Eishockey-WM:Eishockey als Charakterfrage

Lesezeit: 3 min

Anschauungsunterricht: Das finnische Toptalent Patrik Laine (rechts) führt dem DHB-Auswahlspieler Moritz Müller beim 5:1 sein Können vor. (Foto: Maxim Zmeyev/Reuters)

"Das Wichtigste ist, wie man zurückkommt": Nach zwei ernüchternden Partien muss die deutsche Auswahl bei der Eishockey-WM gegen die Slowakei bereits ein Schlüsselspiel bestreiten.

Von Johannes Schnitzler, St. Petersburg/München

Soweit das unter seinem Helm zu erkennen war, sind Leon Draisaitl noch keine grauen Haare gewachsen. Draisaitls Schopf ist dicht und schwarz wie eh und je. Draisaitl ist ja auch erst 20 Jahre alt. Nach dem zweiten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft bei der Eishockey-WM in Russland sah der Nationalstürmer dennoch älter aus, als es sein Reisepass vorschlägt. Nach der 2:3-Niederlage zum Auftakt gegen Frankreich hatte zwar niemand mit einem Sieg gegen Finnland gerechnet. Aber das ernüchternd deutliche 1:5 gegen den zweimaligen Weltmeister und die Zwischenbilanz mit nur einem Punkt aus zwei Partien zauberte der kompletten deutschen Delegation einen Grauschleier ins Gesicht.

Wenn die mit vier Spielern aus der nordamerikanischen Profiliga NHL verstärkte Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) noch eine Chance auf das Viertelfinale haben will, steht sie an diesem Dienstag (15.15 Uhr) in St. Petersburg gegen die Slowakei bereits vor einem Schlüsselspiel. Eine Situation, wie sie vor dem Turnier niemand erwartet hatte. "Der Kopf und vor allem die Beine waren heute nicht da", sagte Bundestrainer Marco Sturm.

"Wenn wir mit den großen Jungs mithalten wollen, müssen wir von Anfang an da sein", sagt Sturm

Wie gegen Frankreich wirkte sein Team in den ersten zehn Minuten abwesend und lag schnell 0:2 zurück. "Dann brauchst du gegen eine Mannschaft wie Finnland keine großen Hoffnungen mehr zu haben", sagte NHL-Verteidiger Korbinian Holzer. Stellvertretend für das Team nahm der Bundestrainer seine erste Reihe mit DEL-Topscorer Patrick Reimer sowie den NHL-Profis Draisaitl und Tobias Rieder in die Verantwortung: "Unsere besten Spieler müssen die beste Leistung bringen. Sie wissen, dass sie etwas drauflegen müssen." Während Rieder, 23, gegen Frankreich immerhin einmal traf, gelang Draisaitl erst ein Scorerpunkt. Es war die Vorlage zum bedeutungslosen 1:4 gegen Finnland.

Der Unterschied zwischen beiden Teams ließ sich auf die Zahl 29 komprimieren, Draisaitls Rückennummer. Während der Kölner noch seine Form sucht, hat Finnlands Nummer 29, Patrik Laine, einen Traumstart in seine erste WM hingelegt. Seine vier Tore wecken bereits Vergleiche mit den Größten der Branche. Weder Wayne Gretzky (1982) noch Sidney Crosby (2006) konnten nach zwei WM-Spielen sechs Scorerpunkte vorweisen - später wurden sie Topscorer des Turniers.

Auch gegen Deutschland traf Laine zwei Mal. Kein Wunder, dass sich die NHL-Klubs um den U20-Weltmeister aus Tampere reißen, der im April gerade einmal 18 geworden ist. "Es ist unglaublich, wie gut er in seinem Alter ist", sagt Finnlands Torhüter Mikko Koskinen. Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren wurde Leon Draisaitl bei der NHL-Talentziehung (Draft) als Dritter von den Edmonton Oilers ausgewählt und dem Publikum als "German Gretzky" annonciert.

Nun wäre es unfair, den Jüngsten im Kader die größte Bürde aufzuerlegen, das weiß auch Sturm. "Man hat gesehen, dass sie den Schläger teilweise zu fest in den Händen gehalten haben", schilderte der Bundestrainer die Verkrampfung, die das gesamte Team ergriff. Gleichwohl erwartet er von seinen prominentesten Stürmern mehr: "Vielleicht war der Druck zu hoch." Das wäre freilich ein schlechtes Zeichen. Denn Anfang September, wenn die Mannschaft in Riga gegen Lettland, Österreich und Japan um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2018 kämpft, wird der Druck ungleich höher sein als bei diesem Turnier, bei dem Deutschland als Ausrichter der WM 2017 nicht absteigen kann.

Draisaitl bittet um Geduld: "Ich denke, dass das noch kommen wird. So ein Turnier ist auch dafür da, dass man sich von Spiel zu Spiel steigert." Am Montag, der in Russland traditionell als "Tag des Sieges" über Nazi-Deutschland gefeiert wird, gab Sturm seiner Mannschaft nach einem intensiven Morgentraining erst einmal frei. Am Dienstag gelte es dann, "wenn wir mit den großen Jungs mithalten wollen, müssen wir von Anfang an da sein" - diese Einstellung habe er zuletzt "ein bisschen vermisst", sagte Sturm. Das Duell mit der Slowakei, Weltmeister von 2002, sei eine Charakterfrage: "Das Wichtigste ist, wie man zurückkommt." Die Slowaken gewannen gegen Frankreich 5:1.

Dem nächsten Supertalent begegnen die Deutschen erst am Sonntag. Dann trifft das DEB-Team im vorletzten Gruppenspiel auf die USA um Auston Matthews. Der 18-Jährige wird in allen relevanten Rankings als Nummer-eins-Draft-Pick gehandelt. In seinen beiden ersten WM-Spielen hat Matthews zwei Mal getroffen.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: