Eishockey-WM:"Da müssen wir einfach alle einen besseren Job machen"

Lesezeit: 3 min

Hat das deutsche Eishockey vorangebracht: Bundestrainer Marco Sturm (Foto: dpa)
  • Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft unterliegt Kanada im WM-Viertelfinale mit 1:2 (0:1, 0:1, 1:0).
  • Bundestrainer Marco Sturm kritisiert die Strukturen des deutschen Eishockeys, die ein erfolgreicheres Abschneiden verhindern.
  • Der DEB muss nun versuchen, die richtigen Lehren aus der Leistung zu ziehen.

Von Daniel Timm

Über solche Schüsse lacht Dennis Seidenberg normalerweise. Der NHL-Verteidiger ist der beste deutsche Punktesammler bei der Heim-WM und hält mit seinem kompromisslosen Defensivspiel den Gegner vom eigenen Tor fern. Doch in den Schlusssekunden des zweiten Drittels kommt Seidenberg nicht umhin, einen harmlosen Verzweiflungsschuss in Richtung des kanadischen Torwarts zu schlenzen. Es war der einzige deutsche Torabschluss im zweiten Spielabschnitt - nach 20 Schüssen der Kanadier.

Bei der 1:2-Viertelfinalniederlage gegen den Titelverteidiger wurde ersichtlich, dass das deutsche Eishockey einen weiten Weg zur Weltspitze vor sich hat. Denn mit nur einem Tor Unterschied kam das Team von Bundestrainer Marco Sturm viel zu glimpflich davon: Einerseits, weil Philipp Grubauer, der zur Heim-WM nachgereiste Torwart der Washington Capitals, phasenweise unüberwindbar war. Und andererseits, weil sich das DEB-Team in der nicht ganz ausverkauften Kölner Arena einige gute Chancen gegen den hochfavorisierten Gegner erarbeitete, die letztlich entweder fahrlässig vergeben oder durch zu komplizierte Querpässe weggeworfen wurden.

Eishockey-WM
:Achtbarer Abschied von der Heim-WM

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ist Kanada im Viertelfinale hoffnungslos unterlegen und liegt 0:2 zurück. Dann trifft der Münchner Yannic Seidenberg in Unterzahl - doch es reicht nicht mehr.

Nach der unerwartet knappen und doch erwarteten Pleite gegen den 26-fachen Weltmeister macht sich also Ernüchterung breit im deutschen Eishockey. Die Leistung der vergangenen zwei Wochen weiß man noch nicht recht einzuordnen: Was mit einem überraschenden Sieg gegen die USA euphorisch begann, endete gegen einen überlegenen Gegner, der dem DEB aufzeigte, dass sein Team dem nordamerikanischen Standard in taktischer, spielerischer und schlittschuhläuferischer Hinsicht hinterherhinkt.

Mit Leon Draisaitl, einem der besten Scorer der vergangenen NHL-Saison, und Grubauer, dessen Beförderung zum NHL-Stammtorwart in der kommenden Saison als gesichert gilt, ist zumindest ein positiver Trend in der Entwicklung jüngerer Spieler zu beobachten. Dass aufstrebende Talente spätestens im Jugendalter nach Nordamerika wechseln müssen, um die Chance auf eine NHL-Karriere zu wahren, ehrt die deutsche Nachwuchsförderung jedoch nicht.

"Das hat aber auch mit unserer Liga zu tun", sagte Bundestrainer Marco Sturm in einer ersten Analyse. Obwohl er die Heim-WM insgesamt als Erfolg wertet, kritisiert er die nur langsam voranschreitende Professionalisierung des deutschen Eishockeys ungewohnt direkt. An Strukturen mangle es "vor allem im Nachwuchs, in den Vereinen, aber auch in der DEL. Da müssen wir einfach alle einen besseren Job machen."

Mit seiner Kritik beweist der Bundestrainer erneut, dass ihm die Aufgabe, das deutsche Eishockey aus der Bedeutungslosigkeit zu führen, zu Recht anvertraut wurde. Als der erst 38-Jährige vor zwei Jahren überraschend zum Cheftrainer der Eishockey-Nationalmannschaft berufen wurde, zweifelten viele am Urteilsvermögen der DEB-Spitze um Präsident Franz Reindl: Sturm fehlte zu diesem Zeitpunkt jegliche professionelle Trainererfahrung, er beendete nur ein Jahr zuvor seine eigene Spielerkarriere nach rund eintausend Partien in der NHL.

Und doch erwies sich die Wahl des in Dingolfing geborenen Sturm als Wegbereiter des Aufschwungs im deutschen Eishockey: Der Bundestrainer führte sein Team zum Turniersieg beim Deutschland Cup 2015, erreichte bei der Russland-WM 2016 das Viertelfinale und sicherte die Qualifikation für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr. Als ehemaliger NHL-Profi weiß er zudem um die Belastung der nordamerikanischen Saison und schafft es, deutsche Leistungsträger wie Draisaitl, Grubauer oder Seidenberg regelmäßig für einen Einsatz im Nationaltrikot zu gewinnen - für NHL-Spieler anderer Nationen keinesfalls selbstverständlich.

Sturm lebt mit seiner Familie in Florida

"Wir wussten von vornherein, dass Kanada die bessere Mannschaft ist, und das haben sie heute gezeigt", spricht Marco Sturm die unangenehme Wahrheit trocken aus. "Wir hatten Momente, wo es nicht so gelaufen ist, aber trotzdem ist die Mannschaft immer besser geworden, und das war auch unser Ziel." Nach Siegen gegen die USA, die Slowakei und Italien sicherte sein Team den Einzug ins Viertelfinale erst mit einem umkämpften Erfolg im letzten Gruppenspiel gegen Lettland.

Dass man nun gegen Kanada unterlag, soll also nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Eishockey-Nationalmannschaft seit der verpassten Olympia-Qualifikation 2014 grundsätzlich positiv entwickelte. DEB Präsident Franz Reindl will am Aufwärtstrend festhalten und machte sich noch am Donnerstag für eine Vertragsverlängerung mit Marco Sturm stark, dessen aktuelle Beschäftigung 2018 endet. Der deutsche Bundestrainer lebt mit seiner Familie jedoch in Florida und dürfte bei anhaltendem Erfolg auch einer Beschäftigung im heimischen Nordamerika nicht abgeneigt sein. Denn wenn das nordamerikanische Eishockey ruft, dann sind auch aufstrebende deutsche Trainer schnell weg. Ein weiterer wichtiger Anlass also, die Professionalisierung der deutschen Strukturen nach den Mut machenden Auftritten in Köln konzentriert voranzutreiben.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tiffels bei der Eishockey-WM
:"Ein geiler Moment für mich"

Seit April ist Frederik Tiffels Eishockey-Nationalspieler, nun schießt er Deutschland per Penalty ins WM-Viertelfinale. Dabei gab es Zweifel, ob er der richtige Schütze ist.

Von Daniel Timm

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: