angriff kommen, denn wenn die Spanier Angriffs- und Abwehrspieler wechseln können, ist ihre Abwehr bärenstark; die ganze Zeit das Tempo hochhalten." Der Plan hatte eine Viertelstunde lang prima geklappt, dann legte der Weltmeister von 2013 einen Zwischenspurt hin und verwandelte den 9:10-Rückstand (16. Minute) in einen 18:11-Vorsprung (23.); damit war die Partie im Grunde entschieden. "Durch diese dumme Phase haben wir uns ein besseres Ergebnis verdorben", fand Kreisläufer Henrik Pekeler. In der restlichen Spielzeit verwalteten die Spanier den Vorsprung dann mit all ihrer Erfahrung.

Der deutschen Mannschaft fehlen vier Stammkräfte

Die ist der große Unterschied zwischen den beiden Teams. Elf der 16 Spieler in Sigurdssons EM-Kader sind Jahrgang 1990 oder jünger, bei den Spaniern sind es nur drei. Die deutschen Team-Ältesten Carsten Lichtlein, 35, und Martin Strobel, 29, sind die einzigen Akteure mit EM-Erfahrung; zusammengenommen haben sie fast so viele Länderspiele (312) wie der Rest des Teams (339). Lichtlein sieht darin aber sogar einen kleinen Vorteil: "Die Jungen können unbekümmert ins Turnier gehen, sie haben ja keine negativen Erfahrungen."

Weil insgesamt vier Stammkräfte der WM 2015 in Katar verletzt fehlen (Kapitän Gensheimer, Rechtsaußen Groetzki, Abwehrchef Wienczek, Spielmacher Drux), zudem einige Ergänzungsspieler, setzte der für den Leistungssport zuständige DHB-Vizepräsident Bob Hanning keine Zahlen-Ziele für dieses Turnier. "Die einzige Vorgabe ist, dass wir das Maximum aus uns herausholen. Es kann sein, dass wir drei gute Spiele machen und trotzdem ausscheiden."

Das Turnier in Polen ist wegweisend für die Zukunft

Weil er den Ball beim Freiwurf dem DHB-Kapitän Steffen Weinhold mitten ins Gesicht wirft, sieht Spaniens Torjäger Jorge Maqueda die Rote Karte. (Foto: Maciej Kulczynski/dpa)

Ihm ist wichtiger, dass die nachgerückten Spieler wie Torjäger Christian Dissinger (sechs Treffer gegen Spanien), Rechtsaußen Tobias Reichmann (fünf), der zentrale Rückraumspieler Steffen Fäth (vier) oder auch die jungen Flügelspieler Johannes Sellin (rechts) und Rune Dahmke (links) ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. "Wenn wir in Zukunft großen Erfolg haben wollen, müssen wir gucken, auf welche Spieler wir bauen können", sagte Hanning. Oder, anders formuliert: Bei diesem Turnier geht es den DHB-Verantwortlichen darum, "zu sehen, wie stark unsere Breite ist. Wenn wir zwei, drei Leute mitnehmen können für die Zukunft, ist das wichtiger als das Abschneiden bei dieser EM".

Bundestrainer Sigurdsson ärgerte sich trotzdem über die Niederlage. "Wir hätten etwas holen können. Wir haben gut gekämpft und gut gespielt. Es haben nur Kleinigkeiten gefehlt", fand er. Zu den Kleinigkeiten zählte er auch einige Schiedsrichter-Entscheidungen: Dass seine Akteure immer dann Zeitstrafen kassierten, wenn sie gerade herangekommen waren, wie beim 26:28 (50.), kann aber auch mit Ungeschicklichkeit und fehlender Erfahrung mit internationaler Härte zu tun haben. Dass sie ihre Überzahl nach der Pause nicht nutzen konnten, lag auch weniger an den Unparteiischen aus Frankreich - sondern daran, dass die Spanier einfach cleverer waren.

© SZ vom 17.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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